Wie Richard Grenell, US-Botschafter in Berlin, sein Gastland zur Teilnahme an einer Militärmission im Persischen Golf ermahnt, grenzt nicht nur an Nötigung – es ist genau das. Die USA hätten viel geopfert, „um Deutschland zu helfen, ein Bestandteil des Westens zu bleiben“. Was offenbar heißen soll, es sei an der Zeit, sich zu revanchieren. Amerikanische Bürger würden Milliarden Dollar dafür zahlen, dass 34.000 US-Soldaten in Deutschland stationiert sind. Um die erzieherische Dosis der Lektion zu erhöhen, könnte Grenell auch monieren, dass Bundesregierungen schon bei anderen Gelegenheiten die erwünschte Gefolgschaft schuldig blieben, was sich nicht wiederholen dürfe.
Immerhin stand 2003 eine „Allianz der Skeptiker“ mit Deutschland, Frankreich, Russland, Belgien und Luxemburg gegen eine „Koalition der Willigen“, ein von den USA geführtes Zweckbündnis mit Großbritannien, Spanien und dem Gros der Staaten Osteuropas, das entschlossen war, unter Bruch des Völkerrechts den Irak anzugreifen, und dies am 20. März 2003 auch tat. Noch im Frühjahr 1999 hatte sich die rot-grüne Koalition des Kanzlers Schröder – ohne dazu als UN-Mitgliedsstaat berechtigt und ermächtigt zu sein – am Luftkrieg gegen Serbien beteiligt. In Sachen Irak allerdings waltete wegen der hohen Risikoschwelle vorausschauende Abstinenz.
Erneut verweigerte sich eine deutsche Regierung westlicher Lagerräson, als im März 2011 der UN-Sicherheitsrat über die Resolution 1973 zu Libyen abstimmte. Auffallend diffus formuliert, konnte sie eine Handhabe sein, um den libyschen Staatschef Muammar al-Gaddafi durch externe Gewalt auszuschalten – und sollte, wie sich herausstellte, genau dazu missbraucht werden. Doch nicht aus Unbehagen über einen von außen beschleunigten Regimewechsel enthielt sich Deutschland – seinerzeit nichtständiges Mitglied im Sicherheitsrat – der Stimme, vielmehr resultierte die Indifferenz aus der Befürchtung, dass sich die Gaddafi-Armee womöglich nicht allein aus der Luft schlagen lasse, sodass ein Einsatz von Bodentruppen unerlässlich sei (der dann freilich unterblieb). Weder bei der Irak- noch der Libyen-Dissidenz korrespondierten die Vorbehalte gegen das interventionistische Muster mit Positionen, die auf eine eigenständige außenpolitische Agenda schließen ließen.
Grenell als Patriarch
So entbehrt auch die jetzige Debatte über die Teilhabe an einer wie und von wem auch immer geführten Marinemission im Nahen Osten des alternativen Politikansatzes, worin sich einmal mehr das Dilemma der deutschen Iran-Politik spiegelt. Seit erkennbar ist, mit welch destruktiver Willkür der US-Präsident das Atomabkommen mit Iran zerstört, fehlt es an präventiver Diplomatie, die Deutschland davon erlöst, Getriebener der Ereignisse zu sein. Als der Vertrag 2015 unterschrieben war, stieß die Einigung auf einmütigen Beistand im UN-Sicherheitsrat, wie das angesichts vorwiegend rivalisierender Großmächte kaum zu erwarten war. Woraus zu schlussfolgern ist: Einseitiger Vertragsbruch schadet der Glaubwürdigkeit der Vereinten Nationen, wird darauf in ihren Gremien nicht energisch reagiert.
Als Deutschland im April für einen Monat den Sicherheitsrat führte, hat man nie davon gehört, dass dieser Chairman einen Resolutionsentwurf eingebracht hätte, mit dem, wenn schon keine Verurteilung des amerikanischen Verhaltens, so doch eine Bestätigung der Beschlusslage von 2015 verlangt wurde. Gab es von Kanzlerin Merkel oder Minister Maas die Idee, ein Gipfeltreffen der vertragstreuen Staaten, also Irans, Deutschlands, Großbritanniens, Frankreichs, Russlands und Chinas, einzuberufen? Wurde darüber nachgedacht, die USA mit Sanktionen zu belegen?
Am 12./13. April 2003 – die US-Armee hatte gerade Bagdad erobert – kam es in St. Petersburg zu einem trilateralen Treffen der Staatschefs Schröder, Putin und Chirac. Die Botschaft ihrer konzertierten Aktion war eindeutig: Wir bekennen uns zum Multilateralismus und widersprechen der Regierung des Präsidenten George W. Bush, der Krieg für ein probates Mittel der Konfliktlösung hält. Das blieb nicht ohne Wirkung, da die UNO zumindest als zentraler Koordinator des Wiederaufbaus in den Irak zurückkehren konnte.
