In Milch eingelegt

Brecht-Film Autor Heinrich Breloer präsentiert in seinem für die ARD produzierten Dokudrama einen Bertolt Brecht, bei dem vor lauter Privatheit der Dichter abhanden kommt

Man hat sich nach 1989 zuweilen darauf verständigt, dass Bertolt Brecht noch einmal entdeckt werden müsse. Allenthalben wurde suggeriert: Brecht-Rezeption könne fortan nur heißen, die Inszenierung seiner Stücke, die Interpretation seiner Gedichte und das Verständnis seine Theatertheorie von Gebrauch und Missbrauch im Kalten Krieg zu lösen. Was dabei eher selten erinnert wurde: Dass es im Westen eine Manie des Boykotts gab, die seinem Werk besonders in den 1950er und 1960er Jahren zuteil wurde. Hatte sich im Kontrast dazu der Osten, im besonderen die DDR, an eine kanonisierte Wahrnehmung des Dichters und Dramatikers gehalten, so sollte auch die zur Disposition stehen.

Bleibt bis heute die Frage, wie soll man sich einem Jahrhundert-Literaten nähern, der auf sein Werk mehr Wert als auf sein Leben legte. Auf eine solche Weise, wie das Heinrich Breloer mit seinem soeben von der ARD ausgestrahlten Doku-Drama fertiggebracht hat? Da schrumpft im ersten Teil der junge Brecht zum Privatmann, um im buchstäblichen Sinne des Wortes als rastlos-unersättlicher Liebhaber, bubenhafter, selbstverliebter, egomanischer Verführer vorgeführt zu werden.

Da trifft es sich, dass Darsteller Tom Schilling wie die Idealbesetzung für ein Klischee wirkt – für einen synthetisch-authentischen Brecht, stets gegen die Versuchung gefeit, diesem Lebensflaneur mit den schmutzigen Fingernägeln das Pennälerhafte zu nehmen und wenigstens mit einem Hauch – wenn schon nicht mehr – François Villon zu beschenken. Immerhin darf er einmal für sich geltend sagen, mit 15 schon an seinem „Baal“ geschrieben und sich an einem Sünder gerieben zu haben, der unter einem großen, stillen und fahlen Himmel erfahren muss, dass „Genießen“ bei Gott nicht so leicht ist. Diesen Baal nimmt man Breloers und Schillings Brecht nicht ab, sondern glaubt ihn in Milch eingelegt.

Mögen Brecht die Affären mit Paula Banholzer sowie Marianne Zoff und das Handgemenge mit deren Galan, dem eifersüchtigen Geschäftsmann Recht, arg beschäftigt haben, dann sei ihm das hintergerufen. Aber bitteschön in Maßen und nicht in 60 von 90 Minuten Doku, ohne auf Balance bedacht zu sein und mit gleichem Nachdruck zu vermitteln, mit welchem künstlerischen Anspruch dieser junge Augsburger auf der Suche nach neuen lyrischen und dramatischen Ausdrucksformen war.

Ja, sicher, es wird angedeutet, wie Brecht mit dem Ersten Weltkrieg abrechnet, dem er anfangs genauso hurrapatriotisch begegnet wie das Gros seiner Altersgenossen. Aber er rechnet eben nicht irgendwie ab, sondern knöpft sich in seiner 1918 geschriebenen „Legende vom toten Soldaten“ das verkommene Ideal der Aufopferung vor, wenn Militärärzte einen Gefallenen wieder aus dem Grab ziehen, um ihn kriegsverwendungsfähig (kv) zu schreiben und erneut ins Stahlbad zu schicken.

„Sie schütteten ihm einen feurigen Schnaps/In den verwesten Leib/Und hängten zwei Schwestern in seinen Arm/Und ein halb entblößtes Weib/Und weil der Soldat nach Verwesung stinkt/Drum hinkt ein Pfaffe voran. Der über ihn ein Weihrauchfass schwingt/Dass er nicht stinken kann.“

Zwar wird bei Breloer die Entstehung des Gedichts zur Episode, aber ausgeblendet wie sehr sich Brecht damit als politischer Autor zu erkennen gab. So sehr, dass seine „Legende“ schon vor Ende der Weimarer Republik auf den Index kam. Und die Nazis dieses Gedicht 1933 zum Anlass nahmen, dem bereits Emigrierten den Ausbürgerungsbescheid hinterherzuschicken.

