Es kommt einem Enthauptungsschlag gleich, was Brasiliens Arbeiterpartei (PT) widerfährt. Muss ihr Spitzenkandidat ein halbes Jahr vor der Präsidentenwahl am 7. Oktober ins Gefängnis, soll sie zum Verlierer gestempelt werden, bevor nur eine Stimme abgegeben ist. Lula da Silva gilt als aussichtsreichster Bewerber vor einem Votum, das ein Plebiszit zu werden verspricht: Entweder eine oligarchische Machtelite triumphiert oder Brasiliens sozialreformerische Linke behauptet sich. Entweder retten, was von den beiden Amtszeiten Lulas zwischen 2003 und 2011 an Umverteilung übrig blieb, oder es weiterer Zerstörung preisgeben. Allein die Programme Bolsa Família und Fome Zero haben Millionen Brasilianer aus extremer Armut und Deklassierung befreit.
Je mehr Lula zuletzt an Zuspruch gewann, genau das zu verteidigen, desto unerbittlicher wurden seine Richter. Er musste in Haft, bevor alle Rechtsmittel ausgeschöpft waren. Was die Arbeiterpartei in ein Dilemma treibt. Ruft sie zum Aufstand des Anstandes, um einer Justiz, die Recht bricht, die Macht der Straße entgegenzusetzen, steht sie selbst außerhalb des Gesetzes. Setzt sie darauf, mit legalen Mitteln, Lulas Recht auf eine Kandidatur zu wahren, erliegt sie womöglich vergeblicher Hoffnung.
Wie ein Staatsstreich
Geraten Politik und Justiz erst einmal auf die schiefe Bahn, werden sie sich um ihrer selbst willen keines Besseren besinnen. Eher wird der Regen von unten nach oben fallen. Warum das so ist? Unter anderem deshalb, weil Lulas Festnahme eine Vorgeschichte hat. Sie spielt am 31. August 2016, als im Parlament von Brasília die Demission der linken Präsidentin Dilma Rousseffs erzwungen wird. Ein Impeachment, das wie ein Staatsstreich wirkt, weil so vieles diesen Eindruck erhärtet: das Kesseltreiben gegen eine Politikerin der Arbeiterpartei, die als „verbrecherisch“ und „verlogen“ beschimpft wird, eine Pogromstimmung, für die der Globo-Konzern seine Medienmacht ausspielt, eine Missachtung rechtlicher Normen, die das Oberste Gericht im Nachhinein unabsichtlich bestätigt. Rousseffs Einspruch gegen ihre Amtsenthebung wird von diesem Gremium weder behandelt noch entschieden, sondern schlichtweg ignoriert. Offenbar sollte die Legitimation des Rousseff-Nachfolgers Michel Temer nicht erschüttert werden. Was einmal mehr die Annahme nährt, dass die Obersten Richter wie die Richter Lulas wissen, was sie zu tun haben, weil ihnen bewusst ist, wohin sie gehören. Klingt das zu sehr nach Klassenjustiz in einer Klassengesellschaft? Muss es notgedrungen, wenn man sich vor Augen hält, dass beim erstinstanzlichen Urteil gegen Lula vom 12. Juli 2017, das auf neuneinhalb Jahre lautete, seine Verantwortung für die Korruption im Staatskonzern Petrobras so begründet wurde: Als Präsident sei er dafür zuständig, wer in diesem Unternehmen in leitender Funktion eingesetzt werde. Also müsse er auch für die kriminelle Energie dieses Personals haften. Beim Berufungsverfahren im Januar war das kein Grund, einen solchen Richterspruch zu kassieren. Vielmehr wurde das Strafmaß auf zwölf Jahre heraufgesetzt.
Eine derart voreingenommene Justiz bricht mit dem Rechtsstaat und hat es verdient, dass der mit ihr bricht. Es sei denn, er ist dazu weder willens noch fähig – oder einfach nicht existent. Die Arbeiterpartei wird das herausfinden müssen, will sie nicht zum Schaf degradiert sein, das auf den Metzger wartet und eine Leitfigur wie Lula nicht verdient hat.
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