Harte Kante

EU Die Europäische Union ruft ihren Botschafter aus Moskau zurück und sorgt dafür, dass auch dieser Gipfel mit einer eindrucksvollen Bilanz des Aktionismus aufwarten kann
Theresa May hat bekommen, was sie wollte
Theresa May hat bekommen, was sie wollte

Foto: Jack Taylor / Getty Images

Da wird Russland regelrecht zum Glücksfall. Ursprünglich sollte auf diesem EU-Gipfel über den weiteren Umgang mit Emmanuel Macrons Reformideen entschieden werden. Für die gibt es zwar keine Verfallszeit, für die vorübergehende Stabilisierung der Eurozone aber schon. Dagegen sollte man gewappnet sein, indem einiges von dem ausgespielt werden kann, was der französische Präsident den Währungspartnern, vor allem aber Deutschland, bereits im September 2017 empfohlen hat.

Bisher konnte Berlin mit dem Verweis auf die Hängepartie bei der Regierungsbildung abwiegeln. Nun aber würde man in Paris, vielleicht auch in Brüssel, ganz gern wissen, was Merkel, Maas und Scholz von einem Euro-Finanzminister, einem gemeinsamen Haushalt der Eurostaaten, einem Europäischen Währungsfonds und so weiter halten. Doch bleibt auch nach diesem Europäischen Rat in die Warteschleife verwiesen, was nottäte.

Nützlicher Idiot

Zu verdanken ist dies der Skripal-Affäre und einer abgehalfterten Regierung in London, die für ihre harte Kante gegen Russland und Putin auf die Weihen dieses Brüsseler Gipfels bedacht war. Also tat man Theresa May die Freude und sich selbst einen Gefallen. Die Verdammung Russlands, des skrupellosen Drahtziehers des Attentats von Salisbury, half dabei – und darin bestand der Glücksfall –, Reformblockade und -stau zu kaschieren. Die allseits mit Erleichterung quittierte Gnadenfrist bei den US-Strafzöllen gegen EU-Ausfuhren nach Nordamerika tat ein Übriges.

Man konnte Russland in einer „Gemeinsamen Erklärung“ anprangern und den Eindruck erwecken, auf der Höhe der Zeit zu sein, sich tatsächlich aber als nützlicher Idiot des Zeitgeistes erweisen und dem hinterher hinken, was Ökonomie und Finanzwelt auf die Agenda setzen. Die Fragen lauten, wie lange noch kann Mario Draghi für die EZB sein Aufkaufprogramm maroder Staatsanleihen und die Nullzinspolitik aufrechterhalten, wenn die Fed gerade ihren Leitzins um 0,25 Prozent erhöht hat? Wie wird es sich auf die EU-Konjunktur auswirken, wenn Donald Trump seiner regressiven Handelspolitik weiter die Sporen gibt? Wie wird eine Rechtsregierung in Italien mit einer Staatsverschuldung umgehen, die mit derzeit fast 135 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung in die griechische Dimensionen driftet? Wie werden dann die Finanzmärkte und die Gläubiger der Hochschuldner unter den Eurostaaten reagieren?

May muss bluten

Was Macron vorschwebt, zielt auf kollektive Prävention der Währungsgemeinschaft. Dies käme zweifellos Frankreich zugute, aber Deutschland eben auch, weil es die Euro-Partner als Abnehmer seiner Ausfuhren braucht. Demnächst vielleicht mehr als bisher. Aber warum sich mit Macron beschäftigen, wenn man sich an Putin abarbeiten und eine Gipfelbilanz damit schmücken kann?

Nicht auszuschließen, dass Premierministerin May für den Schulterschluss in Sachen Russland-Bashing bei den Brexit-Verhandlungen bluten muss. Denn da zeigt die EU-Kommission ihrerseits gern harte Kante, auf dass sich die Briten daran wundscheuern und büßen für die Flucht aus dem Schoß der Gemeinschaft. Das Angebot für ein Freihandelsabkommen bei gleichzeitigem Ausscheiden aus dem Binnenmarkt und der Zollunion nach dem EU-Ausstieg zeugt nicht eben von Kompromissbereitschaft und Rücksicht. Das letzte Wort wird damit noch längst nicht gesprochen sein.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

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