Irak 2003: Den Krieg so nah wie nötig, aber so gefiltert wie möglich
Zeitgeschichte Exklusiver Zugang zur Armee im Austausch für geschönte Berichterstattung über den Krieg im Irak. Warum die Idee des Embedded Journalism erfolglos blieb
„Living Support Area Seven“, Kuweit, an der Grenze zum Irak, 1. Februar 2003
Foto: Scott Nelson/Getty Images
Als am 20. März 2003 mit massiven Luftschlägen der Air Force die USA einen Angriffskrieg gegen den Irak beginnen, überschlagen sich bald die Ereignisse. Am 9. April bereits ist Bagdad eingenommen, die Armee des Diktators Saddam Hussein geschlagen, dessen Denkmal auf dem Firdos-Platz geschleift. Wie schon bei der „Operation Wüstensturm“ von 1991 hat sich gegen das Land zwischen Euphrat und Tigris eine Zerstörungsmaschine in Marsch gesetzt und ganze Arbeit geleistet. Sie will beeindrucken, aber nicht unbedingt als Monster erkannt sein. Gelingen kann das nur, wenn der Krieg in seiner rohen Gewalt mehr versteckt als gezeigt wird.
So findet sich der Vormarsch von einer Informationskampagne flankiert, bei der eingepreist ist, was als Lektion des Vietnam-Kriege
nam-Krieges (1965 – 1973) verinnerlicht wurde. Die Niederlage der stärksten Armee weltweit im Kampf gegen ein indochinesisches Bauernvolk verklärt eine amerikanische Dolchstoßlegende. Danach wurde Vietnam nicht nur, aber maßgeblich an den TV-Schirmen verloren, so die Lesart. Große Stationen wie ABC und CBS hatten bei prächtigen Einschaltquoten Gefallen daran gefunden, die Schlachten im Zentralen Hochland Südvietnams, um Stützpunkte wie Khe Sanh 1968 oder Quang Tri 1972, direkt zu übertragen. Allzu häufig ließ die Macht der Bilder den lässig siegesgewissen Kommentar des Live-Reporters an sich abtropfen, wenn Sanitätshubschrauber mit schwer verletzten, womöglich sterbenden US-Soldaten über Baumkronen schwebten und abdrehten.Beim US-Angriff auf den Irak im Januar 1991 war solcherart Berichterstattung verpönt und allein schon dadurch unterbunden, dass es sich zunächst vorwiegend um Luftoperationen handelte. Medien-Talks des US-Hauptquartiers in Saudi-Arabien statt Live-Schalten waren das Maß der Dinge. Der Oberkommandierende Norman Schwarzkopf referierte vor dem akkreditierten Pressekorps und präsentierte Videomaterial mit Angriffssequenzen, das freigegeben, ausgewählt und mutmaßlich zensiert war. Augenscheinlich wurde beherzigt, was einst der britische Premierminister Winston Churchill freimütig bekannt hatte: „Im Krieg ist die Wahrheit so kostbar, dass sie stets von einer Leibwache von Lügen umgeben sein sollte.“Norman Schwarzkopfs frisierte BildmontagenWie verräterisch die Wahrheit sein konnte, hatte im Januar und Februar 1991 der allein im bombardierten Bagdad zurückgebliebene, weil vom irakischen Staatschef Saddam Hussein geduldete Reporter Peter Arnett gezeigt, der für den US-Kanal CNN das Monopol der Vor-Ort-Authentizität besaß. Wurde er vom Dach des Hotels „Raschid“ für CNN zugeschaltet, lieferte Arnett das Kontrastprogramm zur Infrarot-Triade – Feuerschweif, Fadenkreuz, Treffer –, wie sie General Schwarzkopf seinem Publikum servierte.Dessen Botschaft: Die Treffgenauigkeit unserer Bomben und Marschflugkörper ist hoch und über jeden Zweifel erhaben. Wir schalten militärische Infrastruktur des Gegners aus – Luftabwehr, Munitionslager, Kasernen, Flugplätze, Aufmarschrouten. Weshalb diese Ziele ausgerechnet im Stadtzentrum von Bagdad lagen, wo es die meisten Einschläge gab, tat nichts zur Sache. Unbeantwortet blieb die Frage, was Angriffe dieser Wucht und Dichte unter der Zivilbevölkerung anrichteten. Wie viele Menschen starben beim Einschlag, erstickten unter dem Schutt ihrer Häuser, taumelten als Obdachlose durch eine Stadt, die in sich zu versinken drohte? Was bedeutete es, wenn die Trinkwasserversorgung unterbrochen war, weil nach Treffern die Pumpstationen und Kläranlagen ausfielen?Die CNN-Reports klammerten das Ausmaß der Zerstörung nicht aus. Arnetts Schlüsselsätze lauteten: „Die Silhouette von Bagdad hat sich verändert, der Brandgeruch zieht nicht mehr ab.