Die Formel war längst zur Floskel verkommen. Wer noch an der Zwei-Staaten-Lösung festhielt – seien es der UN-Generalsekretär, Angela Merkel oder die Arabische Liga –, konnte das nicht ernsthaft als realpolitische Option verklären. Allein die vorangetriebene Landnahme durch israelische Westbank-Siedler und ein zu deren Schutz ausgebautes Sicherheitsregime ließen wissen, wie die Substanz schwand, von der das staatliche Existenzrecht des palästinensischen Volk zehren konnte. Das Zwei-Staaten-Modell wurde zum fiktiven völkerrechtlichen Konstrukt, deren Befürworter es vermieden, auf völkerrechtliche Instrumente zurückzugreifen, wie sie allein mit etlichen UN-Beschlüssen seit 1947 zur Verfügung standen. Zu groß die Angst, des Antisemitismus geziehen zu werden oder Israel als Alliierten des Westens im Nahen Osten zu verprellen. Wer wagt es heute noch, an die UN-Resolution 181 – sie verlangt etwa die Internationalisierung des gesamten Stadtgebietes von Jerusalem – oder UN-Resolution 242 – sie fordert Israel zum Rückzug aus allen seit 1967 besetzten Gebieten auf – auch nur zu erinnern. Geschweige denn, sich ihrer zu bedienen, um Israel allein wegen der 1980 erfolgten Annexion Ostjerusalems mit Sanktionen zu belegen wie Russland wegen der Krim-Annexion 2014.
Insofern hat Donald Trump getan, was aus seiner Sicht fällig war. Sein Jerusalem-Votum steht von den bedenkenlos geltend gemachten Interessen, der Tragweite und Symbolik her neben der „Balfour-Deklaration“ vom November 1917. Seinerzeit hatte der britische Außenminister Lord Balfour verkündet, sein Land unterstütze die Errichtung einer nationalen Heimstätte des jüdischen Volkes in Palästina. Womit die Staatsidee der zionistischen Bewegung den Beistand europäischer Großmächte – Frankreich stand als Staat der Entente hinter den Briten – fand.
Ein Jahrhundert später geht der US-Präsident einen Schritt weiter. Wenn er Jerusalem in Gänze zur Hauptstadt Israels erklärt, aber mit keinem Wort Anstoß an dessen strategischer Expansion in der Westbank nimmt, wird aus der Heimstatt in Palästina die Heimstatt Palästina. Bekanntlich betrachten nicht nur die Siedler, sondern ebenso relevante Teile der politischen Nomenklatura Israels das von ihnen Judäa und Samaria genannte Westjordanland als historisch verbürgtes Terrain.
Vollendete Tatsachen
Bricht Trump mit bisherigen Prinzipien der US-Nahostpolitik? Wenn überhaupt, dann höchsten mit deklarativer Semantik. Ansonsten hält er sich an Gepflogenheiten eines alles andere als paritätischen Umgangs mit Israelis und Palästinensern, wie der schon der Bush-Regierung (2001-2009) geläufig war. Man denke an die 2003/04 lancierte Road Map, die eine Kompensation für die in der arabischen Welt als beängstigend empfundene US-Invasion im Irak vom Frühjahr 2003 sein sollte. Vorgesehen waren drei Stufen einer Verständigung, der das Junktim zugrunde lag: Erkennen die Palästinenser des Existenzrecht des Staates Israel an, bekennt sich dessen Regierung zur Zwei-Staaten-Lösung. Da jedoch Präsident Bush dem damaligen israelischen Premier Ariel Scharon die Übernahme großer Siedlungsblöcke in der Westbank zugestand und eine vollständige Rückkehr von Palästina-Flüchtlingen aus den Jahren 1947/48 in einen Staat Palästina verwarf, fühlten sich die Palästinenser ausmanövriert und zogen zurück. Sie taten es auch deshalb, weil ein US-Präsident erstmals einen politischen Eintrittspreis für den Friedensprozess erhob. Bush verlangte, die palästinensische Autonomieverwaltung solle eine „echte parlamentarische Demokratie“ einführen, um Staatsreife nachzuweisen. Das Recht auf Souveränität gegen die Pflicht zur Demokratie, quasi ein zweites Junktim. Und das in einer Region, in der kein arabischer Staat – schon gar nicht US-Verbündete wie Ägypten und Saudi-Arabien – das Attribut demokratisch verdiente.
Bush-Nachfolger Barack Obama schien um einen neuen Anfang bemüht, indem er an der Universität von Kairo im Juni 2009 ein gewandeltes Verhältnis zwischen den USA und den Muslimen beschwor und auf Gesten unbedingter Hochachtung bedacht war. Aufhören ließen Sätze wie: „Die Lage der Palästinenser ist untragbar.“ Woraus Obama das Versprechen ableitete, die USA würden sich der „berechtigten palästinensischen Hoffnung auf Würde und den eigenen Staat nicht verweigern. Die einzige Lösung für die Hoffnung beider Seiten ist, dass sie sich als zwei Staaten begegnen“. Dann aber setzte Obama andere Prioritäten und verwendete sich gegenüber der israelischen Regierung weniger für die Würde der Palästinenser als für die Hinnahme des Atomvertrages mit Iran. Premier Benjamin Netanjahu verwarf das Abkommen dennoch als „historischen Fehler“ und revanchierte sich mit strikter Blockade, sobald die US-Diplomatie versuchte, den Gesprächsfaden zwischen Israelis und Palästinensern nicht vollends reißen zu lassen. Allerdings hatten Letztere als Verhandlungspartner längst zu viel an Verhandlungsmacht eingebüßt, um eigenen Interessen auch nur ansatzweise gerecht zu werden. Wer wie Obama trotzdem so tat, als sei das Zwei-Staaten-Muster alternativlos, klammerte sich an ein Mantra, das nur noch dem Zweck diente, der Wirklichkeit aus dem Weg zu gehen. Kaum anders verhielt sich die deutsche Außenpolitik, wenn sie den Eindruck erweckte, von der Hoffnung auf zwei koexistierende Staaten in Palästina beseelt zu sein.
