Gerupfte Hühner

Israel Jüngste Siedlungsbeschlüsse des Kabinetts Netanjahu brüskieren Palästinenser-Präsident Abbas dermaßen, er müsste eigentlich noch schneller zurücktreten

Wenn Premier Netanjahu seinen Präsidenten Peres vor aller Welt als Lügner bloßstellen wollte, dann ist ihm das gelungen. Die Entscheidung, in Ost-Jerusalem eine weitere Siedlung mit mehr als 900 Wohnungen zu bauen, ist die beste Gewähr dafür, dass Mahmud Abbas dabei bleibt, als Palästinenser-Präsident abzudanken. So vehement das Shimon Peres auch bedauert und das öffentlich – die eigene Regierung straft ihn lügen. Abbas hat keine andere Wahl, als einen respektablen Abgang zu suchen. Derart und immer wieder vorgeführt zu werden wie in der Siedlungsfrage, kommt gewollter Demütigung gleich. Ariel Sharon hatte Abbas einmal in aufgeräumter Stimmung „gerupftes Huhn“ genannt. Mit gerupften Hühnern lässt sich kaum verhandeln. Benjamin Netanjahu kann sich derlei Schmähung sparen, für ihn ist das Kapitel Abbas abgeschlossen, weil er keine Verhandlungen will, bei denen man ihn brauchen könnte. Israels derzeitige Regierung muss zu Gesprächen mit den Palästinensern nicht einmal mehr nein sagen – sie siedelt einfach. Erstaunlich, wie das Weiße Haus in Washington einen solchen Affront – fast ergeben – einsteckt.

Kein anderes Land der Welt lässt sich von Israel so vorführen wie die USA. Die sind weder Bananen-Republik noch Satelliten-Staat, sondern eine Weltmacht, die mit vergleichbaren Unruheherden auf der Welt resolut umzugehen pflegt. Die nuklearen Ambitionen Nordkorea oder Irans werden mit Sanktionen bedroht, können aber jeder Zeit auch militärisch bestraft werden. Afghanistan halten die Amerikaner seit acht Jahren quasi besetzt, den Irak seit mehr als sechs. Hat 1990 der damalige Präsident Bush senior den irakischen Staatschef Saddam Hussein darum „gebeten“, sich wieder aus Kuwait zurückziehen, wie Obama jetzt Netanjahu bittet, den Palästinensern nicht noch mehr von dem abzunehmen, was einmal deren Staatsterrain sein soll?

Noch wirft sich der US-Präsident nicht vor der israelischen Führung in den Staub, auch wenn seine Glaubwürdigkeit genau dort zu landen droht. War nicht alles ganz anders gedacht? Sollte man nach der Kairo-Rede Obamas am 4. Juni nicht glauben, da steht nach Jahren ätzender Parteilichkeit endlich eine Regierung inWashington auf, die den Palästinenser zugesteht ein Volk zu sein, das wie alle anderen Völker ein Existenzrecht besitzt? Wie lange dieses Recht auch immer missachtet wurde, Obama, Clinton und Botschafter Mitchell werden ihm Geltung verschaffen.

Stattdessen intoniert das Weiße Haus in Videos zum Jüdischen Neujahrsfest Rosh Hashana kitschige Lobgesänge auf den einzigen Verbündeten in Nahost und sieht tatenlos zu, wie Netanjahu den Verhandlungsprozess in die Schrottpresse schiebt. Wüsste man nicht um die Konsequenzen, ließe sich fast schon bewundern, mit welcher Gnadenlosigkeit Israels Premier die US-Regierung vorführt. Warum lässt die so mit sich umspringen. Weil 2013, wenn Obamas Präsidentschaft endet, allein zählt, ob das atomaren Potenzial des Iran beseitigt, aber nicht ob ein palästinensischer Staat geschaffen wurde? Wenn das zutrifft, weshalb und wofür um Gotteswillen bekommt Obama dann am 10. Dezember in Oslo den Friedensnobelpreis?

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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