„Wer der Mordlust verfallen ist, nie zwingt er der Welt seinen Willen auf“, schrieb der chinesische Philosoph Laotse in seinem Traktat Taoteking vor gut 2.500 Jahren. Die Kausalität gilt bis beute. Eine zivilisierte Welt könnte nicht überleben, wäre es anders. Die Aussage legt im Umkehrschluss nahe, wenn du dich mäßigst und deine Waffen in Schach hältst, erreichst du mehr.
Beseelt das die Aufständischen in der Ostukraine? Ziehen sie deshalb schweres Gerät von der Front- beziehungswesie Waffenstillstandslinie ab? Auch wenn es oft nur um ein paar Kilometer zurückgeht? Diplomatisch orchestriert wird der Vorgang durch Russlands Außenminister Sergej Lawrow, der von Kiew verlangt, die ukrainische Armee solle ihre Panzer, Raketenwerfer und Artilleriegeschütze ebenfalls aus den Zonen holen, die gemäß Minsk-II-Abkommen zu räumen sind. In Betracht käme zum Beispiel der Raum Mariupol.
Man muss sich auf eine aktuelle Krisendiagnose einlassen, um zu erklären, warum die Therapie „Disengagement“ durchaus sinnvoll ist. Die Rebellen könnten sich entschlossen haben, in Vorkasse zu gehen, weil ein politischer Vorteil winkt. Einiges spricht für ein mit Moskau abgestimmtes Vorgehen, um Präsident Petro Poroschenko in Zugzwang zu bringen.
Glückverheißend ist allein ...
Augenblicklich steht der mehrfach unter Druck. Es häufen sich die Stimmen im Land, die ihn als Oligarchen geißeln und als Reformer für untauglich halten. In der Westukraine proben rechtsradikale Milizen den Aufstand, bedienen sich – wie jüngst in der Stadt Mukatschewo geschehen – terroristischer Gewalt und drohen der Regierung mit einem Marsch auf Kiew.
Letzten Endes ist Poroschenko auch deshalb angreifbar, weil er am 12. Februar 2015 in Minsk nicht nur für eine Waffenruhe quittiert hat, sondern gleichsam für eine Verfassungsreform. Die sollte das politische System föderalisieren und mit den Aufständischen abgestimmt werden. Hier steht Kiew mit ziemlich leeren Händen da und ist seinen Verpflichtungen so wenig nachgekommen wie dem Minsk-II-Auftrag, die Wirtschafts- und Zahlungsblockade gegen die Ostukraine aufzugeben.
Diese Defizite haben ihren Anteil daran, dass es im Donbass keine Entspannung gibt. In Kiew fehlen der Wille oder die Bereitschaft oder beides, die Regionalmacht der Antipoden im Osten als Realität anzuerkennen und sich der Einsicht zu nähern: Es wird keinen ukrainischen Staat mehr geben, wie er vor dem Maidan und seinen Folgen bestand.
Wenn sich die ukrainischen Akteure zu keiner Verständigung durchringen, sollten ihre Schutzmächte eingreifen und der Verantwortung gerecht werden, auf die sie durch ihre Rolle in diesem Konflikt festgenagelt sind. Eine zu Beginn der Woche veröffentlichten Erklärung des Willy-Brandt-Kreises in Berlin – überschrieben: „Zum bedrohten Frieden – für einen neuen europäischen Umgang mit der Ukraine-Krise“ – plädieren die Verfasser (u.a. Egon Bahr, Peter Brandt, Volker Braun, Daniela Dahn, Gustav Horn, Friedrich Schorlemmer und Walther Stützle) für europäisch-russische Gipfelgespräche, die dringend geboten seien, um fortschreitende russisch-europäische Entfremdung aufzuhalten.
… Friedvolles zu tun
Sicher ein denkbarer Ausweg, nur hat eine solcher Ansatz nur dann einen Sinn, wenn er die festgefahrene politisch-strategische Situation auflöst. Die Schirmherren der Kiewer Administration sollten sich fragen, wo sie Russland entgegenkommen können, sofern in Moskau Gleiches geschieht und Kompromisse erwogen werden.
Es wäre ein Austausch von Memoranden denkbar, in denen sich beide Seiten verpflichten, wechselseitige Sicherheitsbedürfnisse zu akzeptieren – nicht nur zu respektieren. Man kann Moskau anbieten, wenn es die territoriale Integrität einer ukrainischen Föderation anerkennt, geben die USA und die EU im Gegenzug eine Garantieerklärung für die Bündnisfreiheit des Landes ab. Damit muss die Annäherung Kiews an die EU nicht rückgängig gemacht, doch dabei ein Abgleich mit den Interessen Russlands gesucht werden.
Ob die ukrainische Führung da mitzieht, wird u.a. davon abhängen, wie deren westlichen Partner ihre Wirtschafts- und Finanzhilfen als Katalysator einsetzen, um einen Umdenken zu bewirken. Vergleichbares geschieht mit einer gewissen Härte, wenn es die Reformbereitschaft der Regierung Poroschenko anzufachen gilt, doch geht dem Lebensretter „Kredite für einen bankrotten Staat“ bislang jedes Interesse ab, auf das innere Konflikttableau Einfluss zu nehmen.
