Sicher, am Anfang war das Wort. Aber das Bild ist stärker und kann jedes Wort aus den Angeln heben. Als im März 1968 die Fotos des von US-Marines angerichteten Massakers in der südvietnamesischen Gemeinde My Lai weltweit publiziert wurden, hatten sich die Beteuerungen amerikanischer Präsidenten erledigt, ihre Soldaten würden Freiheit und Menschenrechte nach Indochina tragen. Dem Erlebniswert oder der Erkenntniswucht einer Filmsequenz oder Fotografie lässt sich nun einmal schwer beikommen. Das gilt auch dann, sollte Wirklichkeit selektiv widergespiegelt sein und der Wahrheitsgehalt einer optischen Botschaft zweifelhaft erscheinen.
Aus diesem ewigen Spannungsverhältnis ergibt sich das Grunddilemma der soeben eröffneten Ausstellung des Deutschen Histori
tellung des Deutschen Historischen Museums zu Berlin „Farbe für die Republik – Auftragsfotografie vom Leben in der DDR“. Sie misstraut ihren Objekten nach Kräften, kämpft nicht nur, sondern rennt förmlich dagegen an und will schlecht reden, was aus Sicht der Kuratoren schön färbt. Will heißen, das überlieferte Medienbild von der mutmaßlich schönen Welt des Sozialismus kollidiert mit dem herrschenden Geschichtsbild von der mutmaßlich hässlichen Welt des Sozialismus. Es soll daher eingehegt – sprich: relativiert und kontextualisiert – werden. Thierses ZertifikatDoch der Reihe nach. Die Schau greift auf private Archive der freiberuflichen Fotografen Marin Schmidt (geb. 1925) und Kurt Schwarzer (1927 – 2012) zurück. Beide haben seit den fünfziger Jahren die DDR-Illustrierte Für Dich, das Magazin des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes FDGB oder die Zeitschrift Straßenverkehr mit Bildreportagen versorgt. Sie fotografierten in Betrieben, Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften, Kindergärten und Jugendklubs, sie arbeiteten für Kataloge des Versandhandels oder Werbeprospekte der Leipziger Messe. Wenn die Ausstellungsmacher erklären, man dokumentiere dank dieses Fundus „offizielle journalistische Bildproduktion der DDR“, ließe sich einwenden, dass vorwiegend die sechziger und siebziger Jahr erfasst sind, die brisanteren achtziger aber entbehrt werden müssen. Auch fehlen politische Motive, die – so darf man angesichts tradierter DDR-Forschung wohl annehmen – für den Markenkern des DDR-Bildjournalismus stehen: die zum Beweis einer durch-kollektivierten Gesellschaft gern gezeigten Umzüge am 1. Mai oder die Paraden der Kampftruppen. Diese vermeintlichen Sinnbilder werden ausgespart, Schmidt und Schwarzer stattdessen als Chronisten unaufgeregt wirkender Alltäglichkeit in Beruf, Familie und Freizeit zitiert. Die Aufnahme sind weit entfernt von den künstlerischen Ambitionen einer Sibylle Bergemann oder eines Arno Fischer, verzichten auf das eindrucksvolle Porträt oder eine subtile Bildsprache, verlassen sich lieber auf eine unverkrampfte, zuweilen arrangiert wirkende Sachlichkeit. Wenig erstaunlich genießen Arbeitsmilieus und darinnen wiederum arbeitende Frauen Priorität. Die Bäuerin auf dem Traktor, die Näherin über ihre Singer-Maschinen gebeugt, die Kindergärtnerin mit ihren Schutzbefohlenen beim Herumspazieren, die Blondine im Schaumbad vor Kacheln blau – alle Motive unterliegen selbstredend der Aufsichtspflicht von Political Correctness. Es giltfür diese Exposition das Prinzip: der Betrachter sieht falsch, solange nicht richtig gestellt ist, was er eigentlich sieht. Also wird pädagogisierende Nachhilfe erteilt und die Sprache der Bilder durch Statements von Zeitzeugen, Historikern und Journalisten ins heutige Bewusstsein übersetzt, auf dass sich niemand in der schönen bunten Welt des Sozialismus verirre und weltanschaulich Schaden nehme. Manche dieser Beistellungen wirken erstaunlich platt und historisch undifferenziert, wenn dabei die Absicht gar zu mächtig aus den Nähten platzt. Nicht so bei Ex-Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD), der zu Bildern von Arbeitern aus dem VEB Transformatorenwerk Oberspree in Ostberlin über das Arbeiterbild in der DDR nachdenkt. Er erinnert zu recht daran, dass die DDR eine „arbeiterliche Gesellschaft“ gewesen sei. „Die Arbeit stand im Mittelpunkt“. Keine propagandistische Floskel, sondern eine Realität, aus der sich Lebenssinn, Erwerbsstandard und Sozialverhalten ergaben. Das Selbstverständnis der Ostdeutschen wurde dadurch geprägt, dass man Arbeit hatte, die einem nicht ohne weiteres genommen werden konnte. Es habe ein „eigentümliches Selbstbewusstsein von Arbeitern in der DDR“ gegeben, schreibt Thierse und bleibt bei seinem Befund die Ergänzung schuldig: Dieses „eigentümliche“ korrespondierte mit einem „selbstverständlichen Selbstbewusstsein“ und entsprang der Gewissheit, ohne den versierten Facharbeiter und sein Engagement konnten Produktionsziele getrost vergessen werden. Der DDR-Sozialismus wollte der zur Macht auserkorenen Arbeiterklasse dieselbe zwar nicht geben, verschaffte aber dem arbeitenden Menschen einen Stellenwert, der seiner Leistung in der Gesellschaft mehr gerecht wurde als je zuvor in der Geschichte. Wovon man heute im Osten Deutschlands wieder epochenweit entfernt ist. Wolfgang Thierses Partei kann für sich in Anspruch nehmen, dank des Disziplinierungsprügels Hartz IV mit dafür gesorgt zu haben, dass es so ist. Grüßen der Gessler-HüteWer das einräumt, kollidiert freilich mit einer Gauck-Aussage, jüngst formuliert auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Man lebe im besten Deutschland aller Zeiten, insistierte der Bundespräsident. Damit das nicht bezweifelt wird, kommen Ausstellungen wie die im DHM gerade recht. Sie verhehlen ihren weltanschaulich imprägnierten Bildungsauftrag beim Thema Auftragsfotografie nicht im Geringsten und können guten Gewissens für Schulexkursionen empfohlen werden. Diese Schau verkündet mehr über den aktuellen Zeitgeist als eine dem historischen Tiefschlaf entrissene Medienwelt. Einerseits soll die DDR nicht im Schrein des Vergessens eingesargt werden, andererseits darf das Erinnern nicht zu Dogmen geronnene Deutungsmuster erschüttern. Es gilt: Bitte glauben Sie nicht, was Sie sehen, sondern was wir Ihnen dazu sagen. Günter Gaus sprach einst vom notorischen Zwang zum Grüßen der Gessler-Hüte. Auf diese Ausstellung gemünzt: Wer der DDR näher tritt, muss ihr erst einmal zu nahe treten. Alles andere verstößt gegen die guten Sitten.