Fußball-WM: Kampagne gegen Katar ist überzogen

Meinung Wer darf künftig noch WM-Ausrichter sein? Unser Autor Lutz Herden findet, dass die Angriffe auf den Gastgeber Katar an Heuchelei und Doppelmoral kaum zu übertreffen sind
Ausgabe 46/2022
Die diesjährige Fußballweltmeisterschaft sollte das Image Katars aufpolieren – bislang hagelt es eher Kritik
Die diesjährige Fußballweltmeisterschaft sollte das Image Katars aufpolieren – bislang hagelt es eher Kritik

Foto: Kirill Kudryavtsev/AFP via Getty Images

Woher diese Vehemenz? Das Katar-Bashing übertrifft, was es an Polemik gegen Olympia-Ausrichter wie Russland und China bei den Spielen 2014 in Sotschi wie 2022 in Peking gab. Offenbar wird der Sog einer medialen Kampagne irgendwann so stark, dass zwangsläufig hineingezogen wird, wer auf seinen Leumund bedacht sein muss. Ächte diese WM als Sündenfall oder du wirst selbst dazu. So muss der deutsche Spielführer stets von Neuem erklären, weshalb er keine Kapitänsbinde in den klassischen Regenbogenfarben tragen wird. Manuel Neuer ist nicht zu beneiden. Er darf mit keiner Silbe anklingen lassen, wie sehr ihn der Gratismut von Sportmoderatoren anödet, die von ihm verlangen, was sie sich selbst nie abverlangen. Vor allem muss er ausblenden, dass sein Arbeitgeber, der FC Bayern München, und Qatar Airways Beziehungen zum gegenseitigen Vorteil pflegen. Auch hat die Mannschaft zuweilen im Wüstenstaat gastiert, ohne darunter sichtlich gelitten zu haben. Sonst soll man sich am Branchenprimus ein Beispiel nehmen. Diesmal nicht?

Kritik am Ausrichter dieses Championats ist gewiss berechtigt, aber muss sie derart auf Doppelmoral erpicht sein? Wer kann allen Ernstes die verlogene Attitüde dieses Sittengerichts ertragen? Olaf Scholz und Robert Habeck kannten keine Skrupel, in Doha um mehr Erdgas zu verhandeln. Katar war Deutschland als Partner willkommen, als man sich 2011 in die Front gegen Syriens Baschar al-Assad einreihte. Katar wurde nicht als Warlord geächtet, weil es an der Seite Saudi-Arabiens dem Jemen Tod und Verderben brachte. Immer standen westliche Interessen über westlichen Werten.

Warum die jetzt geltend machen? Um Katar zu bedeuten, für diese WM ein Ausrichter unter Wert zu sein? Hierzulande geht zusehends das Gefühl dafür verloren, wie sehr es andere Gesellschaften beleidigt, in den Geruch des Anrüchigen und Verpönten gebracht zu werden. Das widerfuhr Griechenland während der Eurokrise, das erfährt Russland seit Jahrzehnten. Diesmal wird vom hohen Ross des moralischen Rigorismus ein überregionales Sportereignis in einem Maße politisiert, dass ein Präzedenzfall daraus wird. Die Lehre aus Katar wird lauten: Titelkämpfe dieses Kalibers sind nur noch an Staaten von untadeligem Ruf zu vergeben. China, Russland, die arabischen Autokratien scheiden dann als unwürdige Kantonisten aus; Afrika, Teile Lateinamerikas und Asien aus ökonomischen Gründen. Bleiben Europa, Nordamerika und Australien. Der Westen unter sich und mit einer handverlesenen Sportwelt versehen. Die hätte zwar mit der völkerverbindenden Idee des Sports nur noch wenig zu tun, wäre aber eine exklusive Veranstaltung. Wer dazugehört, entscheiden nicht mehr Leistungskurven, sondern Weltbilder. Kulturkampf im Sport ist ein ätzendes Gift, das dazu taugt, ihn zu zerstören.

Handelt es sich mit dieser WM wirklich um ein durch und durch verabscheuungswürdiges Ereignis, warum streichen dann ARD und ZDF nicht sämtliche Live-Übertragungen und senden dreiminütige Summarys der Spiele, wenn überhaupt? Man könnte alle Werbeblöcke canceln und darauf verzichten, die Pensionskassen für das Spitzenpersonal der Öffentlich-Rechtlichen zu füllen. Sind die Menschenrechte in Katar dieses Opfer nicht wert? Wer den hohen Ton so liebt und die politische wie soziale Kultur des Emirats als Zumutung empfindet, dem wird die starke Botschaft ein Bedürfnis sein.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

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