Geisterstunde

Porträt Jair Bolsonaro weckt Assoziationen an den „Caudillo“, der Südamerika zuweilen heimsucht
Ausgabe 01/2019
Bolsonaro beschenkt zunächst die Gewalten, die ihn halten: das Militär, die Waffenlobby und  das Agrobusiness
Bolsonaro beschenkt zunächst die Gewalten, die ihn halten: das Militär, die Waffenlobby und das Agrobusiness

Foto: Evaristo SA/AFP/Getty Images

Tote beginnen zu reden und tun es mit fremder Zunge. Auf ihren Grabsteinen stehen Namen wie Péron, Trujillo, Duvalier, Vargas, Somoza. Der Kies knirscht. Als Gespenster turnen sie herum und sind ganz aus dem unterirdischen Häuschen – in ihrem Namen könnte wieder einer das sein, was sie einst waren. Wenn sich Brasiliens neuer, am 1. Januar vereidigter Präsident Jair Bolsonaro (63) als „Messias“ empfiehlt, rumort die Erinnerung. Sie malt am Bild des „Caudillo“, des charismatischen, von seiner Aura beseelten „Führers“, der auf Balkonen steht und Reden auf ein in Raserei versetztes Volk regnen lässt, das niederer Instinkte nicht länger mächtig, sich denen stattdessen ausgeliefert – und daher befreit – fühlt.

Den Klassiker des Caudillo in Südamerika gab Juan Perón (1895 – 1974), Staatschef Argentiniens 1946 bis 1951 und noch einmal – als vermeintlicher „Retter der Nation“ – 1973/74. Zum verkommensten Exemplar der Gattung wurde Rafael Trujillo (1891 – 1961), Herr über die Dominikanische Republik, der seine Gegner eigenhändig hinrichtete, sich „Wohltäter“ nennen ließ und ein Scheusal war, bis ihn Attentäter aus den eigenen Reihen erwischten.

Bolsonaro ist vorerst der (Übel-)Täter nicht, um eingereiht zu werden ins Genre solcher Ahnen. Ihm das Begehren anzukreiden, legt der Anschein indes mehr als nahe. Sein Aufstieg kündet vom Bedürfnis nach einer Zukunft von gestern. Er verkörpert den Wunsch, man möge zurückkehren in ein Brasilien, wie es die Generäle zwischen 1964 und 1985 diktatorisch regierten – was nicht auf Amnesie deutet, sondern ein gnädiges Gedächtnis, das dem Caudillo unter den nationalen Antiquitäten einen Platz auf Abruf reserviert. Bolsonaro kann verkünden, er wolle das Werk der Obristen von ehedem vollenden, keine Gefangenen machen, „30.000 rote Banditen“ aus Brasilien verbannen, das Folterverbot kassieren, er kann Indigene und Homosexuelle schmähen – und der Jubel seines Spaliers kennt keine Grenzen. Nicht einer Mehrheit im Land, aber der Stimmung vieler Brasilianer steht der Sinn nach einem Anführer, der ihnen Genugtuung verschafft. Sie wollen von Korruption und Kriminalität, doch ebenso der Zumutung erlöst sein, dass auch Arme das Recht auf ein würdiges Leben haben. Linke Präsidenten wie Lula da Silva und Dilma Rousseff wurden dafür gewählt, dieses Recht zu respektieren. Bolsonaro gewann Ende Oktober mit der Zusage, dafür Rache zu nehmen, dass es so weit kam. „Brasil acima de tudo, Deus acima de todos“, predigt dieser Präsident – Gott und die Nation stehen über allem, die Familie ist Hort der Moral, die Evangelikale Kirche der Seelsorger vom Dienst, die Armee Garant von Zucht und Ordnung. Seine Anhänger hören die Musik, kennen die Melodie, öffnen den Mund und sind auf dem Marsch. Wer da keinen Abgrund sieht, der stürzt nimmermehr.

Caudillos verstehen sich darauf, ihre Gegner zu umarmen und an sich zu drücken, auf dass sie ersticken. Juan Péron tat das in den späten 1940er Jahren als populistischer Philanthrop, der Argentiniens Gewerkschaften vereinnahmte, indem er die Arbeiterschaft verwöhnte. Mehr Lohn, Hospitäler, Kindergärten, Altenheime, Ferienkolonien, ein ganzes Kraft-durch-Freude-Paket hatte die Eva-Duarte-de-Péron-Stiftung geschnürt und unter die Leute gebracht, bis Unternehmer und Latifundisten rebellierten. Péron rühmte sich, 1938 auf einer Italienreise an Benito Mussolini studiert zu haben, wie man „die Massen behext“. Danach war ihm die Magie des Hexers nur noch schwer zu nehmen.

Bolsonaro folgt diesem Muster nicht unbedingt. Er beschenkt zunächst die Gewalten, die ihn halten und wollten: das Militär mit einem Vizepräsidenten General Antônio Hamilton, die Waffenlobby mit nach US-Vorbild entschärften Waffengesetzen, das Agrobusiness mit der Gewinnzone Amazonasregion, die Justiz mit dem Minister Sergio Moro, der als Richter Lula da Silva hinter Gitter brachte. Bolsonaro, der sich im Wahlkampf als Anti-Establishment inszeniert hat, bedient das Establishment.

Er wird zudem bis auf Weiteres davon profitieren, dass der Partido dos Trabalhadores (PT/Arbeiterpartei) sich behäbig und mühsam regeneriert. Die Partei hatte lange, viel zu lange darauf gesetzt, durch öffentlichen Druck den seit April 2018 inhaftierten Lula zu befreien und mit ihm als Präsidentenbewerber erneut zu triumphieren. Die Umfragen gaben der PT-Führung recht, die Unerbittlichkeit ihrer Gegner in Armee, Justiz und Medien widerlegte sie. Als das klar war, schien es wenig ratsam, das Äußerste zu riskieren und eine Partei mit 1,6 Millionen Mitgliedern in den offenen Kampf gegen ihre Todfeinde zu schicken. Das Ganze zu wollen, schien das Wahre nicht. Der PT bleibt mit 58 von 513 Abgeordneten im Nationalkongress die stärkste Fraktion, sie kann ein Hort des Widerstandes gegen Bolsonaro sein, der so unerschütterlich nicht bleiben wird, wie er sich gerade gibt.

Außenpolitisch war der lateinamerikanische Caudillo häufig mehr Pragmatiker als Überzeugungstäter. Péron erklärte noch am 27. März 1945 den eben noch befreundeten Regimes in Deutschland und Japan den Krieg. Man wollte nicht länger deren Alliierter und dadurch womöglich von den sich gründenden Vereinten Nationen ausgeschlossen sein. Ob Bolsonaro Herr seiner nationalistischen Apologetik bleibt, wird sich zeigen. Schon steht die EU auf der Schwelle, um 2019 mit den MERCOSUR-Staaten, zu denen Brasilien zählt, die größte Freihandelszone der Welt auszurufen. Populisten stoßen in der Regel dort an Grenzen, wo politisches Überleben ans ökonomische Geschick gebunden ist. Dennoch, die alten Geister tappen im Moder der Erlösten, sind erwacht und wirken verzückt.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen.

Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zur Wochenzeitung Freitag. Dort arbeitete es von 1996-2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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