Abdul Hanan, ein Vater aus Afghanistan, hatte gehofft, dass seinen toten Söhnen Gerechtigkeit widerfährt, wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg Recht spricht. Diese Hoffnung hat sich zerschlagen. Hanan ist gescheitert, das Urteil fragwürdig, deshalb ein Politikum? Tatsächlich wird es nun kein Gericht mehr geben, das Abdul Hanan die Frage beantwortet, ob der deutsche Oberst Klein nicht nur moralisch verantwortlich ist, sondern auch in juristischer Hinsicht Schuld dafür trägt, dass seine Söhne, acht und zwölf Jahre alt, am 4. September 2009 in Kunduz starben. An diesem Tag befahl Klein, von Taliban gekaperte Tankwagen zu bombardieren. 142 Zivilisten verbrannten, darunter viele Kinder. Wurde ihr Tod billigend in Kauf genommen? War es ein Kriegsverbrechen?
Die Straßburger Richter wollten das nicht beantworten. Sie kamen lediglich zu dem Schluss, dazu in Deutschland eingeleitete Ermittlungen seien „ausreichend“ gewesen. Deren die Bundeswehr entlastendes Ergebnis dann wohl auch. Dieses Urteil spricht Klein ein weiteres Mal frei und legitimiert die Weigerung der Bundesregierung, Angehörige der Opfer über eine einmalige Zahlung hinaus zu entschädigen. Da in Straßburg letztinstanzlich entschieden wurde, kann die deutsche Justiz in dieser Sache nicht erneut bemüht werden. Es hat sich nie der Eindruck aufgedrängt, dass sie je bemüht war.
Der Straßburger Gerichtshof soll Menschenrechten Geltung verschaffen. Das jetzt ergangene Urteil legt nahe, das Recht auf Leben für afghanische Kinder kann nicht gemeint sein. Das Recht auf Aufklärung über tödliche Folgen militärischer Handlungen ebenso wenig. In Deutschland war es dem Kläger Abdul Hanan in mehr als einem Jahrzehnt nur zugestanden, um sofort wieder kassiert zu werden – von der Bundesanwaltschaft, dem Oberlandesgericht Düsseldorf, dem Bundesgerichtshof, zuletzt dem Bundesverfassungsgericht. Wenn Hanan mit seinen Unterstützern vor die Schranken hochkarätiger deutscher Rechtsprechung trat, ließ die ihn an sich abtropfen. Nie gerieten die Ermittlungen auch nur in die Nähe eines Schuldvorwurfs, geschweige denn einer Anklage. Sah er sich daraufhin gezwungen, bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu gehen, war das bezeichnend.
Insofern steht außer Frage, hätte Straßburg anders entschieden als geschehen, wäre deutsche Gerichtsbarkeit ins Zwielicht geraten. Dennoch hat sich eine honorige Instanz der europäischen Rechtspflege um einen Präzedenzfall verdient gemacht. Er besteht im Verfahren an sich und der Botschaft, dass Auslandseinsätze wie die in Afghanistan rechtliche Konsequenzen haben können. Dass es mit dem Verweis auf bedauerliche Kollateralschäden militärischer Operationen nicht getan und die Unversehrtheit der einheimischen Zivilbevölkerung mindestens so viel wert ist wie das Schutzbedürfnis ausländischen Militärs. Eigentlich ein ethischer Standard, der selbstverständlich sein sollte. Wenn das bei „humanitären Interventionen“ nicht der Fall ist, besagt das nur, wie sehr diese Missionen mit der Kriegsfurie im Bunde sind. Und die verschont nicht, wer ihr in die Quere kommt. In Kunduz haben das 2009 142 Menschen mit dem Leben bezahlt. Dass den Verantwortlichen für ihren grausamen Tod rechtlich nichts vorzuwerfen sei, hat in Deutschland ein Gericht nach dem anderen bestätigt. Da wirkt es fast wie eine Erlösung, dass der Straßburger Beschluss ein ultimativer ist.
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