Gestalten kann, wer autonom ist

Golfmission Die USA drängen Deutschland zum Militäreinsatz. Es sollte lieber an politischen Alternativen arbeiten
Ausgabe 32/2019
Der US-Botschafter in Berlin, Richard Allen Grenell
Der US-Botschafter in Berlin, Richard Allen Grenell

Foto: Odd Andersen/AFP/Getty Images

Wie Richard Grenell, US-Botschafter in Berlin, sein Gastland zur Teilnahme an einer Militärmission im Persischen Golf ermahnt, grenzt nicht nur an Nötigung – es ist genau das. Die USA hätten viel geopfert, „um Deutschland zu helfen, ein Bestandteil des Westens zu bleiben“. Was offenbar heißen soll, es sei an der Zeit, sich zu revanchieren. Amerikanische Bürger würden Milliarden Dollar dafür zahlen, dass 34.000 US-Soldaten in Deutschland stationiert sind. Um die erzieherische Dosis der Lektion zu erhöhen, könnte Grenell auch monieren, dass Bundesregierungen schon bei anderen Gelegenheiten die erwünschte Gefolgschaft schuldig blieben, was sich nicht wiederholen dürfe.

Immerhin stand 2003 eine „Allianz der Skeptiker“ mit Deutschland, Frankreich, Russland, Belgien und Luxemburg gegen eine „Koalition der Willigen“, ein von den USA geführtes Zweckbündnis mit Großbritannien, Spanien und dem Gros der Staaten Osteuropas, das entschlossen war, unter Bruch des Völkerrechts den Irak anzugreifen, und dies am 20. März 2003 auch tat. Noch im Frühjahr 1999 hatte sich die rot-grüne Koalition des Kanzlers Schröder – ohne dazu als UN-Mitgliedsstaat berechtigt und ermächtigt zu sein – am Luftkrieg gegen Serbien beteiligt. In Sachen Irak allerdings waltete wegen der hohen Risikoschwelle vorausschauende Abstinenz.

Erneut verweigerte sich eine deutsche Regierung westlicher Lagerräson, als im März 2011 der UN-Sicherheitsrat über die Resolution 1973 zu Libyen abstimmte. Auffallend diffus formuliert, konnte sie eine Handhabe sein, um den libyschen Staatschef Muammar al-Gaddafi durch externe Gewalt auszuschalten – und sollte, wie sich herausstellte, genau dazu missbraucht werden. Doch nicht aus Unbehagen über einen von außen beschleunigten Regimewechsel enthielt sich Deutschland – seinerzeit nichtständiges Mitglied im Sicherheitsrat – der Stimme, vielmehr resultierte die Indifferenz aus der Befürchtung, dass sich die Gaddafi-Armee womöglich nicht allein aus der Luft schlagen lasse, sodass ein Einsatz von Bodentruppen unerlässlich sei (der dann freilich unterblieb). Weder bei der Irak- noch der Libyen-Dissidenz korrespondierten die Vorbehalte gegen das interventionistische Muster mit Positionen, die auf eine eigenständige außenpolitische Agenda schließen ließen.

Grenell als Patriarch

So entbehrt auch die jetzige Debatte über die Teilhabe an einer wie und von wem auch immer geführten Marinemission im Nahen Osten des alternativen Politikansatzes, worin sich einmal mehr das Dilemma der deutschen Iran-Politik spiegelt. Seit erkennbar ist, mit welch destruktiver Willkür der US-Präsident das Atomabkommen mit Iran zerstört, fehlt es an präventiver Diplomatie, die Deutschland davon erlöst, Getriebener der Ereignisse zu sein. Als der Vertrag 2015 unterschrieben war, stieß die Einigung auf einmütigen Beistand im UN-Sicherheitsrat, wie das angesichts vorwiegend rivalisierender Großmächte kaum zu erwarten war. Woraus zu schlussfolgern ist: Einseitiger Vertragsbruch schadet der Glaubwürdigkeit der Vereinten Nationen, wird darauf in ihren Gremien nicht energisch reagiert.

Als Deutschland im April für einen Monat den Sicherheitsrat führte, hat man nie davon gehört, dass dieser Chairman einen Resolutionsentwurf eingebracht hätte, mit dem, wenn schon keine Verurteilung des amerikanischen Verhaltens, so doch eine Bestätigung der Beschlusslage von 2015 verlangt wurde. Gab es von Kanzlerin Merkel oder Minister Maas die Idee, ein Gipfeltreffen der vertragstreuen Staaten, also Irans, Deutschlands, Großbritanniens, Frankreichs, Russlands und Chinas, einzuberufen? Wurde darüber nachgedacht, die USA mit Sanktionen zu belegen?

Am 12./13. April 2003 – die US-Armee hatte gerade Bagdad erobert – kam es in St. Petersburg zu einem trilateralen Treffen der Staatschefs Schröder, Putin und Chirac. Die Botschaft ihrer konzertierten Aktion war eindeutig: Wir bekennen uns zum Multilateralismus und widersprechen der Regierung des Präsidenten George W. Bush, der Krieg für ein probates Mittel der Konfliktlösung hält. Das blieb nicht ohne Wirkung, da die UNO zumindest als zentraler Koordinator des Wiederaufbaus in den Irak zurückkehren konnte.

Auch der deutschen Außenpolitik kann eine verlässliche gesellschaftliche Mitte verlorengehen, aus der heraus sie agiert. Sich dieser Legitimationsgefahr bewusst, sollte sie vor Augen haben, dass in der heutigen Staatenwelt klassische Machtpotenziale wie Blöcke und Bündnisse diffundieren. Welchen Sinn haben dann noch transatlantische Loyalitäten, von denen man sich womöglich am Golf vereinnahmen lässt? Die oft reklamierte internationale Gestaltungsmacht (s. Weißbuch von 2016) beginnt mit Autonomie, weil sie sonst keine Macht sein kann, die um der eigenen Interessen willen gebraucht wird. Im Fall Iran sollten diese Interessen die längste Zeit mit denen der USA kompatibel gewesen sein. Richard Grenell hätte sich insofern vergebens wie ein postkolonialer Patriarch aufgeführt.

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