Wen hätte die Bundesregierung nach Kiew entsandt, wäre Petro Poroschenko für eine zweite Amtszeit vereidigt worden? Vermutlich nicht einen stillgelegten Bundespräsidenten wie Christian Wulf, dem dazu noch der Makel des gescheiterten Staatsoberhaupts anhaftet. Da Angela Merkel für Poroschenko Wahlkampf machte, indem sie ihm zwischen dem ersten und zweiten Wahlgang eine Audienz im Berliner Kanzleramt gewährte – Selenski aber links liegen ließ –, wäre mindestens Außenminister Maas fällig gewesen. Wenn der nicht, dann statt des gewesenen, der aktuelle Bundespräsident – oder irgendein Minister. Wird stattdessen Wulf entsandt, ist das ein Statement und als solches ein Understatement. Man kann auch auf Affront plädieren, der trefflich konterkariert, was ständig an Sprüchen der Anteilnahme gegenüber der Ukraine geklopft wird. Das diplomatische Protokoll als Krücke, um Selenski zu prügeln?
Auf der Bundespressekonferenz zu Wochenbeginn hieß es, die Terminlage habe keine andere Besetzung zugelassen. Ein merkwürdiges Argument, wenn man sich erinnert, dass zu anderen Zeiten ganze Flugzeugladungen bundesdeutscher Politiker nach Kiew wallfahrteten, die sich dort unentbehrlich wähnten. Genauso gut, hätte man mitteilen können, die Kanzlerin habe schließlich nur die bekannten drei Blazer und müsse haushalten, sprich: entscheiden, was sie wann wo zeige.
Auf Russisch angesprochen
Offenbar herrscht in Berlin die Auffassung, dass sich ein Komödiant die Präsidentschaft in Kiew erschlichen hat, dessen Amtsübernahme es nicht verdient, von bundesdeutschen Honoratioren gerahmt zu werden, die noch nicht a.D. sind. Andere Länder sahen das anders. Selenski in Kiew direkt gratulieren wollten die Staatschefs Ungarns, Litauens, Estlands und Georgiens, dazu der kanadische Verteidigungsminister Harjit Singh sowie eine Delegation der EU-Kommission.
Dass aus Berlin eher die dritte Garnitur angereist war, deutet auf mehr als nur abwartende Reserviertheit gegenüber einem Präsidenten, der sich schon am ersten Tag in einen Machtkampf mit dem Parlament – besser: dem Maidan-Establishment – begeben hat. Offenbar will er nicht nur mit der Ära Poroschenko brechen, sondern auch deren personelle Hinterlassenschaft abservieren, um überhaupt regieren zu können. Von der Arbeit der jetzigen Abgeordneten in der Rada halte er wenig, so Selenski, diese würden viele Interessen, „nur nicht die des Volkes“ vertreten.
Was noch mehr aufhorchen ließ, war die Art seines Bekenntnisse, sich für einen Frieden im Donbass einsetzen und dafür notfalls auch unpopuläre Entscheidungen treffen zu wollen. Selenski sprach die Bewohner der Gegend um Donezk und Luhansk in russischer Sprache direkt an, um ihnen zu sagen, dass die Regierung Poroschenko nichts dafür getan habe, dass sie sich als Ukrainer fühlen könnten. Im Gegenteil, ließe sich ergänzen, dieser Teil der Ostukrainer wurde als terroristisch und willige Gefolgschaft Moskaus denunziert.
Macht konserviert
Nach außen hin hat das die Regierung Merkel stets hingenommen und gebilligt, dass Poroschenko die Auflage des Minsker Abkommens vom Februar 2015 (Minsk II) mit penetranter Bosheit ignorierte, dem Donbass eine vom ukrainischen Staat garantierte, weitgehende Autonomie zuzugestehen. Stattdessen wurde der Konflikt in dem Glauben konserviert, dadurch ebenfalls Regierungsmacht zu konservieren, die auf Gunst und Beistand führender EU-Staaten wie Deutschland angewiesen blieb. Poroschenko hat während seiner Amtszeit die Ukraine mehrfach unter Kriegsrecht gesetzt, aber realistische Friedensangebote vermissen lassen. Es wurde nie der Versuch unternommen, auf einer solchen Basis mit Russland wieder ins Gespräch zu kommen – ausnahmsweise auch einmal außerhalb des Normandie-Formats.
Dieses Verhalten wurde am 21. April bei der Stichwahl um die ukrainische Präsidentschaft von 73 Prozent der Wählerinnen und Wähler nicht gutgeheißen. Die deutsche Ukraine-Politik wird sich darauf einstellen müssen, sollte Selenski wirklich einen anderen Kurs verfolgen als sein Vorgänger.
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