Was Entwicklungshilfe vermag, wenn sie nicht zuerst nach dem eigenen Vorteil fragt, sondern dem Motiv tatkräftiger Solidarität folgt, hätte Minister Niebel während seines gerade absolvierten Vietnam-Besuchs an vielen Orten in Augenschein nehmen können. Überall dort, wo die DDR noch zu Zeiten des Vietnam-Krieges (1965 - 1975) durch viele Aufbauprojekte Unterstützung gab und schlimmste Not mindern half. In den frühen sechziger Jahre etwa entstand so für Hanoi das Krankenhaus Viet-Duc (wörtlich: Vietnamesisch-deutsches Hospital) oder später im nördlichen Ba Vi ein Orthopädie mechanisches Zentrum, um Tausende von Kriegsversehrten mit Prothesen zu versorgen, die ihnen eine Rückkehr ins Leben ermöglichten. Erinnert sei an den Wiederaufbau einer ganz Stadt nach 1975 durch DDR-Architekten und -Bauleute, als vom mittelvietnamesischen Vinh (60.000 Einwohner) und seinem Hafen Cua Lo nach den Angriffen der US-Luftwaffe nicht mehr als ein einziger großer Scherbenhaufen geblieben war.
Kein Gnadenakt
Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD), die langjährige Ressortchefin für Entwicklungspolitik und Vorgängerin Niebels, hat Entwicklungshilfe zuweilen als Charaktertest bezeichnet. Der jetzige Amtsinhaber zeigt gerade erschreckend eindrucksvoll, wie man ihn angehen und bestehen kann. Niebel gefällt sich darin – ähnlich anderen freidemokratischen Ministern – den populistischen Turbo zu zünden und den schneidigen Revisor zu geben. Credo: Was Deutschland in die Armenhäuser der Welt hinein steckt, muss irgendwann wieder heraus kommen. Der Minister wörtlich während seines Vietnam-Trips: „Es ging schon immer um die Effizienz der Hilfe, denn wenn man Geld rausschmeißt, mag das kein Steuerzahler ...“
Entwicklungshilfe ist gewiss keine Bringschuld, aber ebenso wenig ein Gnadenakt. Sie sollte auch nicht als Sozialhilfe fürs weltweite Staatenprekariat missverstanden werden, das seine Nehmer-Qualitäten spielen lässt, wenn die gutwilligen, sich eines schlechten Gewissens schämenden Spender ihnen die soziale Hängematte erst flicken und dann auspolstern. Niebel radelt hart an der Grenze zum Sozialchauvinismus, wenn er so tut, als müsse die gebündelte Rechtschaffenheit des Nordens vor dem verschwenderischen Leichtsinn des Südens geschützt werden. Noch ein Souffleur des "gesunden Volksempfindens", wie sie sich in der FDP zu konzentrieren beginnen.
Kein Wasserträger
Es hätte dieser Bundesregierung wie ihrer Vorgängerin unter der gleichen Kanzlerin gut zu Gesicht gestanden, dem Thema Steuergeld der Bürger eine eben solche Inbrunst angedeihen zu lassen, als es milliardenfach in die Crash-Programme für verschwindsüchtige Banken abwanderte. Im Übrigen: Wenn genügend Geld zur Verfügung steht, um ein marodes Finanzsystem zu retten, sollten doch in annähernd gleichen Größenordnungen Mittel verfügbar sein, um einen Teil dieser Welt vor Hunger, Armut und Klimawandel zu retten. Natürlich kann Entwicklungshilfe durchaus mit der Außenwirtschaftspolitik eines Staates auf Tuchfühlung gehen, wie das Minister Niebel nahelegt. Aber sie kann nicht deren Wasserträger sein. Sie hat bis heute etwas mit Kompensation für ein koloniales Zeitalter zu tun, das nicht nur lange gedauert, sondern manchen Regionen Jahrhunderte an Entwicklung gekostet hat. Ganz abgesehen von jenem – wahrlich marginalen – Ausgleich, den Entwicklungsgelder für die geltende Weltwirtschaftsordnung leisten. Die schreibt – zumal in der Krise – Unterentwicklung eher fest, als sie aufzuheben. Im Unterschied zu Minister Niebel haben das die Führer der G8- oder G20-Staaten bei ihren Gipfel-Treffen immerhin anerkannt und im vergangenen Jahrzehnt vom Schuldenerlass (1999), dem Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids (2002) bis zu diversen Afrika-Programmen (2007 in Heiligendamm) den Hilfsbedarf nicht durch Niebels Effizienz-Filter betrachtet, sondern klar erkannt. Auch wenn es vielen Ansichtserklärungen bis heute an tatkräftiger Konsequenz fehlt.
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