Fehdehandschuh hingeworfen

Griechenland Würden in der EU Begriffe wie Solidarität und Gerechtigkeit nicht als Phrase verwendet, sondern beim Wort genommen, müsste man den Rauswurf der Troika begrüßen
Folgen der Troika-Politik
Folgen der Troika-Politik

Foto: Menelaos Myrillas / AFP

Die EU-Patriarchen fühlen sich in ihrer Selbstgefälligkeit getroffen, wirken aufgescheucht und genervt. Es ist dermaßen ungewohnt, Widerstand und Widerspruch erdulden und gar hinnehmen zu müssen. Von EU-Parlamentspräsident Schulz über den deutschen Finanzminister Schäuble bis zu Eurogruppenchef Dijsselbloem reagieren sie wie Zuchtmeister, denen der Zögling den erwünschten Gehorsam verweigert.

Europas Very Serious People, inklusive der medialen Entourage, wirkt von Tag zu Tag lächerlicher. Dabei ist nichts weiter passiert, als dass jemand in einem lange nicht gelüfteten Haus die Fenster aufstößt, um wieder durchatmen zu können. Die neue Regierung in Athen wirft dem abgewirtschafteten Koloss Euroland keck den Fehdehandschuh hin. Was daraufhin geschieht, war zu erwarten und wirkt einfallslos.

Bertolt Brecht hat in seinem Gericht „Lob des Zweifels“ vermerkt, was dem blüht, der das Sakrileg auf sich lädt, heilige oder als heilig gehandelte Wahrheiten abzusagen. Er schrieb: Belehrt von ungeduldigen Schulmeistern steht der Arme und hört, dass die Welt die beste der Welten ist, und dass das Loch im Dach seiner Kammer von Gott selber geplant ist.“

Lange vor dem Wahlsieg Syrizas lieferte der Zustand Griechenlands den Beweis, wie das Loch im Dach stets größer wurde. Fatalerweise konnte niemand ernsthaft behaupten, dass Gott dafür zuständig sei, stattdessen sehr irdische Urheber haftbar waren. Das konnte den Betroffenen schwerlich entgehen, sie standen schließlich im Regen. Insofern kann man die Parlamentswahl vom 25. Januar auch als Referendum verstehen, das ein eindeutiges Ergebnis hatte. Wollte man es intepretieren, käme heraus: Die Währungsunion hat einen Teil des Kontinents in ein monetäres Korsett geschnürt, so dass die Luft immer knapper und die Löcher im gewaltiger wurden. Für die Griechen wurde dabei eine Schmerzgrenze überschritten, die sie zur Gegenwehr schreiten ließ. In Spanien ist man gerade dabei, jene Grenze zu überschreiten, andere Länder werden folgen.

Keine Schande

Es ist daher ein logischer Schritt, die Troika in Athen zur Persona non grata zu erklären. Deren Rezepte haben Wertvorstellungen – wie sie die EU in ihren Prinzipien-Kompendien gern sakralisiert – auf den Kopf gestellt. Dafür gehen zu müssen, ist keine Schande, sondern überfällig.

Wer Regierungen zwingt, Sozialleistungen permanent zu kürzen, Staatseigentum zu privatisieren, den Arbeitsmarkt zu liberalisieren, Löhne und Renten zu kürzen – und das mehrfach –, Einschränkungen im Gesundheitswesen durchzusetzen, hat irgendwann den Bogen überspannt. Der Mensch hält viel aus, doch ewig hält er nicht.

Es ist eine ziemlich unverfrorene Lüge, wird jetzt behauptet, die Hilfsprogramme seien ein Akt beispielloser EU-Solidarität gewesen, für die man in Athen Dankbarkeit erwarten dürfe.

Wahr ist, die finanziellen Rettungsakte hatten vor allem den Zweck, in Griechenland exponierte Banken und die Eurozone vor den Folgen eines griechischen Staatsbankrotts zu schützen. Passend dazu lässt sich den geltenden Statuten des Euro-Rettungsmechanismus ESM entnehmen, dass Länder nur dann mit Unterstützung rechnen können, wenn ihre Schwierigkeiten die gesamte Eurozone destabilisieren können.

Donnernder Applaus

Würden in der EU Begriffe wie Solidarität und Gerechtigkeit nicht als Phrase verwendet, sondern beim Wort genommen, müsste der Rauswurf der Troika donnernden Applaus finden. Was soll man mit den Technokraten von IWF, EZB und EU-Kommission aushandeln, die stets insistieren – zu allem, was wir verlangen, gibt es keine Alternative. Solches Diktat zwang griechische Regierungen seit 2010, gegen das eigene Volk zu handeln.

Wenn Alexis Tsipras und seine Minister mit dieser Perversion von Politik brechen, hat das nichts mit verweigerter Dankbarkeit zu tun. Sie lehnen ganz einfach jeden Missbrauch von politischer Verantwortung ab. Alles andere wäre Wahlbetrug. Um so mehr haben ja die Eliten Europas um ihrer Machtvollkommenheit willen nichts Besseres zu tun, als die Abtrünnigen zu beugen und ihnen das Eingeständnis abzuverlangen: Tut uns leid, wir haben zu viel versprochen. Wer einen Wahlsieg von Podemos in Spanien verhindern will, dürfte sich von derartigem Offenbarungseid Wirkung versprechen.

Bisher ist es der Troika gelungen, mit sozialer Repression die Widerstandskraft der Betroffenen zu lähmen. Ihre Forderung, staatliche Sozialleistungen werden von den Lohnabhängigen finanziert oder finden nicht statt, ging in Griechenland soweit, selbst ein Arbeitslosengeld von weniger als 400 Euro zu besteuern. Es sollte eine Frage des politischen Anstands sein, diese Negation staatlicher Fürsorgepflicht zu beenden.

Da nun allerdings die gesamte Euro-Krisenpolitik auf dieser Negation beruht, liefert die neue griechische Entschiedenheit ein Beispiel für Europa und wird zur Gefahr für ein Wirtschaftssystem, in der Regierungen zu Marionetten einer Finanzoligarchie wurden, die sich anmaßt, über das Schicksal von Staaten und Gesellschaften zu entscheiden. Und das mit dem Anspruch auftritt, damit einer Welt zu dienen, die "die beste der Welten" ist.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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