Wenn sich die schwarz-gelbe Regierung einmal einig sein, etwas zustande bringen und zukunftsweisende Beschlüsse fassen will, gibt es einen Königsweg: Die DDR exhumieren und die Würmer besorgt fragen, warum es nicht schneller geht. Wozu da noch so viel übrig ist. Dabei erscheint es zuweilen politisch hilfreich, dass die viel übrig lassen, worüber man sich hermachen kann. Gemeint ist ausnahmsweise nicht die gerade zelebrierte Geschichtsvergessenheit zum 20. Jahrestag des Einigungsvertrages, mit dem am 31. August 1990 ein ganzes Land in die Zweitklassigkeit geschickt wurde. Auch nicht unbedingt die Debatte um die gedämpfte Einheitsfreude des brandenburgischen Ministerpräsidenten Platzeck, der nun noch einmal nachlegt, wenn er künftig das „Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt“ von Johannes R. Becher und Hanns Eisler in eine bundesdeutsche Hymne verpflanzt wissen will. Eine Dichtung des bekennenden Kommunisten und DDR-Kulturministers zu staatsoffizellen Weihen gebracht in einem Land, dessen Mehrheit Wolf Biermann für links hält. Wo soll das nur enden?
Darum soll es hier allerdings auch nicht gehen. Stattdessen um die in der Sommerpause lancierte Schwarz-Gelb-Idee gehen, Stasi-Überprüfungen für leitende Mitarbeiter des Öffentlichen Dienstes nicht 2011 auslaufen zu lassen, sondern bis 2019 zu verlängern. Was kann man mehr tun für die innere Einheit, als die Ostdeutschen auch 30 Jahre nach deren Vollzug unter Pauschalverdacht zu stellen? Was ist es sonst? Wer sich 2019 für die Leitungsebene im öffentlichen Dienst bewirbt, muss über 50 sein (beim grassierenden Jugendwahn schwer denkbar), um gegen Ende der DDR wenigstens 20 gewesen zu sein – ein 2019 Vierzigjähriger war 1989 neun, als die DDR der Schwindsucht verfiel. Gerade neun und schon von Erich Mielke rekrutiert?
Die Bewährungsfrist für den Osten auf 30 Jahre hochzuschrauben, ist andererseits nur konsequent. Eine solche Frist existiert nach geltendem Strafrecht für Mörder, Raubmörder und schwere Totschläger. Warum nicht ehrlich sein und schlichtweg erklären, wie suchen nach IM und Geheimdienstmitarbeiter bis 2019 so lange wie nach Mördern und Totschlägern?
Weniger Leidenschaft als dieses Vorhaben versammelt freilich das allein von der FDP angeregte Anliegen, alle Bundestage seit 1949 auf Stasi-Kontakte zu durchleuchten. Gar keine Idee hat Schwarz-Gelb, wenn es um die BND-und Verfassungsschutz-Kontakte dieser Parlamente geht. Sind es die Spione im Dienste der freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht wert, der Öffentlichkeit präsentiert zu werden? Was gibt es zu verbergen? Welche Honorare sind geflossen? Wie teuer waren die Kundschafter im Auftrag der Demokratie?
Leider bringt es der herrschende Zeitgeist nur bis zur Fledermaus, wenn er der Geschichte auf Augenhöhe begegnen und uns die Welt erklären will. Als jüngst der letzte DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière meinte, die DDR sei „kein vollkommener Rechtsstaat“ gewesen, „aber sie war auch kein Unrechtsstaat“, wurde er von Kulturstaatsminister Neumann, einer der letzten Leuchttürme aus der Kohl- und Spendenaffären-Ära der CDU, sofort belehrt, selbstverständlich sei die DDR „Unrechtsstaat“ gewesen und zwar „durch und durch“ .
