Ist der Corona-Kollaps für Europa wenigstens dazu gut, dass die Zeit drängt? Wird bereits der EU-Gipfel Mitte Juli zum Konsens über den 750 Milliarden Euro schweren Wiederaufbaufonds führen? Ursprünglich sollte Anfang September das erste Geld fließen, nun spätestens zum Jahresende. Jede EU-Regierung will, dass bald gezahlt wird. Sich den gebührenden Anteil zu sichern, verschafft politische Legitimation, die ökonomische Rationalität kann warten. Darf sie?
Vorerst gilt als entscheidend, dass eine 27-Staaten-Assoziation ihr ökonomisches Gewicht in die Waagschale wirft, um an den Finanzmärkten zu bekommen, was sie will und braucht. Wen schert da noch, dass ein im europäischen Recht verankertes Verschuldungsverbot der EU erstmals in deren Geschichte nicht heimlich kastriert, sondern öffentlich kassiert wird? Eine Zäsur, die allein von ihren Voraussetzungen her Beachtung verdient. Zunächst braucht eine zur Kreditnehmerin und Megaschuldnerin umgewidmete EU das einstimmige Votum des Europäischen Rates, schreibt Artikel 352 des EU-Vertrages vor. Zugleich muss das Europaparlament zustimmen. Dass sich hier wie dort keinerlei Widerstand regt, darf bezweifelt werden. Allein die vier Višegrad-Staaten Ungarn, Polen, Tschechien und die Slowakei schienen bei ihrem Treffen Mitte Juni im südmährischen Lednice wenig entzückt darüber, dass die Hilfsakte der EU unter dem Vorbehalt rechtsstaatlichen Verhaltens stehen. Bleibt es dabei, könnten Warschau oder Budapest von ihren Vetorechten Gebrauch machen. Zudem ist denkbar, dass wegen der Verschuldungsfrage der Europäische Gerichtshof bemüht wird und einen Entschluss fasst, der verhindert, aufhält oder einschränkt, was an Corona-Hilfen in Aussicht steht. Sind diese Unwägbarkeiten schon von einiger Relevanz, gilt das erst recht für die hohen Schulden, die sich die EU für Jahrzehnte auflädt.
Wasser, das jetzt getrunken wird, stillt schließlich nicht den Durst, der kommen wird – auch wenn erste Verbindlichkeiten frühestens 2028 abgelöst werden sollen. Möglich wäre dies über höhere nationale Beiträge zum EU-Haushalt. Nur wollen, vor allem können das alle Mitgliedsstaaten leisten? Oder verschafft sich die EU-Kommission eigene Einnahmen, indem sie Digital-, Luftverkehrs- sowie Kohlendioxidsteuern erhebt, dazu den Emissionshandel abschöpft? Eine Einigung dazu müssen wiederum alle tragen. Die Kommission kann nicht allein dekretieren, woran sie verdienen will.
Wenn auch das – wie so vieles – ungeklärt ist, muss die Frage erlaubt sein: Wird zu viel Geld verbraucht? Werden die 750 Milliarden Euro wirklich benötigt? Sollten Vergabekriterien wie Produktionsrückgang, Arbeitslosigkeit, Haushaltsdefizit, Staatsschulden und Branchenkrisen überhaupt bzw. allein ausschlaggebend sein? Müsste nicht vielmehr danach gefragt werden, was in den EU-Staaten selbst durch soziale Umverteilung, Vermögensabgaben und durch eine der Pandemie gemäße Steuerpolitik passiert? Warum nicht einen Gerechtigkeitskoeffizienten ermitteln, der mitentscheidet, worauf eine Regierung Macron aus dem EU-Fonds Anspruch hat? Und müssen ökologische Straftatbestände wie Massentourismus, Automobilbau und Luftfahrt vom erzwungenen Müßiggang durch EU-Gelder erlöst werden, wie das Ursula von der Leyens Tableau „Next Generation EU“ vorsieht? Da drohen allein wegen des Klimawandels Kosten, die vielleicht nie mehr beglichen werden können.
