In gutem Glauben

Scheinalternative Die Waffeninspektionen vor einem Jahr waren der sicherste Weg in den Irak-Krieg

Erinnern wir uns: die Präsentation der vermeintlichen Beweise für die Waffen Saddam Husseins durch Colin Powell am 5. Februar 2003 vor dem UN-Sicherheitsrat wurde auch hier zu Lande medial ausführlich kolportiert, bis hin zur Live-Übertragung des Powell-Auftritts. Alles war von solch makelloser Objektivität, dass die Notwendigkeit, etwas gegen die irakischen Arsenale zu unternehmen, als unstrittig galt. Nicht die Frage nach dem "ob", allein die nach dem "wie" war zulässig und bezog sich auf die Alternative: Krieg und Ausschaltung der mutmaßlichen Waffenbestände oder Inspektionen und Neutralisierung derselben.

In Wirklichkeit liefen beide Optionen auf eine andere Alternative hinaus: Die Entscheidung zwischen dem Sturz des Regimes in Bagdad, den die absehbare Niederlage in einem Schlagabtausch mit der US-geführten "Koalition der Willigen" unweigerlich zur Folge haben musste, und einer Kooperation mit eben diesem Regime, worauf fortgesetzte UN-Inspektionen angewiesen waren. Dies allerdings hätte bedeutet, die irakische Führung als Partner zu akzeptieren und international aufzuwerten. Die amerikanische und britische Regierung mussten wissen - wie die vor einem Jahr bereits vermutete und inzwischen offenkundige Manipulation von Geheimdienstdossiers erkennen lässt -, dass eine länger anhaltende Waffensuche durch UN-Teams ergebnislos bleiben würde und dazu führen könnte, Saddam zu "entdämonisieren". Zeitlich eng befristete Inspektionen waren insofern der sichererste Weg in den Krieg. Je näher dabei die dead-line rückte und nichts gefunden wurde, desto mehr drängte Bush zum Handeln. Der klassische Fall, wie Diplomatie, die auf einen entschlossenen Aggressor stößt, pervertiert werden kann, weil sie das Gegenteil dessen bewirkt, was sie erreichen will.

Anstatt diese absurde Dynamik klar zu benennen, haben sich vor dem Irak-Krieg viele Gegner der US-Politik in die argumentative Defensive treiben lassen, indem sie auf die Scheinalternative Inspektionen oder Krieg eingingen. Wer im medialen Diskurs zu Wort kommen wollte, durfte nicht in Verdacht geraten, ein unfreiwilliger Anwalt Saddams zu sein, und musste den Eindruck erwecken, die vermeintlichen Waffen seien ebenso vorhanden wie der Wille, sie einzusetzen. Erst nach diesem Kniefall vor der Political Correctness, die es - wie schon vor dem Kosovo-Krieg 1999 - durchaus verdiente, hysterisch genannt zu werden, durfte eine Debatte über den "friedlichen Ausweg" geführt werden, auf deren narkotisierende Wirkung Verlass war.

Warum aber haben sich so viele Kriegsgegner bei uns auf diese Scheinalternative eingelassen, wenn ihnen nicht zuletzt angesichts der Interessen von Amerikanern und Briten klar sein musste, dass die Weichen längst gestellt waren und der Zweifel daran kein wirklicher "moralischer" Halt sein konnte? War es Selbstbeschwichtigung oder der verdeckte Schulterschluss mit einer politischen Klasse in Deutschland, die diesem Krieg mehrheitlich nur deshalb ablehnend oder skeptisch gegenüberstand, weil Bush damit den "Westen" insgesamt unkalkulierbaren Risiken aussetzte? (Deutschland wird dem früher oder später auch militärisch Tribut zollen müssen.) Es wäre anmaßend, eine Antwort geben zu wollen. Auffallend ist nur: der Glaube an die Alternative "Krieg oder Frieden" im Fall Irak blendet aus, dass die Formel: "Ein Krieg kann keine Lösung sein", heute längst nicht mehr gilt. Im Gegenteil, ein Krieg und die Fähigkeit, ihn zu führen, werden als Nachweis der globalen Wettbewerbsfähigkeit einer Gesellschaft gesehen, die in ihrem Inneren nicht viel mehr - und das ist nicht wenig - zusammenhält als die Angst, auseinander zu fallen. Das wird offenbar mehr und mehr verinnerlicht. Warum eigentlich wundert sich Verteidigungsminister Struck (SPD) am 4. Februar in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung darüber, dass die Debatte "über meinen Satz, Deutschland werde am Hindukusch verteidigt, bisher so ruhig verlaufen ist"? Weshalb lässt er seine Leser nicht wissen, wie sehr es ihn freue, dass ein weltumspannender Interventionsanspruch inzwischen so ergeben hingenommen wird?


Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden