Gegner seiner selbst

Weißrussland Die nunmehr sechste Präsidentschaftswahl könnte Alexander Lukaschenko zum Verhängnis werden, auch wenn er sie gewinnt
Ausgabe 32/2020
Mehr als ein Vierteljahrhundert ist Lukaschenko schon Präsident von Weißrussland. Zeit für was Neues?
Mehr als ein Vierteljahrhundert ist Lukaschenko schon Präsident von Weißrussland. Zeit für was Neues?

Foto: ITAR-TASS/Imago Images

Wie merkwürdig und doch vertraut wirkt ein politisches Sein, das mit der Ewigkeit kokettiert. Alexander Lukaschenko ist seit mehr als einem Vierteljahrhundert Präsident und will es bleiben. Vorerst gönnt er sich kein gutes Ende, indem er anderen den neuen Anfang lässt. Bis auf Lukaschenko in Weißrussland und Emomalij Rahmon in Tadschikistan sind in postsowjetischen Gefilden sämtliche Staatschefs längst Geschichte, die in den 1990er Jahren – nach dem Abgang der Sowjetunion – zu Staatsgründern wurden und lange Amtszeiten für den angemessenen Ausdruck ihrer historischen Bedeutung hielten.

Es zerhackt sich leicht die Hand, wer das Beil zu heftig schwingt. Will heißen, Alexander Lukaschenko könnte bei der am 9. August fälligen Wahl der Geschlagene sein, auch wenn er gewinnt. Die Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja verkörpert den in großen Städten wie Minsk und Mogiljow gärenden Willen zum Wandel. Ihr fiel dieser Part wie von selbst zu, seit andere Bewerber ausgeschlossen, interniert (Viktor Babariko) oder (Waleri Zepkalo) emigriert sind. Dabei hätte der Amtsinhaber viele Gegner, die viele Stimmen holen, jedoch als Einzelkandidaten zu wenige erhalten, vermutlich gut verkraftet. Nun scheint der Zweikampf mit Tichanowskaja unausweichlich. Sollte das Wahlergebnis den nicht wiedergeben, wird von Wahlfälschung die Rede und mit Unruhen zu rechnen sein, die in eine Zerreißprobe münden. Warum lernt einer wie Lukaschenko nicht aus den Rosen-, Tulpen- oder Orangenen Revolutionen vergangener Jahrzehnte in Georgien, Kirgisistan oder der Ukraine? Oder glaubt er, gelernt zu haben durch Verzicht auf den Verzicht? Es ist so selten nicht, dass Politiker zu Patriarchen werden, die ihr Schicksal mit dem von Nation und Volk verschränkt glauben. Je stärker solcher Trugschluss in Überzeugung ausartet, umso schwerer fällt es, dem zu entgehen.

Lukaschenko hält sich mit Recht zugute, sein Land bisher aus einem zu engen Bund mit Russland herausgehalten und kaum noch Freunde in Moskau zu haben. Er fragt bei öffentlichen Auftritten unverblümt, wer hat mehr Stehvermögen als ich, um Wladimir Putin Paroli zu bieten? Nur was wird davon noch übrig sein, wenn er seine sechste Präsidentschaft erst nach Aufruhr und repressiver Gegenwehr antreten kann?

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