Auch der deutschen Außenpolitik kann eine verlässliche gesellschaftliche Mitte verlorengehen, aus der heraus sie agiert. Sich dieser Legitimationsgefahr bewusst, sollte sie vor Augen haben, dass in der heutigen Staatenwelt klassische Machtpotenziale wie Blöcke und Bündnisse diffundieren. Welchen Sinn haben dann noch transatlantische Loyalitäten, von denen man sich womöglich am Golf vereinnahmen lässt? Die oft reklamierte internationale Gestaltungsmacht (s. Weißbuch von 2016) beginnt mit Autonomie, weil sie sonst keine Macht sein kann, die um der eigenen Interessen willen gebraucht wird. Im Fall Iran sollten diese Interessen die längste Zeit mit denen der USA kompatibel gewesen sein. Richard Grenell hätte sich insofern vergebens wie ein postkolonialer Patriarch aufgeführt.
Kommentare 17
Ja ... die Germanen müssen sich (nun mal) entscheiden, ob sie (weiterhin) die Hinterhofkapelle der USA spielen wollen. Da ist es fast egal, ob der Taktstock obamisiert oder angetrumpt angetrieben wird. Unser östlicher Nachbar hinter der Oder strebt schon nach höheren Werten, um den Part voll und ganz zu übernehmen. Dort nimmt man alles, was man an "US-Werten" bekommen kann ... und würde damit sogar Piroggen füllen.
<<Gestalten kann, wer autonom ist>>
Genau! Wer über keine Atomwaffen verfügt, ist nicht autonom und hat international keine Durchsetzungsmacht.
Wer so wie Deutschland derart vom Export abhängig ist, ist nicht autonom. Schon gar nicht, wenn die USA einer der Hauptabnehmer sind.
Wer zweimal einen Weltkrieg angezettelt und verloren hat, ist nicht autonom. Bei einem Alleingang könnte sich sonst sehr schnell die ganze Welt wieder gegen Deutschland verbünden.
Daher können Sie sich alles wenn und aber sparen. Deutschland kann nicht gestalten, sondern allenfalls nie und da bei irgendeinem der Großen mitmachen.
Wenn man sich Ihre Sicht zu eigen macht, wenn schon Deutschland nur noch bei einem der Großen mitlaufen kann, dann gibt es auf der Welt zwei oder drei Mächte, die gestalten=bestimmen, die anderen haben‘s Maul zu halten. Sieht so Demokratie im 21. Jahrhundert aus?
Zu Lutz Herden: volle Zustimmung.
staatliche autonomie ist nicht gleich: autarkie. im gegenteil:
autonomie kann sich heute nur in bündnissen/netzen realisieren.
und um nicht im spinnen-netz zu enden:
brauchts klugheit unter den staats-lenkern und
klugheits-verlangen von den bürgern.
Eher sieben. Zwischenstaatliche Demokratie gibt es nicht. Allenfalls könnte man sich für einen Staatenbund wie der EU wünschen, dass es dort eines Tages mal so etwas wie Demokratie gibt.
Ihre Vorstellung von Gestaltung beinhaltet auch die Kriegsgestaltungen Vietnam etc. ?
Kurz: Abomben gestalten die Welt nach den Weisungen eines kranken Hirns. Wichtig ist, dass die Bomben fallen (können?).
Die Amis politisieren also nach Adolfs Waffenrezept!
Was ist eine "zwischenstaatliche" Demokratie?
Rechtsstaatliche Demokratien sind in einem Staatenbund gleichwertige, autonome Mitglieder.
Was sind die USA? Eine von der Waffenindustrie gekaufte Atom-Macht ohne die Rechtsstaatlichkeit, nur eine trumplaunige Veinigung? Mit der Atommacht, die restliche Welt zu tyrannisieren?
Ich beschreibe nicht, was ich mir gerne wünsche, sondern was ich in der Realität vorfinde. Sie können gerne sagen, dass diese Realität einem kranken Hirn entsprungen ist. Real ist, dass folgende Mächte über eine autonome Gestaltungsmacht verfügen:
USA, Russland, VR China
Diese Staaten haben eine eingeschränkte Gestaltungsmacht: Großbritannien, Indien, Israel, vielleicht auch Frankreich. Mit eingeschränkt meine ich: Die können nicht alleine bestimmen, was auf der Welt passiert, aber sie sind insofern autonom, als ihnen selbst von anderen nichts aufgezwungen werden kann.
Merken Sie, was die von mir genannten Staaten gemeinsam haben?
Mit Absicht habe ich nicht genannt: Pakistan, Nordkorea
Nachtrag zu Ihrer Replik an mich. Mit Demokratie war nicht eine zwischenstaatliche gemeint, keine der Staaten als Einheitssubjekten, sondern die innerstaatliche, die den Willen der Nation bestimmt. Ihre Vorstellung entmündigt die Bevölkerung, die sich mehrheitlich zum Vasallentum entschließen muß.
