Die in Deutschland wieder einmal mit Inbrunst kolportierte Griechen-Legende geht so: Da haben sie jahrelang wie hemmungslose Epikureer über ihre Verhältnisse gelebt, bis die Schuldenkrise zur gerechten Strafe wurde. Nun muss die ohne Abschlag verbüßt werden. Was unter anderem heißt, Schulden bis auf den letzten Euro abstottern oder untergehen.
Tatsache ist, Griechenland verfügt über keine industrielle Basis mehr, deren Produktionsausstoß dem Staat Einnahmen verschafft, wie sie für einen wirksamen Schuldenabbau unerlässlich sind. Man kann es auch so formulieren: Wo die ökonomische Leistung schrumpft, gilt Gleiches für die Steuerbasis. Wenn der griechische Staat seit fünf Jahren ein Mamelucken-Dasein unterm Sparjoch fristet, kann die Wirtschaft davon nicht unberührt bleiben. Folglich ist seit 2010 das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 25 Prozent eingebrochen, während die Industrieproduktion 35 Prozent ihres Wertes einbüßte, mehr als ein Drittel. In den Branchen Bergbau, Transport, Elektronik und optische Geräte, pharmazeutische und chemische Erzeugnisse mussten Kapazitäten aufgegeben werden, die bis auf Weiteres verloren sind.
Troika-Diktate wie gehabt
Auch wenn sich seit Juli 2014 ein Ende der Rezession abzeichnet – befördert durch den Aufschwung des Tourismus –, hat die Sparpolitik der Troika aus Europäischer Zentralbank (EZB), Internationalem Währungsfonds (IWF) und EU-Kommission Schäden angerichtet, die jeden Wachstumsschub verhindern. Wie ist sonst zu erklären, dass die griechischen Exporte auch 2014 zurückgingen, während die Einfuhren anzogen, so dass es bei einem Leistungsbilanzsaldo von 2,4 Prozent des BIP und damit dem Minus von 2013 blieb?
Es kommt hinzu, selbst wenn die EZB den Leitzins im Euroraum auf ein Rekordtief von 0,5 Prozent gedrückt hat, liegt in Südeuropa das Zinsniveau noch immer über den Wachstumsraten. Das bedeutet, Staaten wie Portugal, Spanien, Zypern und Griechenland können ihre Schuldentitel nicht durch günstigere Anlagen refinanzieren, sondern müssen sich darauf konzentrieren, vorhandene Schuldenquoten nicht unausgesetzt expandieren zu sehen. Was leider misslingt, wie die Gesamtschulden diverser Euro-Krisenländer im III. Quartal 2014 erkennen lassen. Sie lagen für Italien bei 135 Prozent des BIP, für Portugal bei 130, für Irland bei 117, für Frankreich bei 95 und für Spanien bei 92 Prozent.
Unangefochten vorn lag Griechenland mit 177,2 Prozent seiner jährlichen Wirtschaftsleistung oder 320 Milliarden Euro (2013: 316,4 Milliarden). Da die Rate mit Ausbruch der Schuldenkrise 2010 bei 329 Milliarden lag, gab es demnach keinen signifikanten Rückgang. Wie auch? Der griechische Staat fällt als Investor aus und verharrt in der misslichen Lage, in die er geraten ist und fortgesetzt gestoßen wird. Denn die Troika besteht auf weiteren Sparmaßnahmen, um primäre Haushaltsüberschüsse (vor Schuldentilgung und Zinszahlung) von 3,0 Prozent für 2015 und 4,5 Prozent im Jahr darauf zu erzielen. Begründung: Nur so seien die gewaltigen Auslandsschulden zu bedienen und Wachstumsprozente zu generieren, vorausgesetzt natürlich, es werde weiter in der Wirtschaft wie öffentlichen Daseinsvorsorge privatisiert und auf einen deregulierten Arbeitsmarkt geachtet. Absurder kann eine seit Jahren propagierte Sanierungsapologetik kaum ausfallen.
