En marche, en garde

Parlamentswahl Die Positionen sind bezogen, das Gefecht um das erneuerte Frankreich kann beginnen. Präsident Macron profitiert von Präsidialsystem und Wahlrecht
Wahllokal in Châteaulin. Die meisten Parteien lässt das Mehrheitswahlrecht unter den Tisch fallen
Wahllokal in Châteaulin. Die meisten Parteien lässt das Mehrheitswahlrecht unter den Tisch fallen

Foto Fred Tanneau / AFP

Alles deutet nach Runde eins des Parlamentsvotums auf eine regierungsfreundliche Mehrheit für Emmanuel Macron hin. Diesem Triumph und mutmaßlichen Sieg der Mitte steht eine abwartende, wahlmüde, sich verweigernde Mehrheit gegenüber, wie einer Wahlbeteiligung unter 50 Prozent zu entnehmen ist. Macron hat nicht mehr jenes republikanische Frankreich hinter sich, das im Stechen um die Präsidentschaft am 7. Mai eine Marine Le Pen verhindern wollte. Allerdings wären die Wahlverweigerer gut beraten, am 18. Juni in der Stichwahl Einfluss zu nehmen, um Macron und seiner Partei La République en Marche (LREM) die monarchische Weihen zu bestreiten und einer Opposition Geltung zu verschaffen.

Alles andere würde dem Staatschef ein Durchregieren bescheren, um Arbeitsmarkt- und Rentenreformen durchzusetzen, mit denen innere Zerreißproben unausweichlich sind. Noch immer müssen sich Sozialreformen in Frankreich mit der Triade Staat, Unternehmern und Gewerkschaften arrangieren – eine Balance der Institutionen jenseits der legislativen Exklusivität einer Nationalversammlung.

Da die Sozialisten (neun Prozent) ihren Niedergang nicht aufhalten konnten, und Jean-Luc Melénchons Allianz La France insoumise (elf Prozent) zu mäßig abgeschnitten hat, um eine relevante parlamentarische Größe zu sein, ist keine wirkungsvolle Gegenkraft oder -macht in Sicht, die den Präsidenten noch aufhalten könnte, sich allzu sehr am Vor- und Vexierbild deutscher Agendapolitik auszurichten.

Gewerkschaften gefragt

Insofern sollte nicht allzu leichtfertig vom Umpflügen der politischen Landschaft geschwärmt werden. Die müsste doch bitteschön so beschaffen sein, dass sie eine Gesellschaft soweit repräsentiert, wie das deren Interessenkonflikten sowie oft weit auseinander driftenden Klassen, Schichten und Milieus angemessen ist. Wenn die Linksparteien zu schwach sind, werden die Gewerkschaften den Widerstand gegen Sozialreformen übernehmen müssen, falls die eine Fortschreibung der neoliberalen Anwandlungen des Macron-Vorgängers Hollande sein werden.

Dass der über Anläufe nicht hinauskam, hatte mit einem damals noch starken Parti Socialiste (PS), aber ebenso sich rührendem außerparlamentarischem Protest zu tun. Und der wird unvermeidbar sein, wenn Macron etwa sein Vorhaben künftiger Betriebsverträge durchfechten will. Derartige interne Agreements sollen Management und Betriebsräte eines Unternehmens schließen, um geltendes Arbeitsrecht und Branchenabkommen bei Löhnen und Tarifen zu ersetzen – sprich: auf die jeweilige Unternehmensrealität zuzuschneiden. Dass damit Tarifrechte unterlaufen werden, liegt auf der Hand.

Keine Lobby mehr

Überdies ist an ein gelockertes Kündigungsrecht gedacht, das durch mehr Förderung für Langzeitarbeitslose kompensiert werden soll. Wann haben in Westeuropa im vergangenen Jahrzehnt sozialliberale oder sozialdemokratische Regierungen nicht auf dieses Instrument zurückgegriffen, um den Preis der Ware Arbeitskraft zu drücken? Es geschah unter dem sozialdemokratische Premier Zapatero in Spanien, unter Tony Blair in Großbritannien, unter Matteo Renzi in Italien und unter Gerhard Schröder in Deutschland. Und immer wurde versprochen, es wird als Unternehmer nur einstellen, wer notfalls schnell wieder entlassen kann.

Es muss von politischer Einfalt besetzt sein, wer ernsthaft glaubt, Macron müsse nach seinem 66-Prozent-Durchmarsch am 7. Mai und seinen nunmehr 32 Prozent bei der Parlamentswahl das Volk nur noch einen, und dann werde sich in Frankreich alles zum Besseren wenden. Er kann es nicht, auch wenn er wollte, folglich steht seine Entzauberung bevor. Die Reformverlierer werden sehr bald merken, dass sie keine parlamentarische Lobby mehr haben, die sich ihrer Bedürfnisse und Nöte annimmt.

Im Übrigen wird das auch für die Wähler, Anhänger und Sympathisanten des Front National gelten. Bleibt es Marine Le Pen nach ihrer Präsenz in der Stichwahl um die Präsidentschaft und den dort verbuchten 34 Prozent verwehrt, eine Fraktion in der Nationalversammlung zu bilden, verschafft ihr das Wahlrecht einen ersten kräftigen Schub für die nächste Kampagne um das höchste Staatsamt. Sie wird argumentieren, dem FN werde eine adäquate Präsenz in der Legislative bestritten, also müsse sie in fünf Jahren die Exekutive erobern.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

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