Frohlockende Revanche

Humboldt Forum Mitten in Berlin thront ein Kreuz auf einem Schloss. In der Stadt ohne Zentrum gibt man sich offenbar ganz der restaurativen Obsession hin
Ausgabe 23/2020
Mit einem Spezialkran wurde am 29. Mai die 17 Tonnen schwere Laterne mitsamt dem Kreuz auf das Berliner Stadtschloss gehievt
Mit einem Spezialkran wurde am 29. Mai die 17 Tonnen schwere Laterne mitsamt dem Kreuz auf das Berliner Stadtschloss gehievt

Foto: Imago Images/epd

Es ist überliefert, dass Hauptmann Pabst von der Garde-Kavallerie-Schützen-Division im Berliner Eden-Hotel am Abend des 15. Januar 1919 der vor ihm sitzenden, todgeweihten Rosa Luxemburg erklärte: Nicht Sie und Ihre jämmerlichen Verbündeten sind die Macht im Staat. Wir sind das. Gemeint waren Armee, Freikorps, deren Geldgeber, die monarchistische Reaktion – die Stützen der Gesellschaft.

Über einen Mangel an vergleichbaren Auskünften kann sich der östliche, für 40 Jahre aus dem Ruder gelaufene Teil Deutschlands seit 1990 nicht beklagen. Mal plump, mal perfide, manchmal vorsichtig, zumeist unmissverständlich wird ihm bedeutet, wer das Sagen hat. Soeben sorgt das reanimierte Berliner Stadtschloss für eine erneute Klärung des längst Verinnerlichten: Das Bauwerk sieht sich gekrönt. Die Kuppel trägt nun ein goldenes, weithin sichtbares Kreuz. Es wird auf das Zeichen eines in Deutschland stets auch staatskirchlichen Christentums gesetzt, das willig segnete, was es zu segnen galt, von brutaler Kolonialpolitik bis zu den Waffen eines eroberungswilligen Heeres.

Womit sich der Eindruck erhärtet, dass in einer Stadt ohne Zentrum an einem zentralen Ort die restaurative Obsession Vorrechte genießt, die sich auskosten lassen. Nicht nur, weil mit diesem Schloss einst die Hohenzollern auf repräsentative und reale Macht bedacht waren, sondern weil im Hintergrund ein Vorspiel rumort.

Mit dem Abriss des „Palastes der Republik“ zwischen 2006 und 2008 konnte ein gestürztes System noch einmal gestürzt werden. Und das nicht irgendwo, sondern dort, wo die DDR ihrerseits Geschichte schreiben und Präsenz zeigen wollte. Das am einstigen Marx-Engels-Platz errichtete „Haus des Volkes“ konnte für sich einen besseren Ruf beanspruchen als die Gesellschaft, die sich damit in Szene setzte. Einen solchen Bau über Jahre hinweg in aller Öffentlichkeit zu schleifen und einzutauschen gegen die Wiederkehr des Gestrigen, spricht Bände. Für eine triumphale Geste der historischen Revanche ließ sich kein geeigneterer Ort finden. Unter dem Kreuz können sich die Schloss- und Schirmherren nun heimisch fühlen und müssen nicht länger bestreiten, worauf es ankommt. Ist es so abwegig, dafür die Formel „So viel Schloss wie möglich, so viel Humboldt Forum wie nötig“ zu finden?

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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