Gerade las ich eine Sammlung von Aufsätzen über die Widerstandsgruppe um Harro Schulze-Boysen oder Arvid Harnack (von der Gestapo „Rote Kapelle“ genannt), herausgegeben von der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin. Ein Text dieser Edition war dem bundesdeutschen Nachkriegs-Dasein der Richter und Ankläger des Reichskriegsgerichtes gewidmet, das seinerzeit die Todesurteile fällte und Schulze-Boysen, Harnack, Coppi, Kuckhoff, Graudenz, Heilmann, den 19-Jährigen, Kurt Schumacher, den Bildhauer, und viele andere unter den Strang schickte. Es waren die gleichen Richter, die Mildred Harnack Ende 1942 im ersten Verfahren zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilten und – als Hitler das Urteil nicht bestätigen wollte – willfährig genug waren, gegen sie gleichfalls die Höchststrafe zu verhängen, so dass die Verurteilte am 5. März 1943 unter dem Fallbeil starb. Keiner dieser Juristen des III. Reiches hat in der Bundesrepublik Deutschland jemals vor Gericht gestanden, gekürzte Pensionen hinnehmen müssen oder Überprüfungen auf seine Verfassungstreue erfahren. So funktioniert eben ein Rechtsstaat, der von sich behaupten kann, dies „durch und durch“ zu sein.
Kommentare 8
Naja... viel "knistert" nicht mehr. Vielleicht die Knöpfe vom Krause-Jacket, weil der Vereiniger "Ost" ganz schön dick geworden ist. Der Normalo hätte den Termin fast vergessen.
Spass haben sicher immer noch westdeutsche Personalchefs, wenn sie ostdeutsche Zeugnisse und die Bewertungen in den Staatstreuefächern sehen.
Für den Ostgelernten bleibt die Gewissheit, dass das vereinigte System "West" auch nicht effektiver arbeitet als der marode Ex-Osten. Das dürfte fast Konsens sein.
Ich frage mich nur, warum die FDP die Frist verlängern will. Etwas charakterschwache und opportunistische Figuren in öffentlichen Spitzenämtern kämen doch ihrer Klientel nicht gerade unrecht - oder?
Da ist was dran, aber man könnte es hier auch mit einem Vorgriff auf eine wieder stärkere Hervorkehrung der FDP als Bürgerrechtspartei haben.
Der einzige FDP-Politiker, der immer wieder wegen seiner Kontakte zum DDR-Geheimdienst angeführt wurde, ist William Borm. Warum die nun noch einmal alle durchprobieren wollen, kann nur mit der Vorstellung zusammenhängen, dass man das Skandalpotential ausschöpfen will, dahinter kann man noch manche Gesetzesinitiative verstecken.
- „Was die Mauer betrifft, so lassen wir uns nicht deren Schutzfunktion ausreden – ganz einfach, weil wir den Schutz spüren vor all dem, was hinter der Mauer an brauner Pest wuchert.“ Ullrich Junghans, 1989 im Bauernecho, später Wirtschaftsminister und Chef der brandenburgischen CDU
- Cornelia Pieper, FDP, Staatsministerin im Auswärtigen Amt von 1987 bis 1990 beim Bezirksvorstand der LDPD in Halle
- Dieter Althaus, ehem. Ministerpräsident Thüringen www.sueddeutsche.de/politik/thueringens-ministerpraesident-in-der-kritik-eine-heikle-empfehlung-1.528975
-Uns Angie, "... Hans-Jörg Osten erinnert sich an eine junge Frau, die sich eifrig in der FDJ-Gruppe der Akademie engagierte ... Anfang der neunziger Jahre hat sie in einem Gespräch mit Günter Gaus gesagt, dass sie gern in der FDJ war. ..."http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-67682698.html
Unter den ostdeutschen Kommunal-, Landes- und Bundespolitikern findet sich ein Vielzahl von Mandatsträgern, die als Mitglieder der sogenannten Blockparteien in der Nationalen Front, dem Bündnis aller patriotischen Kräfte unter der Führung der geeinten Arbeiterklasse und ihrer revolutionären Partei (SED) ihre politische Sozialisation begannen, am Aufbau des ersten sozialistischen Staates auf deutschem Boden aktiv mitwirkten und die von Honecker ausgerufene Doktrin von der "Hauptaufgabe der Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik" aktiv mittrugen.
Die am meisten opportunistischen (charakterschwachen) Kräfte der ehemalige DDR finden sich auf allen Parlamentsebenen im bürgerlichen Lager. So lange die Möglichkeit der Enttarnung ehemaliger Stasi-Adepten besteht, sind dies jedoch nicht erwähnenswerte und relevante Petitessen.
Nein, nicht nur in den Blockparteien. Auch SED-Mitglieder können in der FDP Karriere machen, es sogar zeitweilig bis zum Fraktionsvorsitzenden im Landtag von Brandenburg schaffen.
Hans-Peter Goetz heißt dieser gute Mann. Allerdings fällt bei einem Blick auf seine Vita auf, dass er einen Teil seiner Vergangenheit unterchlägt.
Also schauen wir bei Wikipedia nach und finden dort folgendende Eintragung:
" Von 1987 bis 1990 absolvierte er ein postgraduales Studium an der Akademie für Rechts- und Staatswissenschaft in Potsdam-Babelsberg. In dieser Zeit war er bis 1989 auch SED-Mitglied."
Und noch ein Wort zu dieser "Kaderschmiede":
"Die Deutsche Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft „Walter Ulbricht“ mit Sitz in Potsdam später umbenannt in Akademie für Rechts- und Staatswissenschaft der DDR war eine Institution zur Aus- und Weiterbildung der leitenden Beschäftigten im Staatsapparat, dem diplomatischen Dienst und der Justiz der DDR."
Was sagt uns das? Es gibt also doch gute und schlechte Genossen? Je nach Bedarf.
"... So lange die Möglichkeit der Enttarnung ehemaliger Stasi-Adepten besteht, sind dies jedoch nicht erwähnenswerte und relevante Petitessen.2
Ich befürchte, das wird sich auch nicht mehr ändern, die einen sind geadelt durch ihre DDR-Biografie, die vom Wind des Zeitgeistes durchzogen wurde, die anderen, die nach Möglichkeit alles so erzählen, wie es war - haben das Nachsehen.
Die Bewährungsfrist für den Osten auf 30 Jahre hochzuschrauben, ist andererseits nur konsequent. Eine solche Frist existiert nach geltendem Strafrecht für Mörder, Raubmörder und schwere Totschläger.
wir suchen nach ... genauso lange wie ...BewährungVerjährung
§ 78 StGB
Taten, die mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht sindRaubmörder[n] und schwere[n] Totschläger[n]
§ 251 StGBRaub mit TodesfolgeVerursacht der Täter durch den Raub (...) wenigstens leichtfertig den Tod eines anderen Menschen (...)BGH GSSt 1/92
zwanzig
§ 212 Abs. 2 StGBIn besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.
§ 78 StGBDie Frist richtet sich nach der Strafdrohung des Gesetzes, dessen Tatbestand die Tat verwirklicht, ohne Rücksicht auf Schärfungen oder Milderungen, die nach den Vorschriften des Allgemeinen Teils oder für besonders schwere oder minder schwere Fälle vorgesehen sind.
schwereist§ 212 Abs. 1 StGBzehn
Mord — nie.
Raubmord — als Mord nie, als Raub mit Todesfolge zwanzig Jahre.
Totschlag — zehn Jahre.
Auf die ominösen dreißig Jahre, von denen Herr Herden berichtet, kommt man also hier nirgendwo.
6. Es könnte natürlich allem Anschein zum Trotze tatsächlich sein, daß Herr Herden nicht die Verjährung, sondern die Aussetzung zur Bewährung meinte. Die Bewährungszeit ist geregelt in § 56a Abs. 1 Satz 2 StGB: »Sie darf fünf Jahre nicht überschreiten und zwei Jahre nicht unterschreiten.«. Eine dreißigjährige Bewährungszeit gibt es also auch nicht.
An Ihrer Stelle würde ich also diesen Absatz wegen vollständiger Unrichtigkeit einfach streichen.
Viele Grüße,
Josef Allensteyn-Puch