Ihr Kinderlein kommet

Bestarbeiter Jürgen Fitschen, Co-Chef der Deutschen Bank, rudert zurück und entschuldigt sich für seinen Anruf bei Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier. Hat er das nötig?
Ihr Kinderlein kommet

illustration: Der Freitag

Ex-Präsident Wulff entschuldigt sich für seine Kreditaffäre, Bundestrainer Löw entschuldigt sich bei Marcel Schmelzer, Costa Concordia-Kapitän Francesco Schettino entschuldigt sich, sein Kreuzfahrtschiff sicher auf eine Klippe gelenkt zu haben, Schiedsrichter Stark entschuldigt sich, ein Spiel verpfiffen zu haben. Premier Cameron entschuldigt sich für den „Bloody Sunday“ 1972 in Nordirland.

Das Muster ist allmächtig, das Vorbild gewaltig – da konnte auch Konzernchef Jürgen Fitschen nicht widerstehen und musste einfach mitmachen. Beim hessischen Ministerpräsidenten Bouffier anzurufen, um ihm zu sagen, wer das Land regiert, war natürlich richtig und zur „Klärung eines Sachverhalts“ unverzichtbar. Aber das Richtige hat es eben manchmal so schwer wie der frühe Vogel im Morgentau.

Was jetzt auch immer geredet und gefordert wird: Jürgen Fitschen sollte im Amt bleiben, die Herrenreiter-Mentalität und Kotzbrocken-Allüren stehen ihm und seinesgleichen gut zu Gesicht. Der herrschende Finanzkapitalismus tritt einmal mehr aus der Deckung und tut etwas für sein Image, das den Bürger nur erschrecken kann und wohl auch soll. Aber bei Machtfragen geht es immer um alles. Da können sich Leute wie Fitschen weder Anstand noch Tischsitten leisten. Wir leben schließlich nicht im Montessori-Kindergarten, wo sich Marc-André und Mariechen das Händchen reichen und als zuckrige Menschengemeinschaft in die Sandkiste steigen. Das Eimerchen rechts, das Schäufelchen links. An diesen Piep-Piep-Piep-wir-haben-uns-alle-lieb-Kapitalismus, glaubt nicht mal Claudia Roth. Und das will was heißen.

Dogma des freien Wettbewerbs

Die Politik hat ihren Anteil daran, dass Geldhäuser wie die Deutsche Bank ihre Oberflieger-Mentalität pflegen, in der sie sich unangreifbar wähnen. Als diesen Instituten bei Ausbruch der Finanzkrise im Herbst 2008 das Prädikat „systemrelevant“ verliehen wurde, kam das der Erhebung in den Adelsstand gleich und passt zu einer Gesellschaft, die sich über reale Machtverhältnisse gern hinweg lügt und Diskurs mit Demokratie verwechselt. Was ist das für eine demokratische Reife, wenn fast ein ganzes Land dem spätfeudalistischen Byzantinismus seiner so genannten Eliten verfallen ist?

Im Krisenjahr 2008 kam die Regierung Merkel urplötzlich das sonst geheiligte Dogma des freien Wettbewerbs abhanden. Um marode Player wie die Hypo Real Estate und die Commerzbank vor dem Bankrott zu retten, war man nicht knickrig. Es floss das der Regierung anvertraue Geld des zum ohnmächtigen Zusehen verdammten Bürgers, der sich im Notfall gut bedient fühlen darf, wenn ihm bei guter Führung Hartz IV in voller Höhe bewilligt wird.

Bambi und Bundesverdienstkreuz

Der "Fall Fitschen" ist jedoch nur die Spitze des Eisberg, dieser Banker managt die Geschäfte im Auftrag von Aktionären, die ihre Renditen wollen, und im Namen von Milliardären, die offen oder verdeckt die Politik "begleiten". Und das erfolgreich. Gab nicht vor Jahren die Kanzlerin ein Essen für Josef Ackermann, den Vorgänger von Jürgen Fitschen? Man tafelte im Kanzleramt. Ehre, wem Ehre gebührt.

Börse und Banken sind die moralischen Anstalten des Finanzkapitalismus, es gibt keine besseren, und er hat auch keine besseren verdient. Es ist leider – nein, es ist – Gott sei Dank – wahr, dass nicht einmal zu Weihnachten die Macht- und Ausbeutungsverhältnisse ins Schaumbad der Nächstenliebe getaucht werden. Fitschen hat zu Recht was dagegen. Als 2008 Bambi- und Bundesverdienstkreuz-Träger Klaus Zumwinkel – damals noch Postchef und "Manager des Jahres" – als Steuerhinterzieher aufflog, war wenigstens schon das Neue Jahr angebrochen und die Weihnachtsandacht nicht übermäßig gestört.

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