Das ist sicher ein schwieriges Unterfangen. Es würde von der EU, der NATO und den USA verlangen, a) den eigenen Maximalismus in Sachen Ukraine zu kappen; b) die Kiewer Administration um die Versicherungspolice ihres politischen Daseins zu bringen – das Versprechen, mit der Hinwendung zum Westen und der Abkehr von Russland wende sich alles zum Besten. Wenn nun freilich in Washington, Berlin oder Paris der Wunsch nach Konzessionen laut wird, hätte man sich nicht nur neue Zwänge eingehandelt, sondern müsste auch nach einem Modus Vivende mit Moskau suchen – wie gehabt unter den Präsidenten Kutschma, Juschtschenko und Janukowytsch.
Ansonsten wird sich nichts groß bewegen. Politik braucht den Unterbau pragmatischer Vernunft, soll im Osten der Ukraine nicht latente Kriegsgefahr als Status quo konserviert werden. „Glückverheißend ist allein, Friedvolles zu tun“ (Laotse).
Kommentare 9
Sehr gelungene Analyse. Allerdings werden die Volksrepubliken wohl einen längeren Atem brauchen, wollen sie ihre Deeskalationsstrategie durchziehen. Denn es ist ja keineswegs so, dass die Ukrainer den regelmäßigen Artilleriebeschuss von Donetzk, Gorlowa und anderen Orten einstellen würden. Flammen dann noch regionale Gefechte auf, kann es ganz schnell wieder zu einer ernsten Verschärfung kommen. Umso mehr, da das Drehen an der Eskalationsschraube ein wichtiges Instrument für die ukrainische Regierung ist, um von den ökonomischen und sozialen Problemen abzulenken, Zugeständnisse von den westlichen Partnern wie den USA und dem IWF zu abzuringen und ganz allgemein den Laden zusammenzuhalten. Noch funktioniert das, doch wird offensichtlich, dass die Rauschgifte Nationalismus und Krieg die Ukraine nicht ewig "high" sein lassen werden. Der mentale Absturz wird ganz sicher noch kommen. Das aber wird die ukrainische Regierung so lange wie möglich - und mit allen Mitteln - hinauszuzögern versuchen. Ich würde gern glauben, dass die russische/ "volksrepublikanische" Demilitariesierungsinitiative erfolgversprechend ist, aber zur Zeit bin ich noch skeptisch.
Bezüglich der Laotse-Weisheit am Schluss hätte ich eine andere beizusteuern: Manchmal muss auseinander gehen, wer wieder zusammenfinden will. Oder: Manchmal hilft das Weggehen, um wieder anzukommen, zurückzukommen. ...
Das kann jeder und jede für sich selbst übersetzen, was das für die Ukraine und den Konflikt in ihr und um sie bedeuten könnte.
Es scheint fast so, als könne Poroschenko nicht schnell genug liefern...
So etwas erlaubt auch andere Spielräume.
der am angfang zitierte laotse-spruch zeugt von welt-fremdem,kontra-faktischem wunsch-glauben.wir wissen es besser zumindest nach den raids der wikinger,dshingiskahns und adolf hitler.wo völkerscharen unter entschlossenen führern auf beute aus sind, steht das friedfertigere,humane auf der kippe. das bedrohliche fühlt sich manchmal durch beschwichtigung bestätigt. gut-gemeinte sprüche sind an vorliegenden erfahrungen zu revidieren, politik muß auch mit bösem rechnen, nicht jeder kontrahend im aus-und inland ist bereit, ansprüche anderer zu respektieren....ist kein autoritäts-gesättigter spruch, läßt sich überprüfen. gewalt ist ein faktum, die idee ist es erst,wenn sie alle ergreift.
..."..ist kein autoritäts-gesättigter spruch, läßt sich überprüfen. "
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lese ich falsch? austeritäts-gesättigter?
Gelungene Analyse! " russisch-europäische Entfremdung " Kernsatz! Gewollt und gefördert auch von den USA! Die uns abhören - schöne Freunde!
Leider rüstet die Nato das Regime in Kiew derzeit schwer mit Waffen. Dies, und der fortwährende Beschuss von Donezk sprechen dafür, dass die Minsker Waffenruhe lediglich eingegangen wurde um die militärisch ausweglose Lage Kiews zu bessern.
Beim besten Willen kann ich angesichts dieser Vorgänge nicht an einen Frieden glauben. Ich hoffe nur, dass das Kiewer Regime noch vor dem großen Knall in sich zusammen fällt.
Offenbar muss Poroschenko jetzt doch reagieren. Heute morgen kam, dass er seine Delegation in der Kontaktgruppe angewiesen haben soll, ebenfalls über einen Rückzug von schweren Waffen zu verhandeln.
"schweren Waffe" ... die bekommt dann Erdogan für seinen sauberen Krieg gegen die PKK Kurden! Kriegslügen!