Gratwandern mit Netanjahu

Israel Kanzlerin Merkel hätte beim Berlin-Besuch des israelischen Premiers Anlass genug, dessen destruktive Politik gegenüber den Palästinensern zu kritisieren

Ausnahmsweise kommt es einmal nicht darauf an, einen russischen Präsidenten mit Ermahnungen einzudecken, sondern solches einem israelischen Premier zu gönnen und ihn auf die höchst unerfreulichen Folgen seiner Politik hinzuweisen – vorausgesetzt, Kanzlerin Merkel bringt die Courage auf, Fraktur zu reden.

Auf jeden Fall steht sie vor einer schwierigen Wahl, wenn sie Netanjahu morgen im Kanzleramt trifft. Lässt Sie ihren Gast wieder ziehen, ohne ihm wenigstens vorsichtig widersprochen zu haben, dürfte das Präsident Obama und Außenministerin Clinton kaum beglücken. Für die US-Regierung ist Netanjahu mit seinen ständigen Provokationen gegenüber den Palästinensern nicht nur ein Ärgernis, sondern auch der Grund dafür, dass die versprochene neue Nahostpolitik an Schwung und Glaubwürdigkeit verliert. Sie hat bisher außer Versprechen wenig zu bieten. Rhetorik kann Politik auf Dauer nicht ersetzen. Netanyahu stört das keineswegs. Im Gegenteil, er macht kein Hehl daraus, Obama einfach aussitzen zu wollen.

Merkel könnte also tollkühn sein und ihren Gast wegen seines destruktiven Gebarens verwarnen, wie das Präsident Sarkozy gerade getan hat, als Netanjahu auf seiner Europa-Tour in Paris vorsprach. Wenn sich Derartiges in Berlin abspielt, ist das Echo in Israel allerdings vorstellbar: Eine deutsche Regierungschefin bricht mit der uneingeschränkten Solidarität, handelt ohne Demut vor dem israelischen Staat und hat aus dem Holocaust nichts gelernt. Merkel würde die Früchte bedingungsloser Parteilichkeit ernten und einer Nahost-Politik, die den Namen nicht verdient. Die war nie rational, wie man das von Außenpolitik gelegentlich erwarten sollte, sondern gab sich stets emotional. Bestenfalls wurde ein Hauch von Kritik riskiert. Egal, ob Ehud Olmert 2006 seine Armee im Libanon einmarschieren, den Gaza-Streifen blockieren oder denselben im Januar 2009 von einer vernichtungswilligen Kriegsmaschine überrollen ließ – Merkel erkannte die Schuldigen mit verbundenen Augen.

Es wäre geboten, jetzt umzusteuern. In Washington regiert nicht mehr Georg Bush. Obamas ausgestreckte Hand gegenüber der arabischen Welt braucht Nachahmer. Was Netanjahu seit Monaten tut, ist zu zynisch und provokant, um nicht zurückgewiesen zu werden. Erst lässt er den Siedlungsausbau vorantreiben, dass es sich kein palästinensischer Politiker leisten kann, an Verhandlungen auch nur zu denken – es sei denn, er verfällt totaler Selbstverleugnung. Dann wird von den Palästinensern verlangt, sie sollten nicht nur die Existenz des Staates Israels, sondern auch dessen jüdischen Charakter vorbehaltlos anerkennen. Es scheint an der Zeit, diesem Kurs die Gefolgschaft aufzukündigen. Merkel hat alle Argumente auf ihrer Seite – die des Rechts, der Moral und des Anstands. Aber sie wird davon keinen oder kaum Gebrauch machen. Netanjahu ist nicht Medwedjew.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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