Ein wahrer Feldherr ist nicht kriegswütig. Wenn doch, muss er irgendwann erfahren, dass er den Bogen überspannt hat und sich mit seinem bellizistischen Furor selbst schadet. Egal, ob US-Präsident Barack Obama irgendwann noch den Angriff auf Syrien befiehlt – dass der zunächst aufgeschoben ist, bedeutet nach all den Ankündigungen und dem Gerede vom sich schließenden Zeitfenster einen enormen Prestigeverlust. Und das im Nahen Osten, wo die amerikanische Ordnungsmacht längst an Geltungskraft verliert.
Die USA wollten in den syrischen Bürgerkrieg ziehen, um dort die strategische Balance zugunsten des Anti-Assad-Lagers zu verschieben, und verschrieben sich einem Vorhaben, das eine ganze Region aus den Angeln zu heben drohte. Genau deshalb und nicht wegen unbewiesener Behauptungen über einen Giftgaseinsatz der syrischen Regierung hat eine Mehrheit des britischen Unterhauses David Cameron untersagt, den Warlord zu spielen. Als dieser Kriegsfreund ausfiel, stand Obama plötzlich als einsamer Kriegsgott da. Eine Situation, wie es sie für die USA seit Jahrzehnten nie gab. Weder vor dem Irak-Feldzug 1991 noch vor der Luftintervention gegen Serbien 1999 noch 2001 beim Einmarsch in Afghanistan, geschweige denn, als ein weiterer Irak-Krieg 2003 eine imperiale Hybris spiegelte. Selbst da ging eine Koalition der willigen Vollstrecker einem US-Präsidenten zur Hand.
Die Glut schüren
Obama weicht nun lieber einen Fußbreit zurück, als einen Schritt nach vorn zu riskieren, der zu gewagt sein könnte. Besser für das Unverantwortbare die Verantwortung mit dem Kongress teilen. Oder sich dessen Kriegsmüdigkeit unterwerfen? Wir erleben die Suche nach einem Ausweg, der ein Rückzug sein kann, aber nicht muss. Die USA haben sich erneut zum globalen Gesetzeshüter ausgerufen, der gut ohne Vereinte Nationen auskommt, ohne das Völkerrecht, ohne maßhaltende Vernunft, ohne Erkenntnisse von UN-Waffeninspekteuren – allein der Wille zu Macht und Vergeltung zählt. Mit einem Halbsatz, der den Sicherheitsrat als „völlig paralysiert“ abqualifiziert, meinte Obama am Wochenende de facto: Wir sind das Imperium. Akzeptiert uns.
Hält man sich den gescheiterten Antrag vor Augen, den David Cameron dem britischen Unterhaus präsentiert hat, stößt man auf das Prinzip der humanitären Intervention. Der Premier argumentierte, Militärschläge des Westens seien notwendig, um die syrische Bevölkerung zu schützen. Obamas Beschlussentwurf, der dem Kongress vorliegt, spricht vom „Schutz der Vereinigten Staaten und ihrer Partner“, als gehe von Syrien plötzlich eine Bedrohung aus, der man sich in kollektiver Selbstverteidigung erwehren müsse. Nicht einmal die Arabische Liga, die Damaskus im November 2011 ausgeschlossen hat, lässt sich von Obama in eine solche Notwehrsituation manövrieren.
Was heißt das alles für die Regierung Merkel? Sie gehorchte bislang dem Prinzip, auch Worte sind Taten, doch Täter sein wollen wir nicht. Obama wurde bei seinem Aufmarsch gegen Syrien weder gestört noch entmutigt. Außenminister Guido Westerwelle verkündete mit vor Pathos bebender Stimme: „Wenn sich ein solcher Chemiewaffeneinsatz bestätigen sollte, muss die Weltgemeinschaft handeln. Dann wird Deutschland zu denen gehören, die Konsequenzen für richtig halten.“ Weshalb nur für „richtig halten“? Warum nicht selbst die letzte, entscheidende Konsequenz ziehen? Angela Merkel hätte dem US-Präsidenten solidarische Sätze gönnen können: Wir reden nicht nur von „Konsequenzen“ und schüren die Glut. Wir sind auch dabei, wenn es brennt. Freilich wird man auf solchen Bescheid vergeblich warten. Denn bei aller verbalradikaler Nebelwerferei gilt das Gebot höchster Vorsicht: Wer mit Worten Kriege schafft, ist ja nicht verpflichtet, daran teilzunehmen.
