Enge Freunde, falsche Richter

Ungarn Ausgerechnet CSU-Politiker schmähen Orbán als Despoten. Herrschte bis vor kurzem nicht noch Eintracht zwischen ihnen und dem Premier?
Ausgabe 15/2020
Innenminister Seehofer und der „liebe Freund“ aus Budapest
Innenminister Seehofer und der „liebe Freund“ aus Budapest

Foto: Christof Stache/AFP/Getty Images

Offenbar ist keine Krise ernst genug, als dass sich daraus nicht Kapital für die weltanschauliche Selbstvergewisserung schlagen ließe. Also wird Vorsorge getroffen, dass chinesische Hilfen für von der Corona-Pandemie schwer getroffene EU-Staaten nicht am gängigen China-Bild rütteln. Und dass die drastische, aber wohl erfolgreiche Anti-Corona-Strategie in Fernost nicht etwa den diktatorischen Charakter des dortigen Regimes relativiert. Wer glaubt, es sei jetzt nicht die Zeit, einen ideologischen Wettstreit über die mehr autoritäre oder mehr liberale Gangart bei der Corona-Abwehr auszutragen, der täuscht sich. Er findet statt, wie nicht zuletzt die Urteilsfreude in Deutschland zeigt. Dabei gilt, wird der autoritäre Ansatz Chinas verworfen, darf nicht zugesehen werden, wenn er die eigenen europäischen Reihen, zum Beispiel Ungarn, erfasst.

Kann, ja muss daher der von Viktor Orbán ausgerufene und von der ungarischen Legislative abgesegnete Notstand mit einer Diktatur gleichgesetzt werden? Orbáns bisheriges Machtgebaren scheint das zu rechtfertigen. Andererseits sollte abgewartet werden, was er tut, wenn die Krise vorbei ist. Auch wäre zu fragen, ob ausgerechnet CSU-Politiker berufen sind, Ungarns Premier als demokatieresistenten Despoten zu schmähen. Stand man Orbán nicht so lange so nah, dass stets gedeihliche Eintracht zu herrschen schien, wenn zusammenkam, was augenscheinlich zusammengehörte? Dem „lieben Freund“ aus Budapest wurde einiges an Ehrerbietung zuteil. Es war keine Reaktion nur im Affekt, sondern aus Überzeugung, als CSU und CDU den 1998 erstmals zum Regierungschef Aufgestiegenen als jemanden feierten, der den postsozialistischen Augiasstall in Budapest ausmisten und neoliberale Kante zeigen würde. Auch schien es keine Formalität zu sein, als die CSU-nahe Hanns-Seidel-Stiftung den „bekennenden Europäer“ 2001 mit dem Franz-Josef-Strauß-Preis dekorierte. Und wie ostentativ gerieten die Auftritte des Ehrengastes bei den als Gipfeltreffen bürgerlich-konservativer Politik ausgerichteten CSU-Klausuren 2018 und 2019 in Wildbad Kreuth bzw. Kloster Seeon. Dazu hatte man sich den Kronzeugen für resolute Flüchtlingsabwehr innerhalb der EU geladen. Und der hieß Orbán. Diesen Despoten haben sie in Bayern zu sehr geherzt, als dass ihn Markus Söder und Markus Ferber, Mitglied der EVP-Fraktion und Vorstand der Hanns-Seidel-Stiftung, jetzt glaubwürdig schmähen könnten. Vielmehr besteht Grund zu der Annahme, dass die lauthals artikulierte Enttäuschung eine Täuschung ist. Es stricken die falschen Richter am harschen Urteil.

Da es sich bei der CSU um eine langjährige Regierungspartei auf Bundesebene handelt, sollte zudem daran erinnert werden, wie wenig die Demokratie zu bestellen hatte, als sich die Eurokrise entfaltete. Zweimal versuchten in Griechenland Regierungschefs, die Bevölkerung über auferlegte Spardiktate abstimmen zu lassen. Zunächst 2011 Giorgos Papandreou (PASOK), den Deutschland wie Frankreich in die Schranken wiesen und zur Aufgabe zwangen. Im Juli 2015 dann Alexis Tsipras (Syriza), der zwar ein Referendum abhielt, aber nichts davon hatte. Eine Mehrheit von 61 Prozent gegen erneute Auflagen war vollkommen irrelevant, als die Alternative in Brüssel lautete: Raus aus dem Euro oder tun, was verlangt wird, Demokratie abschreiben und gehorsamer Schuldner sein. Wer der Währungsunion da einen Hang zum Despotischen bescheinigte, fällte ein zutreffendes Urteil.

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