Im Angriffsmodus

Syrien Donald Trump spricht in offensichtlicher Anspielung auf seinen Vorgänger von „roten Linien“, die Präsident Assad überschritten habe. Und nun er selbst überschreiten will?
Auf die unergründlichen Wege des Feldherrn geraten
Auf die unergründlichen Wege des Feldherrn geraten

Foto: Brendan Smialowski / AFP - Getty Images

Sich an seinem Vorgänger schadlos zu halten, daran ist Donald Trump mit der Gegenreform zu Obamacare vorerst gescheitert. In eine Niederlage mündete sein erster parlamentarischer Gehversuch, weil die republikanische Mehrheit im Kongress plötzlich keine Mehrheit des Präsidenten mehr war.

Nun aber bietet sich die Chance, die Scharte auszuwetzen, indem er Obamas Syrien-Politik im Nachhinein als Fiasko eines Feiglings erscheinen lässt und den Beweis antritt: Der jetzige Commander in Chief vermag, entschlossen und unbeirrt zu handeln. Damit das jeder begreift, nimmt sich Trump eine rhetorische Anleihe bei Obama. Er greift auf dessen alarmistische Metapher von der „roten Linie“ zurück.

Und weiß hoffentlich, was er tut.

Im August 2013 erklärte Obama, die Assad-Armee habe mit einem ihr angelasteten Giftgas-Einsatz in der Region Ghuta bei Damaskus, dem fast 1.300 Menschen zum Opfer fielen, eine „rote Linie“ überschritten. Weil das so sei, müsse Vergeltung geübt werden.

Ist mit dem, was am 4. April durch Giftstoffe in Khan Scheikhoun (Provinz Idlib) geschah und bis zur Stunde nicht hinreichend geklärt ist, erneut eine „rote Linie“ überschritten? Durch das Ereignis an sich? Oder die Mutmaßung, die Toten dort gingen auf das Konto der Assad-Streitkräfte?

Trump markiert den Vorgang genau so, versehen mit dem Zusatz, sollten die Vereinten Nationen nichts unternehmen, würden die USA handeln? Wie sie das im Spätsommer 2013 auch vorhatten, dann aber unterließen? Es lohnt sich, an die Umstände zu erinnern, die dazu führten, dass es so war. Und Amerika damals nicht in seinen – wievielten? – Nahostkrieg zog.

Drohkulisse im Mittelmeer

Zunächst stellte es die Obama-Administration als unvermeidlich hin, eine Strafaktion gegen das Assad-Regime zu unternehmen. Die konnte nur in einem Militärschlag bestehen, der Aufmarsch von US-Marineeinheiten vor der syrischen Küste war eingeleitet. Freilich stieß dieses Vorgehen bei den engsten Verbündeten auf geteilte Reaktionen.

Die deutsche Kanzlerin zauderte und ging zu einer möglichen Kampfaktion auf Distanz. Der damalige britische Premier Cameron scheiterte im Unterhaus mit seinem Ansinnen, eine parlamentarische Ermächtigung für einen Kriegseinsatz gegen Syrien zu erhalten. Allein Frankreich stellte sich in der Person von Präsident Hollande vorbehaltlos hinter die Interventionsabsicht Obamas. Doch der verzögerte plötzlich den Angriffsbefehl, wollte Zeit gewinnen und den Kongress einschalten, der sein Handeln autorisieren sollte.

Offenbar war er sich seiner Sache nicht so sicher, um seinerseits die „rote Linie“ zu überschreiten und sich auf ein militärisches Abenteuer in Syrien einzulassen. Dessen Ausgang erschien ungewiss. Es hätte womöglich eine Situation heraufbeschworen, die zur Entsendung amerikanischer Bodentruppen zwang. Keine zwei Jahre zuvor hatte Obama das angeschlagene US-Besatzungskorps aus dem Irak zurückgeholt. Warum sollten dann amerikanische Soldaten in einer ähnlichen Mission und mit den gleichen Risiken nach Syrien geschickt werden?

Wie der Countdown zum Syrien-Schlag endete, ist bekannt. Russland vermittelte eine Kompromiss, mit dem sich das Assad-Regime bereit fand, seine Bestände an biologischen Kampfstoffen unter Aufsicht der Vereinten Nationen zu vernichten beziehungsweise außer Landes bringen zu lassen. Im Gegenzug musste mit keiner Militäraktion gerechnet werden.

Barack Obama haftete fortan bei den US-Republikanern wie vielen europäischen Politikern das Stigma des lavierenden Schwächlings an, der es versäumt habe, Baschar al-Assad aus dem Amt zu bomben, zumal sich im August/September 2013 Russland bei weitem noch nicht so exponiert hatte, wie das ab Herbst 2015 der Fall sein sollte.

Unter Handlungsdruck gesetzt

Seither hat sich die Kräftebalance im syrischen Bürgerkrieg derart verändert, dass die strategischen Vorteile mehr bei Staatschef Assad und der alawitisch-schiitischen Koalition des Überlebens als seinen Gegnern liegen.

Das heißt, sollte sich Donald Trump berufen fühlen die „rote Linie“ zu überqueren, die für Obama zum Haltesignal wurde, steht eine andere Eskalation zu befürchten als 2013. Eine wie auch immer geartete Intervention läuft auf eine Konfrontation mit Russland hinaus, das mit seinen syrischen Basen von Angriffen direkt betroffen sein kann, zudem Assad die schützende Hand kaum entziehen wird, wenn ihn die Amerikaner mit ferngesteuerten Mittelstreckenraketen ins Visier nehmen.

Tatsächlich sind Trump 2017 die Hände sehr viel mehr gebunden als Obama 2013. Auch gehen erneut europäische NATO-Partner auf Abstand, wie das der französische Außenminister Jean-Marc Ayrault bereits zum Ausdruck gebracht hat. Was nimmt Trump davon wahr?

Noch zu Wochenbeginn hatte es geheißen, die US-Regierung akzeptiere Assad als „politische Realität“, was soviel bedeutete wie, sein Sturz hat für uns nicht mehr absolute Priorität, was besonders in der EU für Unbehagen sorgte.

Plötzlich wird ein Schwenk vollzogen – mit rhetorischem Übereifer, auch mit Bomben und Bodentruppen? Trump hat sich selbst unter Handlungsdruck gesetzt, dem Obama einst gerade so wieder entkam.

Wer Trump beim Wort nimmt, den müsste die Frage bewegen: Wen trifft es zuerst, Baschar al-Assad oder Kim Jong-un? Oder keinen von beiden?

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