Es müsste daher zum Tauglichkeitstest für jede griechische Politik erhoben werden, sich dem zu verweigern und darauf zu pochen, dass die vorhandenen Verbindlichkeiten substanziell abgeschrieben und Spardogmen gelockert werden. Wie Syriza das anstrebt und damit nicht allein steht. Auch in der Regierung von Nea Dimokratia-Premier Antonis Samaras wurde bis zuletzt das Verlangen artikuliert, es müsse nach dem ersten Schuldenschnitt vom März 2012 eine erneute Umschuldung geben. Seinerzeit hatte Griechenland eine Neubewertung der Anleihen privater Gläubiger (Banken, Versicherungen, Investmentfonds etc.) vorgenommen, deren Finanzanlagen gegen neue Schuldverschreibungen mit geringerem Wert, niedrigeren Zinsen und längeren Laufzeiten umgetauscht wurden. Daraus ergab sich ein Forderungsverzicht von 53 Prozent oder 107 Milliarden Euro, um die sich die Schuldenlast für den Moment verringerte.
Wollte man erneut auf einen solchen „Haircut“ zurückgreifen, würde es mehr denn je um Bürgschaften gehen, die von Euro-Ländern wie dem IWF gegenüber den Griechenland-Gläubigern übernommen wurden. Derzeit halten die auf dem Kapitalmarkt der Währungsunion engagierten Banken Forderungen an deren Staaten von mehr als 3.000 Milliarden Euro, wobei sich das Ausmaß der griechischen Schulden aus der finanziellen Ausstattung der beiden 2010 wie 2012 geschnürten Hilfspakete mit 110 bzw. 130 Milliarden Euro ergibt. Die allerdings wurden nie völlig ausgereizt und teils für die Absicherung des Schuldenschnitts von 2012 eingesetzt.
Sollte ein Teil dieser Kredite auf der Kippe stehen, müssten jedoch nicht mehr automatisch die Staaten als Retter in der Not („Lender of Last Resort“) einspringen. Vielmehr würden die Regeln der im April 2014 vom EU-Parlament besiegelten Europäischen Bankenunion greifen. Demzufolge gäbe es die sogenannte „Haftungskaskade“, bei der Aktionäre, Anleihegläubiger und Sparer mit Einlagen von mehr als 100.000 Euro dafür aufkommen müssen, Verluste einer Bank zu decken. Es gilt die Rangordnung: Als Erste bluten die Aktionäre. Natürlich müsste solcherart Probe aufs Exempel Bankenunion im Fall Griechenland auf Kapitalabschreibungen in Größenordnungen hinauslaufen, die das EU-Finanzsystem nicht heftig schlingern lassen. Nebenbei gesagt ist das ein Indiz dafür, wie gefährlich das Gerede vom Euro-Exit Athens ist.
Von wegen Teufelszeug
Sinnvoller wäre es, Athen könnte einen Teil seiner Schulden durch Anleihen auf Leitzinsniveau refinanzieren, wozu sich vermutlich wegen zu geringer Renditen weder Banken noch andere Investoren hergeben. In Betracht kämen Gemeinschaftsanleihen (Eurobonds) der Eurostaaten, wie sie von der Regierung Merkel seit Jahren blockiert und als Teufelszeug denunziert werden. Schließlich würde man durch diese kollektiven Schuldverschreibungen an Druck- und Drohpotenzial verlieren, auch weniger einnehmen.
Immerhin hat der deutsche Staat als größter Kreditgeber und -bürge der Rettungsprogramme bisher einige hundert Millionen Euro an Zinsen verdient. Die deutsche Export- und Bankwirtschaft profitiert ohnehin von der Eurokrise und sieht daher keinen Grund, warum man von der Sparpolitik abrücken sollte. Deshalb sind Syriza und sein Programm so ziemlich das Letzte, was die Regierung Merkel goutieren will. Also legt man schon vor der Wahl den unter Umständen in Athen regierenden Dissidenten in leichtfertiger Weise nahe, die Eurozone zu verlassen. Ein demagogischer wie desorientierender Schachzug, denn weder hat Syriza das ernsthaft vor noch verfügt EU-Hegemon Deutschland über die rechtliche Handhabe, einen Rauswurf durchzusetzen.
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