Das heißt, die Bundesregierung schließt einen aktiven deutschen Anteil bei einer Syrien-Intervention aus, aber es fehlt ihr an Charakter, dagegen zu sein. Stattdessen verfällt sie dem gewohnten Lavieren und Taktieren, um vor allem Schaden von sich selbst abzuwenden. Wenn die Kanzlerin erklärt, es müsse „der UN-Prozess eingehalten werden“ – sprich: der Sicherheitsrat über einen Militärschlag entscheiden –, wird eine Option suggeriert, die völlig irreal ist. Merkel könnte ebenso gut eine UN-Resolution verlangen, die allen syrischen Konfliktparteien schwere Sanktionen androht, falls sie eine Genfer Friedenskonferenz durch Vorbedingungen blockieren, wie das die Opposition seit Monaten tut. Das wäre im Sicherheitsrat so wenig durchsetzbar wie das Mandat für eine militärische Strafaktion. Die Frage lautet daher, was geschieht, falls diese Ermächtigung ausbleibt und die USA trotzdem angreifen? Wird die Bundesregierung dann politischen Beistand leisten? Oder ein solches Vorgehen missbilligen?
Als die schwarz-gelbe Außenpolitik am 17. März 2011 einen ihrer lichten Momente hatte, enthielt sich Botschafter Peter Wittig im UN-Sicherheitsrat bei der Libyen-Resolution 1973 der Stimme und verweigerte einem absehbaren Waffengang der NATO die Gefolgschaft. Danach wurde in Berlin Erschrecken vor der eigenen Courage simuliert und insistiert: Dieses Votum signalisiere natürlich keine neu ausgerichtete Außenpolitik, weil Deutschland nichts davon halte, durch Interventionen Regimewechsel zu erzwingen.
Obsession des Durchmogelns
Wie zur Bestätigung dieses ambivalenten Verhaltens gab es widersprüchliche Statements: Außenminister Westerwelle redete von einer Kultur der militärischen Zurückhaltung – Verteidigungsminister de Maizière von globaler Machtprojektion, Auslandseinsätze der Bundeswehr müssten überall möglich sein. Man war bei Libyen eben nicht aus Überzeugung in Deckung geblieben, sondern aus Furcht vor innenpolitischen Kollateralschäden eines deutschen Parts beim Gaddafi-Sturz. Sich propagandistisch nach Kräften einmischen, das schon – aber so richtig verwickelt werden?
Dieses Gebaren wirkt wie ein Präzedenzfall für Merkels Politik des Durchmogelns, die unter ihrer Kanzlerschaft zur politischen Tugend erhoben wurde. Was bis heute wenig Anstoß erregt – denn eine postheroische, risikoscheue Gesellschaft verlangt genau das. Sie findet mit einer Politik des Hakenschlagens ihren Hedonismus bedient und muss nicht zur Umfragekeule greifen, um die Regierung zu strafen.
Hätte es nach dem Libyen-Votum im Sicherheitsrat statt Angst vor der eigenen Courage Mut zur Haltung gegeben, wäre Merkel aufgestanden, um im Namen einer gescheiterten Interventionsmacht den Verbündeten zu sagen: Krieg in Afghanistan wie im Irak bezeugten irreparable Schadensfälle des Interventionismus. Also lasst es sein! Die von Deutschland beanspruchte Führungsrolle in der EU hätte sich für Europa und die Welt einmal ausgezahlt. Aber ohne Haltung keine Botschaft. Ein Angriff auf Syrien lässt sich so nicht abwenden.
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