Imam Ali, wir kommen zu Dir

Nadschaf und der Heilige Krieg Als die Übermacht der Amerikaner zur Ohnmacht wurde

Um eines war Iraks Premierminister Allawi einen Monat lang nicht verlegen. Er erließ letzte Aufrufe und letzte Ultimaten zuhauf, um Muqtada al-Sadrs Mahdi-Milizen zu zwingen, in Nadschaf die Waffen zu strecken. Da er jedoch die letzte Konsequenz seiner letzten Appelle schuldig blieb - die gewaltsame Eroberung der Imam-Ali-Moschee unter dem Feuerschutz der Amerikaner -, waren seine Gegner nicht wirklich zu schrecken. Sie wussten, lässt Allawi stürmen, diskreditiert er sich - verzichtet er darauf, diskreditiert er sich auch.

Insofern erscheint die irakische Übergangsregierung zumindest in politischer Hinsicht als Verlierer des Kampfes um die Hoheit über Nadschaf, was in gewisser Weise auch auf die Amerikaner zutrifft. Der angekündigte entscheidende Schlag gegen eines der Zentren des Widerstandes blieb aus. Auch wenn Muqtada al-Sadrs Milizen einen Rückzug antreten mussten, entwaffnet sind sie nicht, besiegt sind sie nicht - demoralisiert sind wohl auch nicht. Großayatollah Ali al-Sistani ließ einen Kompromiss aushandeln, der es mit sich brachte, dass ihr Führer als Partner und damit als Machtfaktor respektiert werden musste. Wenn als Projektionsfläche dieses Vorgangs die Heiligtümer der Stadt Nadschaf zur Verfügung standen, schuf das eine solch mythische Symbolik, wie sie Gotteskrieger vermutlich zu schätzen wissen. Die Verständigung zwischen der moralischen Autorität des hohen schiitischen Klerus und der militärischen Kapazität des schiitischen Predigers, der sich als Blutzeuge seiner Mission zu inszenieren versteht, war nur an eine Bedingung gebunden: die Regierung Allawi wie auch die Amerikaner durften nicht mehr sein als die stillen Teilhaber dieses Agreements. Und das, obwohl sie es mit einer einzigen Artilleriesalve hätten sabotieren können. Stattdessen mussten sie erdulden, dass ihre erdrückende Übermacht als Ohnmacht vorgeführt wurde.

Selten gab es in den vergangenen anderthalb Jahren im Irak eine Situation, die besser begreifen ließ, worauf sich Bush mit seiner Eroberung eingelassen hat. Er ist sehenden Auges in einen Heiligen Krieg gezogen, in dem es keine Sieger gibt, sondern nur das Paradies der Märtyrer und die Hölle der Ungläubigen.

Die US-Truppen gingen vor der Imam-Ali-Moschee in Stellung, weil eines zweifellos richtig ist: Entweder alle paramilitärischen Strukturen im heutigen Irak werden ausgeschaltet oder die für Anfang 2005 angekündigten Wahlen können nicht (oder nur unter höchst irregulären Bedingungen) stattfinden. Ohne ein solches Votum aber mag in Bagdad regieren, wer will - er bleibt ohne demokratisches Mandat. Für das Land die beste Gewähr, in einem Zustand archaischer Unruhe zu verharren und fremder Militärpräsenz unterworfen zu bleiben.

Und das scheint die eigentliche Botschaft von Nadschaf zu sein: die Übernahme von politischer Verantwortung durch eine irakische Regierung, die von Irakern legitimiert ist, bleibt in weiter Ferne. Es hat sich viel mehr eine Gegenmacht etabliert, die mit religiöser Inbrunst, politischer Zähigkeit und brachialer Gewalt Enklaven eines islamischen Gottesstaates zu errichten gedenkt. Wenn Al-Sadr so machtbewusst ist, wie behauptet wird, dürfte er diesen Weg schon deshalb weiter auskosten, weil der nicht allein Emanzipation vom schiitischen Establishment verheißt und die irakische Gesellschaft unter Spannung hält, sondern zugleich neue Anhänger rekrutieren lässt. Sie kommen aus jenen urbanen Schichten, denen die Amerikaner und ihre irakische Gefolgschaft jede wirtschaftliche Zukunft schuldig bleiben. Sie haben nichts zu verlieren und viel zu gewinnen. "Fürchtet Euch nicht", rief der Imam in Nadschaf vor einer Woche, als die Mahdi-Milizen ihr Refugien zu räumen begannen. "Nutzt die Gelegenheit, um den Weg ins Paradies zu gehen." Der Prediger hörte die Antwort: "Imam Ali, wir kommen zu Dir".


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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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