Good Morning, Mister President!

USA Der imperiale Einfluss dürfte weiter schrumpfen. Doch wird Barack Obama die nächsten vier Jahre nicht als Konkursverwalter im Weißen Haus regieren
Wird sich Obama wieder als Visionär inszenieren, während mehr denn je der Realpolitiker gefragt ist?
Wird sich Obama wieder als Visionär inszenieren, während mehr denn je der Realpolitiker gefragt ist?

Foto: Robyn Beck/AFP/Getty Images

Welcher Staat ist im 20. Jahrhundert je so mächtig gewesen wie die Vereinigten Staaten nach dem Epochenbruch von 1990? Man hatte die Sowjetunion nicht besiegt, sondern einfach überwunden. Kräfteschonender ging es kaum. Der Sieger der Geschichte war von sich selbst so beeindruckt, dass er dieselbe kurzerhand für beendet erklärte. Voreilig, wie sich zeigen sollte. Nicht einmal ein Vierteljahrhundert später scheint von ungestümer Machtentfaltung nicht viel übrig zu sein. „Glanz und Ehre mit Hochmut gepaart ziehen ins Verderben. Der Weise tut ab das Zuviel – den Überfluss und das Übermaß“, schrieb vor gut 2.500 Jahren der chinesische Philosoph Laotse in seinem Werk Taoteking. Weisheit fehlt Siegern nur allzu oft, Mäßigung erst recht. Barack Obama könnte und sollte in seiner zweiten Amtszeit das Gegenteil beweisen.

Er wird einen Staat und eine Gesellschaft führen, deren Kräfte schwinden. Die USA wirken inzwischen schon überfordert, wenn sie sich eines Hurrikans zu erwehren haben. Der Küstenschutz versagt, Feuerwachen rücken mit veraltetem Equipment aus, sofern sie nicht bereits aus Geldmangel geschlossen wurden, die Infrastruktur von New York gerät ins Wanken. Ein hoch entwickelter Industriestaat erweist sich als hoch verwundbar – nicht durch terroristische Sabotage, sondern durch die eigenen Defizite. Taugt die Weltmacht der USA nur noch für Erinnerungen? Hat sie sich müde geherrscht und sollte anderen Platz machen, die mehr globale Führungskraft entfalten, weil sie mehr inneres Stehvermögen aufbringen? China zum Beispiel.

Dessen Bäume werden nicht in den Himmel wachsen, aber sie werden wachsen. Allein schon deshalb, weil den USA mit der Volksrepublik der größte Gläubiger im Nacken sitzt. Statt eines konfrontativen Verhältnisses, wie es bei Romney, aber auch bei Obama im Wahlkampf anklang, empfiehlt sich für das Weiße Haus ein kooperativer Umgang. Auf Containment-Fantasien zurückzugreifen, wäre fatal. Von denen hatte sich schon ein republikanischer Präsident wie Richard Nixon verabschiedet, als er 1972 Mao Zedong in Peking aufsuchte.

Nicht einmal Nordkorea

Um Übertreibungen vorzubeugen – Obama wird in den nächsten vier Jahren, in denen er die USA regiert, nicht als Konkursverwalter gefordert sein. Noch verfügt das Land über die größte Volkswirtschaft und schlagkräftigste Armee der Welt. Nur, was lässt sich damit im globalen Ranking künftig anfangen? Auch andere politische Kulturen melden ihre Ansprüche an und besitzen das Vermögen, etwas gegen Armut in Afrika und Überbevölkerung in Asien zu tun, eine konstruktive Klimapolitik zu betreiben, nach Alternativen für versiegende Rohstoffe zu suchen und faire Handelsbeziehungen zu etablieren. Von der Lösung globaler Probleme ist nicht ausgeschlossen, wer amerikanische Vorstellungen von Marktfreiheit und Menschenrechten nicht teilt – weder China, noch Russland, noch Brasilien, noch der Iran. Nicht einmal Nordkorea. Die Zeiten unilateraler „Wohltaten“ sind vorbei.

Man fragt sich sowieso, welche Menschenrechtsphilosophie eine US-Regierung nach Guantánamo und Abu Ghraib oder dem Angriffskrieg gegen den Irak noch guten Gewissens vertreten kann. Barack Obama erweckte bei seinen Wahlreden gern den Eindruck, die USA seien weiter der missionarische Apostel des Guten, dem die Welt Freiheit und Demokratie verdanke. Vorübergehend nur habe ein wie aus dem Nichts auftauchender Gewittersturm das Land vom Kurs abdriften lassen. Es ist und bleibt hoffentlich ein Fortschritt, dass die „Macht des Bösen“ bei dieser Verklärung ausgeklammert bleibt? George W. Bush hätte sich aus jener Ressource bedient.