Breloer zeigt dem Zuschauer zwar den 1918/19 in flatternder Uniform leger herumlaufenden Sanitätssoldaten Brecht, erspart ihm aber den Hinweis, dass der in Augsburg trotz aller zur Schau getragenen Indifferenz soviel Abscheu gegenüber der bürgerlichen Welt aufbrachte, dass er sich zum Soldatenrat im Lazarett wählen ließ.

Bett statt Barrikade

Und wo spürt man in diesem Doku-Aufguss etwas von der anarchischen Kraft, mit der Brecht in seinen frühen Stücken auftrumpfte und dabei zu einer plebejischen Sprachkraft fand, wie man sie seit Luther nicht mehr kannte? Schön, dass – zum wievielten Male? – rekapituliert wird, dass es Marta Feuchtwanger war, die seinem Revolutionsdrama „Spartakus“ vor der Uraufführung 1922 in München den Titel „Trommeln in der Nacht“ verpasste.

Aber was hat es damals bedeutet, mit diesem Stück der Revolution von 1918 einen Gegenentwurf zu gönnen, um zu sagen: Da wird einer der Revolution nicht minder gerecht, indem er sie verrät, wie das Andreas Kragler tut, als er statt auf die Barrikade ins Bett der ersehnten Geliebten Anna steigt. Dem Zuschauer bleibt weiter vorenthalten, wie sich mit „Trommeln in der Nacht“ ein neues dialektisches Theater herausschält, für das Brecht die ästhetische Konzeption nicht schuldig bleibt. Damit seinerzeit anzutreten, wurde zur unverblümten Provokation, weil der Verfasser eben nicht dem Verheißungshunger eines Menschenbilds zu Diensten war, das der Expressionismus – nur allzu oft hymnisch – beschwor. Der Weltbühnen-Rezensent schrieb nach der Premier, dass sich bei „Trommeln in der Nacht“ der inflationär gebrauchte Ausruf „O, Mensch!“ nicht einmal zwischen den Zeilen finde.

Wie eine Wolke

Möglich war das freilich nur durch eine Sprache, in der als Literatur angelegt war, was der Literaturkritiker Hans Mayer einst als das Beleben einer nicht bürgerlichen, nicht anständigen und urwüchsigen Tradition charakterisierte. Wie nähert sich Breloer diesem Phänomen? Bestenfalls, indem er sich auf die Bravheit des aufs Biografische abhebenden szenischen Implantats besinnt. Als Szene wird eingestreut, dass Brecht auf seiner ersten Reise nach Berlin am 21. Februar 1920 das „Sentimentale Lied Nr. 1004“ dichtet, das er später „Erinnerung an die Marie A.“ nennen wird.

Gerade dieses „Lied“ lässt erkennen, wie falsch und irreführend es gerät, die frühen Jahre des Dichters mit dem beschränkten wie gebannten Blick auf seine Beziehungseskapaden zu erzählen. Labt sich der Verfasser nicht beim Erinnern an die Maria A. am Flüchtigen, am Zufälligen und Schwindsüchtigen der wie eine Wolke dahinschwindenden Liebe?

Wer dennoch meint, ausufernd über den ambitionierten Liebhaber erzählen zu müssen, sollte so fair sein und nicht nur die überlieferte Erinnerungen Paula Banholzers aufwärmen, sondern sich ebenso bei Brecht lyrischem Kontrastprogramm bedienen, dem jeder melodramatische Schleim verhasst ist. Man denke an die Sonette, besonders das zwölfte, in dem es über die Gedichte des Dante auf die Beatrice heißt: „Noch immer über der verstaubten Gruft/In der sie liegt, die er nicht vögeln durfte/Sooft er auch um ihre Wege schlurfte. Erschüttert doch ihr Name uns die Luft.“

Das ist der wahre Brecht, der es in seinen Werken weitgehend vermieden hat, Autobiographisches zu verwenden und Einblicke in sein Privatleben zu geben – mit Ausnahme der Marianne-Zoff-Anekdoten in seinen Tagebüchern. Autor Breloer macht nun die Ausnahme zur Regel und ein Leben zum Steinbruch, in dem man gräbt und gräbt, bis die Hosentasche voller Kieselsteine ist und schwer genug, sich erleichtert zu fühlen.

Brecht hat das nicht verdient, nicht einmal das Publikum, dem diese Versatzstücke angeboten werden.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen.

Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zur Wochenzeitung Freitag. Dort arbeitete es von 1996-2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

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