“ Unmittelbares Erleben konterkarierte frisierte Bildmontagen, die zum Weltbild eines Angriffskrieges auserkoren waren. Freilich mussten sich aus Norman Schwarzkopfs Warenkorb alle versorgen, die keine eigenen Bildquellen hatten. Und wer hatte die?Die Regierung Bush nimmt gezielt Einfluss auf KorrespondentenDass Arnett und CNN 1991 in ihrer Berichterstattung das pure Grauen nicht ausklammern, sorgt in der Regierung des damaligen Präsidenten George Bush senior für Verdruss und Unbehagen. Auf die Vietnam- folgt prompt die Irak-Lektion. Und es werden Vorkehrungen getroffen, dem nicht noch einmal ausgesetzt zu sein. Gezielter Einfluss auf Korrespondenten zu nehmen, wird als unerlässlich empfunden. Als sich zum Jahreswechsel 2002/03 abzeichnet, dass die USA den Irak (unter erfundenen Vorwänden) erneut angreifen werden, übernimmt ein dem Pentagon zugeordnetes Office of Strategic Influence die Propagandaoffensive. Doch allzu plumpe Falschinformationen noch vor dem 20. März 2003 adeln das Unternehmen kaum. Ein Office of Global Communications muss einspringen und hat sich u. a. der Kriegsskeptiker Frankreich und Deutschland anzunehmen.Wegen der Stimmung zu Hause und in der Welt wird auf eine gelenkte Berichterstattung geachtet, die übertrifft, was bei der „Operation Wüstensturm“ 1991 üblich war. Die Army akkreditiert nun „Embedded Journalists“ (eingebettete Korrespondenten), deren Standorte mit Kommandozentralen des US-Militärs oder deren Umfeld identisch sind. „Embeddeds“ werden täglich zu Briefings geladen, mit Informationen und exklusiven Gesprächspartnern versehen. Ausgerüstet mit kleinen Digitalkameras und E-Mail-Anschluss sind sie prädestiniert, präsent zu sein wie CNN 1991. Die Reportage in Echtzeit suggeriert Echtheit.Gefragt ist ein Kriegsbild, welches das Publikum in den USA wie den Staaten bedient, die Präsident George W. Bush junior in einer „Koalition der Willigen“ beistehen. Es sollen Emotionen ausgelöst und synchronisiert werden, auf dass dem Aufmarsch gegen Saddam Hussein stets Massenloyalität zuteilwird. Die gespiegelte militärische Überlegenheit der eigenen Truppen beugt leidiger Erinnerung an Vietnam vor. Es gilt, den Krieg so nah wie nötig und so gefiltert wie möglich zu zeigen.Televisionäre Kriegs-ArenaAnfang April 2003 hagelt es beim Vormarsch auf Bagdad Szenen wie in alten Wochenschauen – rollende Panzer, marschierende Soldaten, vermummte Gesichter, aufgewirbelter Wüstensand, ausgebrannte irakische Tanks. Eine auf Tempo getrimmte, atemlose Bildkanonade, die den Krieg förmlich vorbeifliegen lässt. Der Weltbildschirm wird zur Domäne des US-Headquarters, unterstützt durch das High-Tech-Design einer modernen Fernsehgrafik in den Vereinigten Staaten, aber auch in Deutschland (Federführung hier: RTLplus), die sich dem High-Tech-Level der Waffen anzudienen hofft. Der Krieg wird in eine televisionäre Arena verlegt, in der man siegt und befreit, Schock und Horror hingegen heruntergespielt werden. Umso mehr hält sich der Erfolg des Embedded-Journalismus in Grenzen. Nicht nur, weil er im Geruch der Täuschung steht, auch weil der Versuch, die Furie Krieg wie einen dressierten Tiger zu reiten, früher oder später scheitern muss. Es ist so weit, als die Eroberung in die Besetzung des Irak übergeht, der fortgesetzte Krieg nun erst recht fortwährender Entartung verfällt.Als im April 2004 die widerständige Stadt Falludscha von US-Truppen durch den Einsatz von Phosphorbomben und Uranmunition zurückerobert wird, liefert das die Zivilbevölkerung Tod und Verderben aus. Fotos und Videoprints aus dem Gefängnis Abu Ghraib nahe Bagdad tun ein Übriges. Sie zeigen nackte Iraker, die von Aufsehern an Hundeleinen herumgeführt und an den Beinen aufgehängt werden. Einen Rückfall in die Perversitäten des Vietnam-Krieges werde es niemals geben, hieß es aus Washington im März 2003, kurz vor der Irak-Invasion.Was nichts daran ändert, dass Abu Ghraib an die Tigerkäfige auf der südvietnamesischen Insel Con Son erinnert – an die dortigen Kellerzellen und angeketteten Gefangenen, die durch ein Gitter in den blanken Himmel starren, wenn sie nicht bereits gestorben sind. Spätestens Abu Ghraib offenbart die ganze Vergeblichkeit des Embedded-Journalismus, der dem Krieg versöhnliche Wahrheiten abringen soll. Es gab sie nie und nirgends.