Tatsächlich sind seit dem Sechs-Tage-Krieg von 1967 allein mit dem Siedlungsprogramm irreversible Fakten geschaffen worden, die nicht mehr verhandelbar sind. Alle israelischen Regierungen haben seither – sicher mit unterschiedlicher Intensität – eine Besiedlung der Westbank forciert, deren Rücknahme zum Bürgerkrieg mit den Siedlern führen dürfte. Der israelische Staat selbst würde sein Existenzrecht in Frage stellen, sollte er eine solche Kraftprobe riskieren. Und da die USA unter Bush wie Obama dafür gesorgt haben, dass der Status quo in der Westbank so ist, wie er ist, kann Trumps Diktum zu Jerusalem realpolitische Logik schwerlich bestritten werden. Von allem Geltungsdrang abgesehen, bediente er eine strategische Partnerschaft, bei der Israel zugestanden wird, was es an vollendeten Tatsachen geschaffen hat. Man kann darüber streiten, wie sehr damit Grenzen des Zumutbaren überschritten sind. Unstrittig ist, dass die USA Israel zuliebe Völkerrecht ignorieren und derzeit über einen Präsidenten verfügen, der das auszukosten weiß.
Konfliktpartei statt Vermittler
Wer das für ein überzogenes Urteil hält, sollte sich an die Statements vom 15. Februar 2017 halten, als Benjamin Netanjahu zum Antrittsbesuch im Weißen Haus erschien. Auf der anschließenden Pressekonferenz wurde der Gastgeber gefragt, ob er für eine Ein- oder Zwei-Staaten-Lösung plädiere. Er überlasse das den verhandelnden Parteien, so Trump. Im Klartext, die USA hätten nichts gegen die Ein-Staaten-Lösung. Womit die Hauptstadtfrage geklärt war. Welcher Ort sonst als Jerusalem käme dann in Betracht? Trump hat schon vor zehn Monaten gesagt, was er jetzt aussprach. Wäre es nicht zu brisant, hätte er anfügen können, was ebenfalls in der Luft liegt und die nahöstliche Sondierungsagenda von Schwiegersohn Jared Kushner beherrscht: Die israelischen Siedlungen im Westjordanland dürfen wie israelisches Hoheitsgebiet behandelt werden und unterliegen einer Sicherheitskontrolle, die alle besetzten Gebiete in der Westbank erfasst. Es gibt kein Rückkehrrecht der Palästinenser und keinen Anspruch auf Entschädigungen. Wenn das so kommt – und was spricht dagegen? –, gibt es für einen palästinensischen Staat kein zusammenhängendes Staatsgebiet, keine Hauptstadt Jerusalem und keine Hauptstadt in Jerusalem, keine Souveränität und kein Recht auf ein eigenes Sicherheitsregime. Ein solcher Staat wäre als israelisches Protektorat eine Fortschreibung aktueller Zustände unter anderem Label. Ist irgendein arabischer Staatenlenker in Sicht – in Riad, Kairo, Amman oder sonst wo –, der Amerikas neue Balfour-Doktrin ernsthaft verhindern will? Wenn sich der Rauch des Augenblicks gelegt hat, wird keine Front der Standhaften aus dem Nebel auftauchen. Und keine Intifada im Gazastreifen oder in der Westbank ausgebrochen sein.
Im Übrigen scheint Trumps Jerusalem-Votum noch aus einem anderen Grund ein cleverer Schachzug zu sein. Es schützt sich gegen den Vorwurf, durch ein Disengagement in Syrien allein Russland die Regie beim Aushandeln einer Nachkriegsordnung zu überlassen. Auf die hat neben Moskau, Ankara und Teheran auch Israel Einfluss – als Besatzungsmacht auf dem syrischen Golan wie als Gegenmacht zu der mit Präsident Assad liierten Hisbollah im Libanon. Wenn Trump wie soeben geschehen Benjamin Netanjahu den Rücken stärkt, kommt das einer Mandatierung gleich. Die USA verstehen sich eben nicht mehr als Vermittlungsmacht, sondern als Konfliktpartei an der Seite Israels. Schon als jüngst Libanon-Premier al-Hariri aus einem – freiwilligen oder unfreiwilligen – Exil in Riad seine Demission bekannt gab, schien ein weiterer Einmarsch der Israelis in die Zedernrepublik wie schon 1982 und 2006 keineswegs ausgeschlossen. Trump hätte das als unverzichtbare Selbstverteidigung hofiert.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.