Es mag Zufall sein, aber die Ereignissen treffen so aufeinander, dass man gar nicht anders kann, als sie in einen Zusammenhang zu bringen. Am gleichen Tag, da ein Gericht in Kairo dem ehemaligen Präsidenten Hosni Mubarak die Entlassung aus staatlichem Gewahrsam in Aussicht stellt, ringen sich die EU-Außenminister zu windelweichen Sanktionen durch, die den Namen nicht verdienen. Wenn es einen Ausfuhrstopp für Waffen und Güter geben soll, mit denen Proteste niedergeschlagen werden können, gilt das bestenfalls für die ägyptische Polizei.
Davon kaum oder gar nicht berührt wird die Armee und damit das Machtzentrum jener unverhohlenen Restauration, die das Kernland der Arabellion derzeit unter dem Label Anti-Terror-Kampf erfasst und zu repressiven Verhältnissen führt, wie sie für die Spätphase des Mubarak-Regimes charakteristisch waren. U-Boote und Zerstörer, Panzer, Artilleriewaffen und Raketen werden in der Regel nicht gegen Demonstranten, Straßenblockaden, Meetings ect. eingesetzt. Folglich könnten sie theoretisch von europäischen Rüstungskonzernen auch weiter an Abnehmer in Ägypten geliefert werden.
Nur eine taktische Größe
Wen also soll dieses Embargo in Kairo beeindrucken? Da jederzeit der Absturz in einen Bürgerkrieg droht und bürgerkriegsähnliche Zustände schon eingetreten sind, wäre es da nicht sinnvoller gewesen, ein Ausfuhrverbot ohne Wenn und Aber zu verhängen, wie es sich seit längerem gegen Bashar al-Assad und seine Streitkräfte richtet? Sicher, das erscheint politisch brisant, aber die Botschaft wäre eindeutig und dazu geeignet gewesen, die Generalität vielleicht von ihrem konfrontativen Furor zu erlösen.
Es bleibt rätselhaft, weshalb Außenminister Westerwelle glaubt, „ein klares und entschlossenen Signal nach Ägypten“ gesandt zu haben. Das hätte es gegeben, wären die Übergangsregierung und die Armee für den Bruch zivilisatorischer Normen durch die EU verurteilt worden. Man hätte sogar eine Klage gegen die militärisch und politisch Verantwortlichen vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag erwägen können. Es hätte die Zerstörung einer ohnhein fragilen Demokratie beklagt werden sollen. Nichts dergleichen geschah!
Wieder einmal zeigt sich, dass Moral in der Politik eben nicht mehr ist als eine taktische Größe. Man erinnere sich, dass mit Tunesien als dem ersten Land in Nordafrika 1995 ein EU-Assoziierungsabkommen geschlossen wurde, obwohl über die diktatorischen Verhältnisse unter dem damaligen Präsidenten Ben Ali nicht der geringste Zweifel bestehen konnte. Wie es in dessen Staat um Demokratie und Menschenrechte bestellt war, schien für Brüssel irrelevant. Wie damals, so ist auch jetzt wohlfeiler Pragmatismus für die halbherzigen Sanktionen maßgebend, die in Kairo eher beiläufig zur Kenntnis genommen werden. Es stehen schließlich enorme finanzielle Milliarden-Transfers aus Saudi-Arabien, Katar und anderen Golfstaaten in Aussicht. Besonders das Regime in Riad dürfte sich von der rigiden Ordnungspolitik in Kairo bestätigt fühlen.
Nicht zu sehr brüskieren
Die EU musste etwas unternehmen, um die Massaker in Ägypten nicht völlig an sich abtropfen zu lassen. Aber sie wollte dem Macht- und Sicherheitsapparat in Kairo offenbar nicht weh tun. Ein Partner und Verbündeter soll nicht über Gebühr brüskiert werden, wenn er sich so nachdrücklich als Anti-Terror-Kämpfer zu erkennen gibt. Fragt sich nur, ob fundamentalistischer Terror durch eine Militärdiktatur besser einzudämmen ist als in einer funktionierenden Demokratie. Algerien und der Bürgerkrieg mit einer zu allem entschlossenen Guerilla der Islamischen Heilsfront FIS nach 1992 oder die Zustände im Jemen zeigen das Gegenteil.
Kommentare 5
Ein afrikanischer Freund sagte mir in den 90er Jahren: Erzähle den Menschen nichts von Demokratie, wenn sie hungern müssen. Das gilt auch für Ägypten. Herr Herden, was denn für eine "fragile Demokratie"? Nur weil eine Wahl stattfand ist das gleich eine Demokratie? Was haben die Muslimbrüder denn getan zum Schutz der "fragilen Demokratie"? Was bringt diese den Menschen, die nur erlebten, dass es unter Mursi noch schlechter und schlimmer wurde?
