Griechenland pleite reden

Staatsbankrott Wenn die FDP am Abgrund steht, sollen andere dieses Schicksal teilen. Warum nicht auch Staaten? Folglich bringt Philipp Rösler die Insolvenz Griechenlands ins Gespräch

So dünn also ist die Glasur des europäischen Gedankens, dass sie ein politisches Leichtgewicht wie Philipp Rösler mühelos wegkratzen kann. Griechenland pleite reden und in die „geordnete Insolvenz“ schicken, heißt Griechenland aus der Eurozone und genau genommen der EU zu werfen. Was von diesem Staatenbund übrig bleibt, wenn solcherart Exempel zur allgemeinen Abschreckung statuiert ist, kann man sich vorstellen. Dass es für einen solchen Präzedenzfall der Ausgrenzung keine Handhabe durch EU-Verträge gibt, scheint ohne Belang. Auch hat offenbar jede ökonomische Rationalität ausgespielt, wenn der Vorsitzende der Partei mit der mutmaßlich beeindruckenden Wirtschaftskompetenz zum großen Schlag ausholt.

Spielen wir das Bankrottszenario doch einmal durch – es gilt das Röslersche Prinzip: Keine "Denkverbote": Würde Griechenland in den Bankrott gestoßen, wären auch die griechischen Banken als Hauptgläubiger ihres Staates erledigt. Seine Zahlungsunfähigkeit wäre ihre Zahlungsunfähigkeit. Was das für Bankkunden und Sparer bedeutet, will man sich lieber nicht ausmalen, sollte es aber tun, um sich Konsequenzen von Röslers Bankrott-Phantasien vor Augen zu halten.

Wie die Finanzmärkte – sprich: Investoren von Banken über Fonds bis zu Versicherungen – reagieren, lässt sich gleichfalls vorhersagen: Sie werden jede nur erdenkliche Vorsorge treffen, um gegen den möglicherweise nächsten Insolvenzfall in der Eurozone gewappnet zu sein. Wem dabei das Hauptaugenmerk gilt, ist kein Rätsel: Italien und Spanien werden es sein, die sich nach einer Pleite Griechenlands über einen kräftigen Zinsschub für die Refinanzierung ihrer Staatsanleihen freuen dürfen. Allein die Regierung Berlusconi sitzt derzeit auf Verbindlichkeiten, die das italienische Bruttoinlandsprodukts um mehr als 20 Prozent übertreffen. Mit anderen Worten, wollte Italien sämtliche in diesem Jahr geschaffenen Erzeugnisse und Leistungen im Wert von etwa 1,5 Billionen Euro einsetzen – die Schulden wären damit nicht vollständig getilgt. Dies nur, um die Dimensionen anzudeuten, die in Betracht kämen, sollte Rösler demnächst auf die Idee verfallen, notfalls wäre italienischen Bankrotteuren ein griechisches Schicksal zuzumuten.

Falls sich eine solche Entwicklung auch nur ansatzweise abzeichnet, müssten die Euro-Partner mit einem finanziellen Aufwand gegensteuern (Italien hat Schulden in Höhe von 1,8 Billionen Euro), der ihre Möglichkeiten klar übersteigt. Die Eurozone würde zwangsläufig auseinander brechen, ohne dass für die mit in den Abgrund gerissenen Gläubiger getan werden könnte, was derzeit die Europäische Zentralbank (EZB) durch den Ankauf von Staatsanleihen – noch – tut. Bei Italien wären das europäische Banken und Versicherungen wie Unicredit und Intesa Sanpaolo, also renommierte Finanzinstitute des Privatsektors. Allein die französische Versicherungsgesellschaft Axa hält momentan Italien-Papiere in einem Volumen von 17,9 Milliarden Euro.

Wie sich zeigt, ist die Eurokrise zu heikel und ihre Eskalation zu gefährlich, als dass es geraten erscheint, durch unbedachte Äußerungen oder Gedankenspiele Öl ins Feuer zu gießen. Sie taugt schon gar nicht, um eigene Blässe durch künstliche Profilierung aufzupudern. Wer als Vizekanzler und Wirtschaftsminister in der Verantwortung steht, sollte der Versuchung widerstehen, Politik gerade jetzt populistischer Banalisierung zu opfern.

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