Im freien Fall

Grexit Was würde passieren, wenn Griechenland tatsächlich den Euro verabschiedet? Wie könnten die ersten fünf Tage nach dem Ausstieg verlaufen? Eine Simulation
Das Szenario Grexit ist unwahrscheinlich aber nicht unmöglich, dürfte auch Alexis Tsipras wissen
Das Szenario Grexit ist unwahrscheinlich aber nicht unmöglich, dürfte auch Alexis Tsipras wissen

Foto: Aris Messinis/AFP/Getty Images

Samstag

Die Geldinstitute bleiben überall im Land geschlossen, sind jedoch nicht in den üblichen Wochenend-Modus versetzt worden. Stattdessen wird in den Filialen durchgearbeitet, weil Privat- und Geschäftskonten vom Euro auf die Drachme umzustellen und Bargeld-Bestände der neuen alten Währung für eine Auszahlung vorzubereiten sind.

Gerüchte, dass tatsächlich ein Ausstieg aus der Gemeinschaftswährung ansteht, verdichten sich seit Tagen. In Brüssel wiegelt die EU-Kommission zwar ab, doch dürfen ihre Sprecher inzwischen andeuten, was sich abzeichnet: „Es handelt sich um reine Spekulationen, die bisher jeder Grundlage entbehren“, wird kolportiert.

Sonntag

Ohne vorherige Ankündigung wird gegen 21.00 Uhr eine Fernsehansprache von Ministerpräsident Alexis Tsipras ausgestrahlt. Er sagt, es habe sich zuletzt als unumstößlich erwiesen, dass Griechenland spätestens ab Juli neue Kreditbürgschaften brauche, um Altschulden von 20 Milliarden Euro zu tilgen. Die Euro-Finanzminister hätten darauf bestanden, dass ein „drittens Hilfsprogramm“ nur bei verschärften Auflagen denkbar sei. Die fielen dermaßen drastisch aus – so der Premier –, „dass unsere Delegation die Verhandlungen verlassen hat – für immer. Hätten wir dem zugestimmt, würde Griechenland keine Regierung mehr brauchen und könnte von Brüssel aus verwaltet werden.“

Es sei aussichtslos, darauf zu hoffen, innerhalb der Währungsunion irgendwann jener desaströsen Mechanik zu entkommen, die den Griechen immer neue Schulden aufbürde und ihnen die Luft zum Atmen nehme. „Die Rückkehr zur Drachme wird von uns noch einmal Opfer verlangen, aber glauben Sie mir – die werden nicht vergebens sein.“

Montag

Noch in der Nacht haben die EU-Regierungschefs eine Erklärung verbreitet. Deren Tenor: Da sich Athen von den bisherigen Anpassungsprogrammen losgesagt habe, sei einem Verbleib in der Währungsgemeinschaft der Boden entzogen.

Überall in Griechenland gibt es den erwarteten Run auf die Banken, teilweise sind die Menschen schon nach der Tsipras-Rede zu den Filialen geströmt. Die Kontenumstellung ist vollzogen, doch gibt es nur ein Handgeld von 1.000 Drachmen, bis sich der Zahlungsverkehr wieder normalisiert. Das Umtauschverhältnis Euro gegen Drachme lautet auf 1:5, wobei schon „eingepreist“ sein soll, dass die Abwertungsverluste der Drachme bei 60 bis 70 Prozent liegen. Vermögen über 10.000 Euro werden zunächst eingefroren. Die Regierung teilt mit, vorerst blieben die Grenzen geschlossen. Auch sei der Kapitalverkehr ihrer Kontrolle unterstellt. Europaweit brechen die Börsenkurse in der Erwartung ein, dass der griechische Schuldendienst ab sofort nicht mehr in Euro geleistet wird.

Dienstag

Der Wertverlust der Drachme ist erwartet hoch, sodass sich griechische Einfuhren sofort um bis zu 200 Prozent verteuern. Das betrifft neben Konsumgütern auch Rohöl und Benzin. Darauf wird mit einer Kraftstoff-Rationierung reagiert, doch strecken sich die Schlangen an den Tankstellen. Ebenso vor den Supermärkten, von denen einige wegen fehlender Waren sogar schließen, was in Thessaloniki und Piräus zu Krawallen führt – ein Kampf ums Dasein hat begonnen.

Zwar verbilligen sich gleichzeitig die Ausfuhren, nur ergibt sich daraus kein Vorteil, weil Brüssel nach geltendem EU-Recht umgehend Einfuhrzölle auf griechische Handelsware verhängt, um einen Abwertungsvorteil zu kompensieren. Die Forderung aus Athen, diese Maßnahme zugunsten eines Moratoriums aufzuschieben, wird von der EU-Kommission zurückgewiesen.

Mittwoch

Die Drachme wird am Devisenmarkt weiter abgewertet, sodass der Kurs zum Euro auf 15:1 fällt. Das zieht die Gläubiger des griechischen Staates wie griechischer Firmen in Mitleidenschaft, da sich mit einer wertlosen Drachme wenig anfangen lässt. Gerüchtehalber soll die EZB Griechen-Bonds für 80 Milliarden Euro abgeschrieben haben. Für die Tagung des EZB-Rates am nächsten Tag wird ein Stopp des Aufkaufs von Staatsanleihen der Eurostaaten erwartet. Begründung: Nach dem Grexit drohe ein Domino-Effekt. Spanien, Portugal, Italien und Zypern könnten ähnlich verfahren. Allein die Mutmaßung reicht, um das Misstrauen gegenüber diesen Ländern am Kapitalmarkt zu schüren und Zinsen nach oben zu treiben. In Athen rufen die „Unabhängigen“ Griechen (ANEL) als Syriza-Koalitionär zu einer „Regierung der nationalen Einheit“ auf – Premier Tsipras lehnt ab.

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