Glockenturm und Totenkult

Olympia Sollte sich Berlin ausgerechnet für die Olympischen Spiele 2036 bewerben, kann über die Macht der Geschichte nicht kokett hinweg gelächelt werden
Das monumentale Begleitprogramm am Olympiastadion
Das monumentale Begleitprogramm am Olympiastadion

Foto: Imago / Laci Perenyi

Man kann es ja immer mal wieder versuchen. Irgendwann erlahmen vielleicht Unbehagen, Verweigerung und Widerstandsgeist der Berliner Stadtgesellschaft. Ist mit dieser Annahme der Vorstoß des Innensenators Andreas Geisel (SPD) zu erklären, für 2036 Olympische Sommerspiele in der Hauptstadt ausrichten zu wollen – nach zwei gescheiterten Anläufen für die Jahre 2000 oder 2024?

100 Jahre nachdem der NS-Staat den olympischen Wettbewerb als monströse, perfekte organisierte Werbekampagne für sein Dasein missbrauchte, Olympia zu einer Rückkehr nach Berlin bewegen zu wollen, das erscheint gewagt. Auch durchdacht? Warum muss Geisel gleich Begrifflichkeiten wie „nationale Aufgabe“ bemühen. Ähnlich äußerte sich seinerzeit Joseph Goebbels, der Deutschland mit Olympia 1936 eine „nationale Mission“ übertragen glaubte.

Ob freilich die SPD für ihre Idee künftig noch haftbar gemacht werden kann, steht in den Sternen. Wer weiß schon, ob sie 2036 weiterhin existiert. Und falls dies der Fall sein sollte, etwas zu sagen hat in einer Berliner Stadtregierung.

Nicht sonderlich gewogen

Jedenfalls bedarf es keiner prophetischen Gabe, um vorherzusagen, dass die Akzeptanz für ein solches Megaereignis in Berlin kaum wachsen dürfte. Zweimal war zuletzt in Deutschland die Bevölkerung bei regionalen Referenden dem Ehrgeiz potenzieller Olympia-Ausrichter nicht sonderlich gewogen. In München und Traunstein, im Berchtesgadener Land und in Garmisch-Partenkirchen verwarf 2013 eine Mehrheit Olympische Winterspiele 1922 in Bayern. In Hamburg gab es Ende 2015 eine ebenso deutliche Absage an das Projekt, 2024 Olympische Sommerspiele in die Hansestadt zu holen. Ein hedonistischer Zeitgeist, das Wissen um die Störanfälligkeit einer großstädtischen Infrastruktur schon zu Normalzeiten, die finanziellen Lasten und die hohen Sicherheitsstandards sind kaum geeignet, einen olympischen Härtetest herbeizusehnen.

In Berlin muss ohnehin der historische Kontext beachtet werden. Und das weder leichtfertig noch hemdsärmlig. Mit dem 100. Jahrestag der Olympischen Sommerspiele von 1936 zu spielen, mag reizvoll sein – aber Ansinnen und Schauplatz bergen Tücken. Der heutige Olympiapark mit potenziellen Wettkampforten wie dem Olympia-, dem Hockey- und einem womöglich wieder zu belebenden Reitstadion verfügt über ein einschlägiges Ambiente und eine bauliche Ästhetik, in denen sich die Intentionen der Bauherren zwischen 1933 und 1936 spiegeln. Damit sind weder vorrangig die Stadionarchitekten Otto und Werner March noch Bildhauer wie Arno Breker und Josef Thorack mit ihren Monumentalplastiken gemeint, sondern die NS-Staats- und Sportführung.

Einschüchtern und herrschen

Hitler persönlich inspizierte mehrfach die Anlagen auf dem Reichssportfeld, wie es damals hieß, und setzte durch, was er wollte. Das Areal wurde zu einem NS-Referenzprojekt und Vorspiel für das Folgende: das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg etwa oder die Planungen für Albert Speers Reichshauptstadt Germania, die erkennen ließen, wie ein baulicher Gestus der Totalität und Einschüchterung auf die Spitze getrieben werden sollte.

Sicher wäre es übertrieben, von einem durch die NS-Ideologie kontaminierten Gelände im Westen Berlins zu sprechen, doch wenn man sich schon anschickt, an einem solchen Ort von Olympiafanfaren zu träumen, muss die Frage erlaubt sein, ob die überkommenen, architektonischen Relikte aus vergangener Zeit nur eine PR-Herausforderung sein werden oder vielleicht doch ein moralisches Problem darstellen. Zum Maifeld auf dem Olympia-Gelände gehört schließlich der Glockenturm mit der Langemarck-Halle und einem martialischen Totenkult um Gefallene aus der Frühphase des Ersten Weltkrieges mit Militärstandarten und der lyrischen Mystik eines Walter Flex.

Beschworen wird an diesem düsteren Ort die Erinnerung an einen Sturmangriff in der Nähe des belgischen Dorfes Langemarck, bei dem von 120.000 aufgebotenen, zumeist von der Schulbank weg rekrutierten Soldaten mehr als 80.000 fielen. Sie waren Opfer des operativen Unvermögens der deutschen Generalität – auf dem Reichssportfeld wurden sie zu Märtyrern eines Opfergang für Deutschland. Das Langemarck-Gedenken in dieser Form taugte zur Einstimmung auf den Zweiten Weltkrieg. Mit mehr geistiger Tätlichkeit ließ ich die olympische Idee der Völkerverständigung wohl kaum schänden.

Und das IOC?

Damit nicht genug, der stelenartige Preußen- und Bayernturm am Olympischen Platz, dazu der Franken-, Schwaben-, Friesen- und Sachsenturm auf dem Maifeld standen aus NS-Sicht für deutsche Gaue und deutsches Volkstum. Wer Letzteres heute wieder mit völkischem Impetus aufwertet, ist bekannt. Wer weiß schon, wie Land und Gesellschaft 2036 davon erfasst sein werden.

Und selbst das IOC müsste sich bei Berliner Jubiläumsspielen daran erinnern lassen, wie es sich seinerzeit den NS-Veranstaltern auslieferte und zu Diensten war, allen voran der damalige Chef des NOK der USA und spätere IOC-Präsident Avery Brundage mit einer Spielart von America-First-Mentalität. US-Sportler in Berlin starten zu lassen, war ihm letzten Endes wichtiger, als sich mit jüdischen Sportlern zu solidarisieren, die diskriminiert und ausgebootet wurden wie die deutsche Hochspringerin Gretel Bergmann, die Mehrkampf-Leichtathletin Lilli Henoch und andere.

Eine vorerst letzte Frage: Wie verhält sich Berlin, wenn für 2036 auch Städte in der Bewerberliste auftauchen, die Opfer des Nazi-Terrors und –Krieges wurden? St. Petersburg etwa oder Moskau oder Warschau, Prag, London, Rotterdam? Um nur einige zu nennen.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen.

Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zur Wochenzeitung Freitag. Dort arbeitete es von 1996-2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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