Kommentare 4
Um gleich mit der tür ins haus zu fallen, wenn es um "die ökonomische Rationalität" geht, sind "verschuldungsverbote" unfug - oder auch das genaue gegenteil von rationalität.
Und weil das auch die Visegrad-staaten wissen, werden "Warschau oder Budapest" eben nicht "von ihren Vetorechten Gebrauch machen". denn auch ihnen wird ein stück vom EU-wiederaufbaukuchen als nichtrückzahlbarer zuschuss in den schoss fallen. Auch eine einschaltung des der EuGH ist eigentlich un-denkbar. Zudem muss die EU auch gar nichts "verdienen", denn ihre schulden gegenüber der EZB sind faktisch dasselbe wie eine ungleich verteilte menge an geld-münzen in der rechten und der linken hosentasche - ein zwang zur gleichverteilung (tilgung) besteht für die/den hosenträger*in offensichtlich nicht. Und am schluss: geld wird nicht "verbraucht"! Es gehört nur nach dem ausgeben jemand anderen.
Um es kurz zu machen: "Wasser, das jetzt getrunken wird", kann sehr wohl mit krediten bezahlt werden. Denn es ist ja jetzt bereits real vorhanden und kann getrunken werden. Ob der/die trinker*in es je bezahlt, kann offen bleiben, denn es hat sein/ihr leben jetzt gerettet.
Dasselbe gilt für den klimawandel - nach Herden kann er möglicherweise nicht abgewendet werden, weil er aufgrund der jetzigen ausgaben später unbezahlbar sein wird. Aber wenn das überleben der menschheit jetzt real gerettet würde, wäre es doch egal, was dies jetzt kostet; hauptsache es findet statt! Jedenfalls wäre es eine ungeheurliche dummheit, den klimawandel nicht aufzuhalten, nur weil dafür die gelddruckpresse angeworfen werden müsste- so what?
Schwer zustellbar scheint auch die Meinung linker Ökonomen zu sein.
In Wilmas Eck unterm Hirschgeweih, Null Eins Uhr 17 Minöten.
Ralf: „In USA geht eine einstellige Prozentzahl der Ausschüttungen an die Leute. Den Rest kriegen Konzerne und Reiche.“
Bert: „Das´s ja auch richtig so. Und bei uns wird das auch … so.“
Ralf: „Wieso ist das richtig?“
Bert: „Na, weil die Konzhärne und die Reichen Wi´tschaftskompätenz hab´n. … Die machen dann mehr draus. Und dann schaffen die Arbeitsplätze.
Nich´so wie ihr Sozis, die ihr immer verteilen wollt und überhaupt gar keine Ahnung habt, woher´s kommt.“
Ralf: „Du denkst doch wieder nicht mit. … Else, macht du mir noch eins?“
Bert: „Wieso denk´ich nich´mit?“
Ralf: „Weil die, denen es sowieso viel zu gut geht, dann mit der zusätzlichen Knete einkaufen gehen.“
Bert: „Wer?“
Ralf: „Na, die Konzerne und Reichen.“
Bert: „Ha ja; klar. Und was kaufen die ein?“
Ralf: „Alles, was mit Corona in den Keller gegangen ist. Rohstoffe, Aktien, Unternehmen und Beteiligungen und so weiter.
Und dann vergrößert sich die soziale Kluft schneller weiter. Also eben die Misere insgesamt.“
Bert: „Ihr mit euerm Sozialneid gönnt den Leuten aber auch wirklich nix.
… Else, mir auch eins und´n Korn dazu bidde“.
Vielleicht ist es Zeit, wenigstens eine Milliarde in einem Fond zu retten, um in einem freien "Denkhaus-Europa" gemeinsam nach eigenen neuen Wegen für die Gestaltung der Zukunft auf dem gesamten Europäischen Kontinent zu suchen. Frei von eitler politischer Geschwätzigkeit und ideologischen Machtspielen, gleichberechtigt in einem geistes- und naturwissenschaftlichem Europa Forum den alten schon verstorbenen Dichter/innen und Denker/innen zu gedenken und den Worten der lebenden weisen Frauen und Männern zu zuhören.