Zur Zahl der autonomen Gestaltungsmächte: Wenn der Trumpsche Wirtschaftskrieg beendet ist, wird es keine autonome Weltmacht mehr geben. Noch gibt es eineinhalb, zwei, oder ganz optimistisch gerechnet drei. Die restlichen sind keine Gestaltungsmächte, sondern gehören dem Club der Weltzerstörungsmächte an, dh sie können verhindern, daß man sie ohne katastrophale Folgen zerstört, sie sind nicht zum machtlosen Erdulden gezwungen.
Für die Habenichtse wie die Halb- und Präpotenten gilt: sie haben keine Weltgestaltungsmacht, und obwohl die Machtmittel dafür ausreichen würden, haben selbst die Mächtigsten keine ausreichende innere Gestaltungsmacht, dazu bedürfte es einer solidarischen Gesellschaft.
Die Macht der Gestaltung beinhaltet auch die Macht der Zerstörung.
Das Ende der machtlosen Erduldung ist die Macht zur Gestaltung des Widerstandes, im Ergebnis der Revolution.
Und eine friedliche solidarische Gesellschaft verfügt nicht über die "Macht" der Gestaltung und bezeugt damit, dass die Macht immer mit Gewalt gestaltet/verbunden ist.
Trump ist gerade dabei, jede Gestaltungsautonomie einer anderen Staatsgestaltung zu zertrümmern, wenn eine Regierung nicht nach amerikanischem Machtverständnis mitspielt. Er ist damit nicht der erste und nicht der letzte Präsident. Ein altes Beispiel ist Kuba und eine Spielart dieser Machtgestaltung ist Guantanamo etc..
Danke Herr Herden und gerne gelesen.
Ich denke an Polen und die fortschreitende amerikanisierte Aufrüstung gen Rußland. Der Teile und Herrsche Mann in USA versucht weiterhin andere europäische Länder ( Polen ist für mich schon umgefallen)zu beeinflussen und zu kaufen.Solange Deutschland ein gut bezahlendes EU- Mitgliedsland ist, dürfte nicht so viel mehr passieren, denn am EU-Tropf hängen einige Länder. Was passiert aber, wenn solche Lobbyisten wie Roderich Kie... sehr aktiv werden nach der Wahl in Deutschland, dann ändert sich doch schlagartig die Einflussphäre nach vorne von GreatAmericamake....Und ja war heute schön zu lesen im Nachrichtenticker auf dem Hauptbahnhof, daß sich der französische Präsident deutlich ausgedrückt hat in Richtung Trump.Polen-Ungarn-Slowakei- der Keil ist groß zwischen den EU-Ländern und ihrer Haltung gegenüber der USA Politik.Trump ist leider nicht nur ein Stänkerer geblieben und leider ist der noch ?nicht isoliert im eigenen Land. Ich warte und Das dauert und gehe wählen und hoffe,daß Viele den Blick für Ihre beschriebene Sichtweise haben oder haben werden.
"Am 12./13. April 2003 – die US-Armee hatte gerade Bagdad erobert – kam es in St. Petersburg zu einem trilateralen Treffen der Staatschefs Schröder, Putin und Chirac... "
So etwas einzufädeln werden Sie von einer antifantischen "Diplomatie" a la Maas nicht ernsthaft erwarten. Putin steht schließlich rechts.
Nein, das erwartet man von diesem Außenminister absolut nicht.
Deutschland soll tunlichst sich da raus halten! Damals "Die Sicherheit Deutschlands wird auch am Hindukusch verteidigt" … und jetzt am Persischen Golf? Und wann kommt das Chinesischen Meer dran? Dann sage ich schon mal vorbeugend: “Helm ab zum Gebet“ !
"Putin steht schließlich rechts."
Wo hams´e denn das her? Wo steht denn da Boris Johnson oder Donald Trump? Immerhin die vorzeige Demokraten der westlichen Wertegemeinschaft – zugegeben mit Blessuren.
Wenn deutsche Autonomie Frieden bedeuten würde, könnte man sich ja fast dafür begeistern. Bedeutet sie aber nicht, wie der Kosovo-Krieg lehrt. Den Konflikt hat Deutschland jahrelang geschürt, um - damals ganz flexibel gegen Russland - Hegemonie über den Balkan zu erreichen.
Wenn Deutschland sich im Sicherheitsrat geflissentlich zurückhält und damit das eigene ostentative Gepolter Lügen straft, dann sicher nicht, weil Maas oder Merkel zu schüchtern sind. Trump zu verprellen wäre eben nicht im Interesse des deutschen Kapitals - Iran hin oder her.
Deutsche Autonomie ist ebenso wenig ein Segen wie französische oder polnische. Wir täten gut daran, solche Irrlichter zu meiden und statt dessen mit Herrn Herden die vielsagende Bigotterie der deutschen Außenpolitik anzuprangern.