Es sind seit 1990 von allen US-Regierungen zu viel Glaubenssätze der abendländischen Zivilisation dem Barbarischen überlassen worden, als dass amerikanische Politik a priori als zivilisiert gelten könnte. Barack Obama hätte in seiner ersten Amtszeit diese Entwertung einer wertbewussten Nation am ehesten aufhalten können. Er hat darauf verzichtet und als Commander in Chief am liebsten selbst entschieden, wen die US-Drohnen im Jemen oder in Pakistan töten. Auch sein Bekenntnis zu einer „Smart Power“, die Diplomatie militärischen Optionen vorzieht, blieb die Praxis schuldig. Bei keinem Konflikt im Nahen und Mittleren Osten gab es einen Verhandlungsdurchbruch. Auch deshalb sind die USA vom Arabischen Frühling anfangs überrascht und förmlich überrollt worden. Obama II. wird sich damit arrangieren müssen, dass von Libyen über Ägypten bis zur Türkei der politische Islam zu großer Regierungsform aufgelaufen ist.

Sorry, das wird sich ändern

Als Barack Obama nach seiner Vereidigung Anfang 2009 erstmals außenpolitisch in Erscheinung trat, geschah das mit zwei Paukenschlägen, die so eindrucksvoll ausfielen, dass gleich der Friedensnobelpreis heraussprang. Auf der Prager Burg wurde am 5. April 2009 eine Welt ohne Nuklearwaffen beschworen, bald darauf, am 4. Juni in Kairo, eigensinnigen Israelis und sperrigen Arabern Versöhnung empfohlen. Diesen Weg einzuschlagen, sei das Klügste, was sie tun könnten. Auch das Beste, weil mit den USA ein Schirmherr zur Verfügung stehe, der sie ins Gelobte Land der Koexistenz jenseits von Zwietracht und Hass führen werde. Es gab sogar einen Hauch von Reue gegenüber den Palästinensern: Wir haben euch jahrzehntelang den Respekt versagt für ein Leben in Flüchtlingslagern und den Willen zur Selbstbehauptung, die allemal den eigenen Staat wert sein sollte. Im Grunde fehlte bei Obama nur ein Satz: Wir waren bisher Teil eures Problems. Wir haben erst Sharon, dann Olmert und später Netanjahu erlaubt, ihren kalten Besatzungskrieg gegen euch zum Bestandteil unseres Krieges gegen den Terror zu machen. Sorry, das wird sich ändern.

Aber dieser Präsident badet gern in Visionen, ohne sich nass zu machen und von deren Konsequenzen behelligt zu werden. So blieben die Paukenschläge von 2009 ohne Echo. Leider! Denn wen interessiert es nicht, wie eine von Atomwaffen befreite Welt auch von der Atommacht der USA befreit wird? Oder wie es gelingen sollte, Benjamin Netanjahu zu bewegen, sich dort einzufinden, wo einer seiner Vorgänger – der 1995 ermordete Yitzhak Rabin – schon gestanden hatte: an der Schwelle zur Zweistaatlichkeit in Palästina. Stattdessen konnte Israels Regierungschef bisher tun, was er wollte: Vom Siedlungsbau bis zum Verhandlungsboykott gegenüber den Palästinensern. Nur eines blieb ihm versagt: der Krieg gegen den Iran. Den wird die künftige US-Administration nun führen oder – hoffentlich – zu verhindern wissen.

Es lohnt sich zu warten

Obama versprach in der Wahlnacht Stärke und Beständigkeit statt eines falschen, rücksichtslosen Handelns. Worauf sich das bezog, ließ er offen. Nehmen wir an, Iran war gemeint und die Einsicht im Spiel, die USA sollten es besser lassen, zwei Kriege auf einmal zu führen. Es fällt ihnen ja schon schwer, zwei Kriege auf einmal zu beenden. Damit ist nicht der logistische Standard gemeint, ganze Armeen samt Ausrüstung aus dem Irak und Afghanistan gleichzeitig nach Hause zu holen. Es geht um die Hinterlassenschaft auf dem geräumten Terrain. In acht Jahren US-Besatzung verkam der Irak zur Staatsruine. Die Panzer und Trucks, die vor einem Jahr in Richtung Kuwait rollten, nahmen einen mit 600.000 Toten, religiösem Terror und ethnischer Obsession, mit Lügen und gebrochenen Versprechen gepflasterten Weg. „Wir geben den Irakern die einmalige Chance, sich eine Demokratie aufzubauen“, hatte Präsident Bush am 20. März 2003 mitgeteilt, als die ersten Raketen Bagdad trafen.

Vor Afghanistan klang das ähnlich. Dort wäre der Schotter für die Pisten des Rückzugs von gleicher Beschaffenheit wie im Irak. Da lohnt es sich zu warten. Eine stabile Nachkriegsordnung ist am Hindukusch nicht in Sicht, dafür aber der nächste Gesichtsverlust, sollte Afghanistan nach dem Ausstieg der Amerikaner in einen Bürgerkrieg driften wie nach dem Abmarsch der Sowjets 1989. Die nächste Kernschmelze für die US-Globalstrategie ist also programmiert. Gewöhnlich übersteht man diese Prüfungen nicht beliebig oft. Obama hat vier Jahre Zeit, um dafür zu sorgen, dass sie seinem Land erspart bleiben.

Lesen Sie mehr zu unserem Wochenthema Zweite Wahl - Obama wird den Niedergang der USA nicht aufhalten in dem Beitrag Gepflegtes Schweigen von Konrad Ege zu im Wahlkampf vergessenen Großthemen oder in der US-Chronik Es war nur ein Moment von Lutz Herden über die Präsidenten seit 1989

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