Auf welche Seite soll man sich schlagen im Streit um Venezuela, Nicolás Maduro und die Bolivarische Revolution? Haben es die Chavisten verdient, fallen gelassen zu werden, weil sich der Sozialismus des 21. Jahrhunderts zwar nicht als Totgeburt, aber als Tod der Demokratie zu erweisen scheint? Oder soll man sich der unbestreitbaren, vor allem unbequemen Wahrheit stellen, dass soziale Gerechtigkeit noch nirgendwo vom Himmel fiel, sondern erstritten und zu guter Letzt behauptet sein will? Wofür man sich entscheidet, für den Verriss, die Verteidigung oder das Verstehen Maduros und seiner Anhänger – jede Position ist angreifbar und wird der verfahrenen Situation Venezuelas nicht gerecht.
Wie sollte es auch anders sein? Revolutionen, die Gesellschaften auf den Kopf stellen, sind kein „Kritisches Seminar“ zur Theorie von Systemtransformationen, sondern existenzielle Herausforderungen. Man trägt notfalls die eigene Haut zu Markte, kein Flugblatt voller Parolen, das im Wind schnell verweht. Georg Büchner legt seinem Robespierre in Dantons Tod die Worte in den Mund, die Tugend der Revolution ist der Schrecken, und spielte darauf an, dass ohne Jakobiner-Diktatur die monarchistische Restauration triumphiert hätte. Hindert das heute irgendjemanden daran, diese Revolution als Durchbruch in ein neues Zeitalter zu würdigen?
Was hat das mit Venezuela zu tun? Zumindest so viel, dass auch hier Vorsicht walten sollte, wenn im Moment die Nachfrage nach ultimativen Gewissheiten steigt. Sicher kann sich Präsident Maduro seiner Gegner nicht dadurch erwehren, dass er ihnen das politische Existenzrecht bestreitet. Nur was soll er tun, wenn von denen Gleiches ausgeht? Seit der Wahl Ende 2015 hat sich das von Maduro-Gegnern beherrschte Parlament vorzugsweise dem Präsidentensturz verschrieben. Legislative und Exekutive blockieren sich gegenseitig. Statt einer Teilung herrscht ein Patt der Gewalten. Für dieses Land ein Worst-Case-Szenario, wird doch der ökonomische Absturz von einem Machtkampf überlagert, der es erschwert und aus Sicht der Opposition erschweren soll, die Krise einzudämmen.
"Alles oder nichts"
Dass Maduro mit seinem Verfassungskonvent nach dem neuen konstitutionellen Ansatz sucht, ist nachvollziehbar, auch wenn man damit rechnen muss, dass in einer schwer polarisierten Lage nun erst recht keine Chance besteht, einen Minimalkonsens zu finden. Die Chavisten werden sich nicht geschlagen geben, solange die Streit- und Ordnungskräfte weiter hinter dem Präsidenten stehen. Polizei und Nationalgarde waren bisher zu sehr auf dessen Verteidigung bedacht, um von heute auf morgen die Seiten wechseln zu können. Auszuschließen ist das freilich nicht.
Die Anti-Maduro-Allianz wiederum gehorcht dem Maximalismus des „Alles oder nichts“. Noch reicht ihr Gegengewicht nicht aus, um dort Breschen zu schlagen, wo die Chavisten am verwundbarsten sind – in den eigenen Reihen. Alles wird davon abhängen, ob ein Minimum an ökonomischer Normalisierung gelingt. Nur wie, wenn dank der Preisflaute bei Erdöl die Exporteinnahmen seit 2014 um gut zwei Drittel eingebrochen sind, so dass sich die Einfuhren bei Lebensmitteln und Medikamenten halbiert haben? Dass sich Maduro trotzdem für den Erhalt der meisten Sozialprogramme entschieden hat, zwingt dazu, die Geldmenge auszuweiten, und ist neben dem Schwarzmarktdollar Treibsatz einer Hyperinflation. Heißt sich treu bleiben, Selbstzerstörung in Kauf nehmen?
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