Front der Standhaften

Erdoğan Wie soll der türkische Präsident behandelt werden, wenn er im September Deutschland einen Besuch abstattet? Diese Frage erregt schon jetzt die Gemüter
Ausgabe 31/2018
Erdoğan zur Persona non grata zu erklären, brüskiert die 3,5 Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln in Deutschland
Erdoğan zur Persona non grata zu erklären, brüskiert die 3,5 Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln in Deutschland

Foto: John Macdoughall/AFP/Getty Images

Gelegentlich gibt es noch Hoffnung, hierzulande könnten Debatten geführt werden, ohne dass aufgeweckte Überzeugungstäter den Ton vorgeben. Doch sie ist vergeblich. Allein die Aussicht auf einen offiziell noch gar nicht bestätigten Besuch von Präsident Erdoğan in Berlin löst notorische Reflexe aus. Umgehend formiert sich gegen diese Visite eine Front der Standhaften, die ihr Urteil für unverzichtbar halten. Allerdings sollte – wer den „autoritären Alleinherrscher“ (Cem Özdemir) geißelt – auch die sich daraus ergebenden Konsequenzen ziehen. Wird ein Staatschef zur Persona non grata erklärt, muss dann nicht der Umgang mit seinem Staat angepasst werden?

Ist ein auf gegenseitigen Bestand ausgelegtes Militärbündnis mit der Türkei noch tragbar? Wären nicht die verschleppten, im Prinzip aussichtslosen Sondierungen über einen EU-Beitritt ein- für allemal aufzugeben? Freilich müsste man sich darüber im Klaren sein, dass ein solcher Affront Ankara zum propagandistischen Paukenschlag reizt. Und inwieweit hätte sich die 2016 – immerhin mit Erdoğan persönlich – ausgehandelte und vertraglich sanktionierte Flüchtlingsabwehr erledigt? Wie lässt sich ein solcher Deal mit einem Staat aufrechterhalten, dessen Präsident in Berlin als Staatsgast nicht mehr tragbar ist? Schließlich richten sich die Russland-Sanktionen auch nicht gegen Wladimir Putin persönlich, sondern die gesamte Russische Föderation.

Ausgerechnet in einer Zeit, da die Debatte über Rassismus und Integration in Deutschland mit viel destruktiver Inbrunst geführt wird, Erdoğan zum quasi unerwünschten Ausländer zu erklären, wirkt erstaunlich instinktlos. Es brüskiert die 3,5 Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln in Deutschland, unter denen AKP-Anhänger keine verschwindende Minderheit sind. Gerade sie dürften sich in ihrem Gefühl bestätigt fühlen, als politisch unzurechnungsfähig zu gelten, weil sie Erdoğan für „ihren Präsidenten“ halten, der es verdient hat, mit Respekt behandelt zu werden.

Ein offizieller Besuch in Deutschland muss noch lange nicht voller Ehrerbietung mit Staatsbankett und großem Protokoll zelebriert werden, aber er bietet eine Chance zum Dialog. Und die sollte zwischen Staaten ergriffen werden, die nicht etwa verfeindet, sondern darauf angewiesen sind, miteinander auszukommen.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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