Es begann am 21. Februar

Ukraine Der Aufruhr im Osten spiegelt den Kiewer Maidan. Wer das Eine gutheißt, kann das Andere nicht verdammen. Was jetzt gebraucht wird, ist eine überparteiliche Regierung
Alexander Turtschinow beim Abschreiten der neuen Nationalgarde
Alexander Turtschinow beim Abschreiten der neuen Nationalgarde

Foto: Sergej Supinsky / AFP - Getty Images

Ist die Büchse der Pandora einmal geöffnet, gibt es kein Halten mehr. Wie oft ist in den vergangenen Monaten darauf verwiesen wurden, dass die Ukraine ein fragiler, in sich zerrissener Staat sei, der nichts weniger als Erschütterungen vertrage. Allein die angeschlagene Ökonomie und der drohende Staatsbankrott verbieten das. Warum ist dennoch alles derart außer Kontrolle geraten, dass im Osten und Süden nun gar ein Bürgerkrieg droht, sollte Kiew bei seinen Ultimaten bleiben?

Es gibt darauf im Moment keine erschöpfende Antwort, aber Vermutungen und die eine oder andere Gewissheit. Die Chance einer Eskalation zu entgehen, wurde schon am 21. Februar in Kiew verspielt. Seinerzeit hatten die Maidan-Opposition, Präsident Viktor Janukowitsch, die drei EU-Außenminister Steinmeier (Deutschland), Fabius (Frankreich) und Sikorski (Polen) einen Vertrag ausgehandelt, der den schrittweisen Rückzug des damaligen Staatschefs, vorgezogene Neuwahlen, eine novellierte Verfassung und eine Koalitionsregierung vorsah. Als Vermittler bei diesem Sondierungen – nicht als Beobachter – hatte Präsident Putin seinen Menschenrechtsbeauftragten Wladimir Lukin entsandt.

Vorerst irreparabel

Man weiß, wie dieser Versuch einer Verständigung endete. Der Vertrag galt keine 24 Stunden. Es war klarer Wortbruch, wenn sich die Anti-Janukowitsch-Leute nicht daran hielten. Dass der begangen wurde, hatte zur Folge, dass es zu einem Vertrauensbruch zwischen der EU und Russland kam, weil die Regierungen der drei Außenminister an der Selbstermächtigung des Maidan keinen Anstoß nahmen. Nicht der Hauch einer Kritik wurde laut, stattdessen ein Machtwechsel begrüßt, der einem Putsch verblüffend ähnlich sah und mit dem sonstigen Rechtsverständnis des EU schwer vereinbar sein konnte. Was in dieser Situation zwischen Moskau und der EU zerstört wurde, scheint vorerst irreparabel zu sein. Der Kreml betrachtet den 21. Februar und dessen Konsequenzen offenbar als Rechtfertigung dafür, keine Rücksichten mehr nehmen zu müssen, wenn es darauf ankommt, russische Interessen zu verfolgen. Die Annexion der Krim zeigt, wie weit man dabei zu gehen bereit ist. Sanktionen oder G8-Ausschluss hin oder her.

Niemand kann ernsthaft behaupten, dass der 21. Februar den neuen Machthabern in Kiew Legitimation verschafft hat. Eher ist das Gegenteil der Fall. Aus dem rechtlichen Defizit dieses Machtwechsels wurde ein politisches Dilemma, weil sich diese Übergangsadministration weiterhin als Konfliktpartei verstand und Entscheidungen traf, die das Land polarisierten, statt es zu beruhigen und zu versöhnen. Manches daran war und ist der Präsenz von ultranationalistischen Figuren in dieser Exekutive geschuldet, aber keine Entschuldigung. Präsident Turtschinow, Premier Jazenjuk oder Innenminister Awarow haben es versäumt, mit deeskalierenden Angeboten auf die russische Mehrheit in der Ost- und Südukraine zuzugehen. Vermutlich bewusst versäumt. Je prekärer ihre Lage wird, desto mehr und desto antirussische exponiert sich der Westen, allen voran NATO-Generalsekretär Rasmussen. Ob man das Erpressung oder Nötigung nennt, tut nichts zur Sache - vereinnahmt als Konfliktpartei wird die EU allemal. Alle Beteuerungen den Dialog mit Moskau nicht abreißen zu lassen, müssen ins Leere zu laufen, solange diese Vereinnahmung anhält.

Abkommen in Gefahr

Es ist notwendig, in diesem Zusammenhang auch auf den Zeitpunkt der Ereignisse hinzuweisen. Die Proteste in Charkow, Donezk, Lugansk und anderen Städten begannen, in eine Besetzung von Amtsgebäuden umzuschlagen, als die Konsequenzen des Gefälligkeits- und Sparprogramms der Regierung Jazenjuk gegenüber dem IWF sichtbar wurden. Vieles spricht dafür, dass eine relativ reiche Region wie der Donbass mit ihren Ressourcen nicht dafür bluten will, was die Übergangsverwaltung in Kiew an Vorleistungen gegenüber dem Westen erbringt, um an Geld zu kommen. Vor wenigen Tagen erst hat mit Rinat Achmetow einer der großen Oligarchen des Ostens eingegriffen. Als Innenminister Awarow den Aufrührern eine Frist setzte, nach deren Ablauf sie zum Ziel von Anti-Terror-Einheiten des Geheimdienstes werden könnten, vermittelte Achmetow und erwirkte einen Aufschub.

Plötzlich will Präsident Turtschinow den Aufständischen nicht nur Straffreiheit zubilligen, sondern stellt am Tag der Präsidentenwahl zugleich ein Referendum über eine verstärkte Föderalisierung der Ukraine in Aussicht. Das ist keine Wende um 180-Grad, aber ein Eingeständnis. Wenn Kiew sein Spar- und Reformprogramm nicht im ganzen Land durchsetzt, wird es zu Makulatur. Dann werden die Vorbedingung des IWF für Bürgschaften und Kreditgarantien nicht erfüllt. Es müsste ein Wunder geschehen, um den Staatsbankrott abzuwenden.

Sind unter diesen Bedingungen am 25. Mai überhaupt reguläre Parlaments- und Präsidentenwahlen möglich, um einer Regierung in Kiew die Legitimation zu verschaffen, wie sie seit dem 21. Februar entbehrt werden muss?

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen.

Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zur Wochenzeitung Freitag. Dort arbeitete es von 1996-2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

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