Habibies doppeltes Spiel

Indonesiens »demokratische Läuterung« Osttimor beweist, das »System Suharto« ist nach wie vor intakt

Wer von den aus Dili deportierten Timoresen Glück hat, wird von der indonesischen Armee auf Lastkraftwagen verladen und über die Grenze nach Westtimor gekarrt. Allerdings muss vor der Demarkationslinie eine Erklärung unterschrieben werden: Man habe beim Referendum am 30. August nur deshalb gegen eine Autonomie innerhalb Indonesiens und somit für die Unabhängigkeit gestimmt, weil das von UN-Mitarbeitern verlangt wurde. Um diesem befohlenen Gesinnungswandel Nachdruck zu verleihen, müssen die Ausgewiesenen eine Reihe mit Pfählen passieren, auf denen die abgeschlagene Köpfe von Landsleuten stecken. Zur Abschreckung für all jene, die auf die Idee kommen sollten, die Unterschrift zu verweigern. Soldaten, M-16-Sturmgewehre über die Schulter gehängt, eskortieren die Deportierten - die Armee als Dekor des Grauens, als Vollstrecker der Apokalypse. Sie genießt in Osttimor einen Machtrausch, der sie glauben lässt, Herr über Leben und Tod zu sein. Die Armee kann sich selbst und aller Welt beweisen, wie unbeschadet sie doch den Sturz ihres einst allmächtigen Oberbefehlshabers Suharto überstanden hat. Wie ver hasst ihr die begonnene Demokratisierung stets geblieben ist - und wie gleichgültig die internationale Statur Indonesiens.

Verteidigungsminister Wiranto stilisiert sich in seinen Erklärungen zum Gralshüter der nationalen Integrität und zum treuesten Diener der Nation - seit Suharto. Deshalb darf er an Osttimor ein Exempel statuieren, um anderen Regionen des Archipels die sezessionistischen Begehrlichkeiten - so es sie denn gibt - auszutreiben. Eine künstlich hochgespielte Gefahr, denn Osttimor war als ehemalige Kolonie Portugals nie Teil Indonesiens - warum sollte da der immer wieder prophezeite Dominoeffekt ausgerechnet dort seinen Auslöser finden?

In Wirklichkeit halten sich Wirantos Obristen mit ihrem Exempel an die Nation selbst. Der barbarische Missionarismus, den die Armee in Osttimor exekutiert, kommt einem Putsch gleich, den Präsident Habibie nur deshalb politisch überlebt, weil er als stiller Teilhaber gefragt ist und solange mitspielen darf, wie er für internationale Schadensbegrenzung gebraucht wird - und ein Dissens mit der Generalität durchschimmern darf. Ansonsten aber gilt nun erst recht, was im Mai 1998 ausgehandelt wurde, als Suharto abtreten musste: Der Präsident nimmt keinen Einfluß auf militärische Entscheidungen - die der Armee mit der Verfassung zugestandene Verantwortung für die »äußere und innere Sicherheit« und für den »Aufbau der Nation« (Dwifungsi-Doktrin) bleibt unangetastet.

Dabei gab es im Januar ein in diesem Zusammenhang aufschlussreiches Zwischen spiel: Präsident Habibie hatte das Parlament in Jakarta überraschend aufgefordert, »die 1976 getroffene Entscheidung über die Integration« Osttimors aufzuheben, sofern sich die Mehrheit der dortigen Bevölkerung bei dem mit der UNO vereinbarten Referendum gegen eine Autonomie aussprechen sollte. Ein Alleingang, wie es schien. Allerdings intervenierten Außenminister Alatas und General Wiranto so prompt und kategorisch, dass der Vorgang unschwer als ein abgekartetes Spiel zu erkennen war. Das in Osttimor dislozierte Militär- und Polizeikorps wurde innerhalb von Wochen auf 50.000 Mann gebracht. Parallel dazu begann Oberst Suratman, Oberkommandierender dieser Einheiten, vorhandene paramilitärische Strukturen auszubauen und Waffen an 50.000 Zivilisten zu verteilen. Er konnte sich dabei auf die Rajawali und Gardapaksi stützen - von Suhartos Schwiegersohn General Prabowo formierte paramilitärische Parteien, die Osttimor bereits seit Ende der siebziger Jahre in Schach hielten. Im Interesse einer flexiblen Strategie verteilten Armee und Polizei ihr Gewaltmonopol, was bedeutet, bei einem Krieg gegen die Unabhängigkeitsbewegung würde auch die Verantwortung für begangene Verbrechen verteilt sein.

Jusuf Habibie blieb trotz dieses Aufmarsches, der die Ankündigungen seine Regierung gegenüber der UNO zu Sicherheitsgarantien für Osttimor völlig konterkarierte, stets auf Tuchfühlung mit der Armee. Nach außen hin schien das mit der Sorge um die innere Demokratisierung Indonesiens begründet, die von der Armee jederzeit abgebrochen werden konnte. Tatsächlich aber eröffnete sich mit der absehbaren Eskalation in Osttimor die Chance, die inneren Reformen in Bahnen zu lenken, die vor allem der privilegierten Kaste des Suharto-Systems genehm waren. Und dazu gehört Habibie nach wie vor. Das Kalkül war unschwer zu entschlüsseln: Je mehr sich in Osttimor archaische Gewalt entlädt, desto stärker wird sich die nationale Schlüsselstellung der Armee entfalten, desto unmissverständlicher die Warnung an ihre Gegner. Vor dem Hintergrund der im November anstehenden Wahl eines neuen Präsidenten - möglicherweise einer Präsidentin Megawati Sukarnoputri - eine handfeste Drohung.

Der politische Preis für diese Selbstermächtigung einer skrupellosen Kaste ist hoch: Indonesien hat sich durch die Massaker in Osttimor so diskreditiert wie zuletzt 1965, als Suharto seinen Weg zur Macht über die Leichen Hunderttausender Mitglieder und Sympathisanten der KP nahm. Dieses totalitäre Webmuster - das zeigt sich im Augenblick mehr denn je - haben die 1998 eingeleiteten Reformen ebenso geerbt wie die Korruption und das Gros der vom alten System Begünstigten. Der vielfach postulierten Überzeugung, für Indonesien sei - gemessen am Gang seiner demokratischen Karthasis - das Osttimor-Referendum zu zeitig gekommen - wäre zu entgegnen: Warum eigentlich? Hätte nicht der Umgang damit ein willkommener Anlass sein können, um die innere Läuterung dieses Systems zu demonstrieren? - Ein Test war es allemal, und dessen Ausgang besagt: das System hat überlebt. Eine ohnehin äußerst paternalistisch angelegte Demokratisierung wird in Frage gestellt, bevor sie überhaupt begonnen hat.

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