Wer einen Partner als Rivalen erkannt hat und damit rechnet, dass daraus ein Gegner wird, der ist gut beraten sein, schon einmal die Instrumente zu zeigen. Aber diese Demonstration sollte Eindruck hinterlassen und keine Momentaufnahme aus dem Versuchslabor sein. Was Außenminister Maas soeben in einem Artikel (Handelsblatt vom 22. 8. 2018) über eine „balancierte Partnerschaft“ mit den USA als Gegengewicht zum unberechenbaren Unilateralismus der Trump-Regierung auffährt, gehört weitgehend in die Kategorie Wunschvorstellung.
Ob es sich um eine Europäische Sicherheits- und Verteidigungsunion handelt, den Europäischen Währungsfonds (EWF), der „von den USA unabhängige Zahlungskanäle“ öffnen soll, oder die „Allianz für Multilateralismus“, die der Minister durch seine Reisediplomatie der vergangenen Wochen schon angebahnt haben will. Für dieses „Netzwerk von Partnern“ werden vorrangig Japan, Südkorea und Kanada in Betracht gezogen. Nur sind diese Mittel- oder Regionalmächte allesamt viel zu sehr von den USA abhängig, um denen ein Gegenpol zu sein oder sich für Parteilichkeit vereinnahmen zu lassen.
Wer meint, auf eine Polarisierung innerhalb des westlichen Lagers laufe das alles doch gar nicht hinaus, der lese nach, was Maas geschrieben hat. Demnach soll es künftig eine Form der Partnerschaft mit den USA geben, „in der wir unseren ausgewogenen Teil der Verantwortung übernehmen. In der wir ein Gegengewicht bilden, wo die USA rote Linien überschreiten. In der wir unser Gewicht einbringen, wo sich Amerika zurückzieht ...“
Mit oder ohne NATO?
Wenn der Begriff schon fällt – heißt "Gegengewicht" auch Gegenmacht? Anders gefragt: Muss, wer ein Gegengewicht in die Waagschale wirft, dies beim Staatenverkehr nicht durch Gegenmacht beschweren? Um die beim Wechsel von atlantischem Konsens zu atlantischer Konkurrenz aufzubringen, müsste freilich die häufig bemühte europäische Verteidigungsidentität weniger kerneuropäisches Referenzprojekt Deutschlands und Frankreichs als ein gesamteuropäisches Anliegen sein. Was jedoch kaum zu erwarten ist.
Die Osteuropäer von Polen über Rumänien bis zu den baltischen Staaten verlassen sich allemal lieber auf die USA. Sie pochen auf die ihnen vertraglich zugesicherten NATO-Garantien und wissen, dass die ohne US-Militärmacht nichts wert sind. Weil das so ist, sollte klar gesagt werden, ob der „europäische Pfeiler des transatlantischen Bündnisses“ (Maas) nun innerhalb oder außerhalb der NATO gesetzt werden soll. Ist das entschieden, wird sich vieles entscheiden. Weshalb es wohl vorerst nicht entschieden wird, was den Amerikaner recht sein kann, und sie nicht eben schwächt. Womit sich der Griff nach strategischer Gegenmacht in Europa schon erledigt hätte.
Nächste Frage: Wie steht es um den offenkundig als Prellbock gegen Sanktionen gedachten Europäischen Währungsfonds (EWF)? Der stammt aus dem Werkzeugschrank des französischen Präsidenten Macron, steht aber seit Ende September 2017 unter Einsatzvorbehalt. Solange schon gehört das Projekt EWF zu einem Fundus von Reformideen, die gern gelobt, aber nicht erprobt werden, weil Deutschland bremst.
Mit anderen Worten, weder der Gesamtzustand noch das Reformvermögen der EU bzw. Eurozone bieten eine Gewähr dafür, dass sich auf die von Maas proklamierte „europäische Autonomie“ gegenüber den USA zurückgreifen lässt. Wer aber europäische Selbstbestimmung als Emanzipation von den USA begreift, muss europäische Eigenständigkeit in einer Weise sichern, dass sie über jeden Zweifel erhaben ist. Kanzlerin Merkel scheint diese Zweifel zu kennen. Sonst würde sie kaum mit der üblichen Vorsicht auf den gespitzten Mund ihres Außenministers reagieren und insistieren, das gebräuliche SWIFT-System erfülle doch für den globalen Zahlungsverkehr durchaus seinen Zweck.
Ab wann?
Wann eigentlich hat der Verlust an gegenseitiger Zuwendung begonnen, von der Heiko Maas befindet: „Die Überschneidung von Interessen und Werten, die unser Verhältnis geprägt hat, nimmt ab. Diese Veränderungen haben weit vor der Wahl Trumps begonnen und werden seine Präsidentschaft absehbar überdauern.“ Was heißt „weit vor“ dem Wahlsieg Trumps am 8. November 2016?
Begann die Entfremdung erst unter Barack Obama, von dem doch alle so angetan waren, oder schon unter George W. Bush, dem der SPD-Kanzler Schröder unmittelbar nach 9/11 „unbedingte Solidarität“ versprach, sich dann aber zurückhielt, als es ab März 2003 gegen den Irak ging? Legt man Werte wie den Respekt des Völkerrechts, der Souveränität von Staaten und ihrer Grenzen, Humanität und Menschenwürde zugrunde, müssten Berlin und Washington schon sehr lange geschiedene Leute sein. Spätestens seit Vietnam Mitte der 1960er Jahre, als ein US-Luftwaffengeneral (Curtis LeMay) ein ganzes Land in die Steinzeit zurückbomben wollte.
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