Für eine "funktionierende Demokratie" ist soziale Gerechtigkeit und soziale Sicherheit grundlegend. Das gilt ja selbst hierzulande. Gleichzeitig gehört eine enstrpechende Politik zu den besten Mitteln gegen Extremismus und darauf basierendem Terrorismus. Irgendwelche demokratische Formalien reichen da lange nicht.
Vielleicht habe ich ja was übersehen, aber die Politik der vom Militär gestützten Übergangsregierung in Ägypten wird irgendwie nur auf den Kampf gegen die Muslimbrüder reduziert. Gibt es keine Informationen über wirtschafts- und sozialpolitische Ziele und Vorhaben dieser Regierung? Diese könnten einiges darüber aussagen, was den Ägyptern droht oder blüht? Sind positive Veränderungen denn von vornherein ausgeschlossen, nur weil das Militär wieder die Macht übernommen hat und kontrolliert?
Und die EU als Demokratiewächter und -lehrer ... Das klingt bei Ihnen so als wohlgemeinte Forderung heraus. Herr Herden, ich bitte Sie! Das ist doch in dem Fall nicht weniger verlogen wie im Fall Syrien und allen anderen vorher und nachher. Insofern ist das Verhalten der EU alles andere als verwunderlich oder empörenswert. Die westlichen Staaten, USA und EU samt aller Verbündeten, konnten schon immer mit allen Herrschenden anderer Länder, egal welcher Staats- und Regierungsform, entscheidend war und ist, ob diese die westlichen Interessen ordentlich berücksichtigen.
Ich glaube, wir sollten Geduld haben und schauen, was daraus wird. Einmischen, egal auf welcher Seite, wäre wie Öl ins Feuer gießen.
Dem kann ich nur zustimmen.
Der Freitag hat leider keinen Mitarbeiter vor Ort in Ägypten, aus nachvollziehbaren Gründen. Um die furchtbaren Ereigenisse dort einschätzen zu können, ist der Kommentator auf Agenturmeldungen angewiesen, auf Nachrichten anderer Medien, auf persönliche politische Erfahrungen und auf den Rat von Ägyptenexperten. Das macht es nicht leicht, die Lage einzuschätzen. Vor allem, wenn man die Vorgänge in Ägypten isoliert betrachtet.
Mir scheint, die USA und andere Teile des Westens erkennen mittlerweile, die politischen Lagen und Kräfteverhältnisse in Ländern des Nahen Ostens nicht differenziert genug eingeschätzt zu haben. Und sie erkennen die von ihnen mitinszenierte Arabellion nun als Fehler. All diese Brutalität, dieses Morden vorher in Libyen oder jetzt in Ägypten, gehen auch auf das Konto des Westens. Er hat Massenbewegungen wie die Muslimbrüder unterstützt, Terrorbanden und Söldner wie in Syrien mit Waffen und geneigter Informationspolitik unterstützt.
Der Westen hat auf die falschen Pferde gesetzt. Bush wie Obama vertrauten der "tiefen Strategie" der aktuellen türkischen AKP-Regierung. Die sah vor, dass die Türkei mit ihrem scheinbar moderat-islamischen Regime ihren Einfluss als künftiger Führungsmacht im Nahen Osten vertieft, also in Ländern, die ehedem zum Osmanischen Reich gehörten. Die dort neu gegründeten Parteien, das gilt vor allem für die Partei der ägyptischen Muslimbrüder, orientierten sich weitgehend an der türkischen AKP.
Die wiederum entpuppt sich seit Beginn dieses Sommers im Gezi-Park und auf dem Taksim-Platz als viel weniger moderat-islamisch, als der Westen zuvor glauben wollte. Es scheint, als habe der Westen sich von der AKP-Regierung Erdogans abgewendet, die hinter Protesten im eigenen Land Juden im Allgemeinen, Israel und Teile der EU vermutet. Diese "tiefe Strategie", formuliert vom türkischen Außenmister Davutoglu, bei der es immer auch um das nahöstliche Öl ging, scheint ihre Zielposition verfehlt zu haben.
Die AKP-nahen Medien überschlagen sich derzeit in Solidarität mit Mursi und den ägyptischen Muslimbrüdern. Mich irritiert, dass deren Regierungspolitik nicht Gegenstand tieferer Betrachtungen ist.
Da haben Sie recht, die türkische Außenpolitik verdient eine eingehendere Betrachtung, in gewisser Weise galt ja Mursi auch als ein Exponent des türkischen Modells. Das scheint sich nun zunächst einmal erledigt zu haben, was dem regionalmächtigen Einfluss Ankaras oder dessen Ambitionen nicht gut bekommen dürfte.
Sehe ich auch so. Aber auch Mursis kurze Regierungszeit sollte unbedingt näher betrachtet werden.
Gestern erwog Erdogan übrigens per Interview einen türkischen UN-Austritt, nicht zuletzt wegen der Haltung Chinas und Russlands zu einer möglichen Intervention in Syrien.