Man erinnert sich an einen Satz von Peter Hacks aus seiner Aristophanes-Adaption Der Frieden. „Wer heute mächtig in den gedrehten Strick greift, dem wird der Krieg einst keinen Strick mehr drehen.“ Der deutsche Verteidigungsminister Jung hat auf der NATO-Verteidigungsministerkonferenz in Krakau genau das Gegenteil getan. Statt hineinzugreifen, dreht er den Strick weiter. Und der wird länger und länger, wie das im Krieg oft so der Fall ist. Deutschland schickt bis zum Sommer 600 Mann zusätzlich nach Afghanistan und ist neben Italien der erste Staat, der dem Drängen der Amerikaner nachgibt, sich noch mehr zu engagieren als ohnehin schon. Dabei ist die Einsatzorder für dieses Kontingent, wie sie Minister Jung in Krakau angedeutet hat, so diffus wie fragwürdig. Ein Teil der Soldaten soll die in diesem Jahr anstehende Präsidentenwahl absichern. Ein Truppenversand mit Demokratiebonus also.
Wer kann etwas dagegen haben? Was werden diese Leute konkret tun? Stocken sie den Personenschutz für Karzai auf? Sichern sie seine Wahlmeetings? Seine Touren durchs Land? Nichts dergleichen erscheint denkbar. Die Stimmung in Afghanistan ist in vielen Provinzen so aufgeheizt, die Ablehnung der Besatzungstruppen so vehement, dass es für Karzai einem Harakiri gleichkäme, mit fremder Eskorte durchs Land zu ziehen, auf dass sich die Landsleute für seine Wiederwahl erwärmen.
Und überhaupt, sind nicht auch all die anderen 70.000 ausländischen Soldaten des ISAF-Korps am Hindukusch ein Schutzschirm für das Präsidentenvotum? Besteht ihr Auftrag nicht darin, das Land wenigstens soweit zu stabilisieren, das eine solche Abstimmung stattfinden kann? Weil im Moment die Stabilität fehlt, musste der Wahltermin bekanntlich von März auf August verschoben werden. Und nur die NATO-Truppen in Gänze werden dafür sorgen, dass es zu einem halbwegs regulären Wahlverlauf kommt.
Folglich sind Jungs 600 Mann Verstärkung vorrangig nicht als Wahlhelfer, sondern als Kombattanten gefragt. Sie werden Teil einer Kriegspartei sein, die von den Amerikanern darauf eingestimmt wird, in eine Entscheidungsschlacht zu ziehen. Der viel gerühmte Strategiewechsel der neuen US-Administration besteht zuvörderst darin, den Sieg sehr viel zielstrebiger und risikofreudiger zu suchen, als je zuvor seit dem 11. September 2001. Das Kräfteverhältnis in Afghanistan und die immer offensiveren Taliban stellen die USA, die NATO, den Westen insgesamt vor die Alternative: Entweder durch Overkill eine innere Befriedung zu erzwingen und die Aufständischen zu schlagen – oder aber das derzeitige militärische Patt wie ein politisches Remis zu behandeln und eine partielle Rückkehr der Taliban zu tolerieren. Die NATO hat sich in Krakau von den USA klar für den ersten Weg vereinnahmen lassen.
Die Option, bei alldem den zivilen Wiederaufbau nicht länger als Quantité négligeable zu behandeln, mag richtig sein, nur kommt sie zu spät, seit die Taliban besonders in den paschtunischen Siedlungsgebieten im Süden und Osten bereits über Parallelstrukturen verfügen. So führt auch die Bundeswehr in Afghanistan längst einen mal verdeckten und mal offenen Krieg und braucht dafür mehr Soldaten. Die Bürger in Deutschland hätten es verdient, dass ihnen dies mit aller Klarheit mitgeteilt wird und sie nicht mit dem verdrucksten Gerede eines überforderten Ministers abgespeist werden.
Kommentare 7
Lieber Lutz Herden, besten Dank für Ihren nüchternen Artikel. Längst ist Afghanistan zu einem Selbstläufer geworden, wie wir alle wissen, nur die kriegführenden Mächte scheinen ohne Ausnahme immer weiter blind einer Logik zu folgen, die sich seit langem als unlogisch erwiesen hat. Die Therapie greift nicht, aber sie wird nicht abgesetzt, sondern es wird nur die Dosis erhöht. Und ein Mann wie Minister Jung ist sowieso nur als nickender Wackeldackel unterwegs. – Sie haben am Anfang Peter Hacks zitiert, man könnte dessen ungeliebten Kollegen Heiner Müller anfügen: „Lange glaubte er noch, den Wald zu durchschreiten, … aber der Wald war das Tier, lange schon war der Wald, den zu durchschreiten er geglaubt hatte, das Tier gewesen … kein Gedanke mehr, das war die Schlacht...“ – Aber diese Poetereien nützen nichts, sie klingen nur schön. Über kurz oder lang werden wir neue Ex-Soldaten antreffen, die kein Silvester mehr ohne Pillen überstehen und bei jeder Autofehlzündung einen Flash kriegen, weil sie an Posttraumatischen Störungen leiden. Diese Menschen sind dann, unerkannt, mitten unter uns – aber um sie wird weniger Aufhebens gemacht werden als den Hindukusch, die westliche Freiheit und den salutierenden Minister Jung.
Lieber Flori, sehr richtig, nur was hat es genützt, die seelischen Kollateralschäden nach Vietnam waren doch enorm. Aber jetzt können Obama und Biden eine neue Generation nach Afghanistan schicken und wie die zurückkehrt, das interessiert sie wenig oder gar nicht. Ich antworte Ihnen - bezogen auf meine letzte Bemerkung noch mal mit Hacks: "Dieser Satz ist so stumpfsinnig, dass selbst die Logik ihn lehrt ..."
hallo lutz,
ich habe den Eindruck, dass wir seit 1968 immer nur um den heissen Brei rumreden - kaum einer sagt mal was Sache ist. Im Irak ging es um das Öl, in Afghanistan um Opium fürs Volk (bessere Logistik als das Goldene Dreieck) - und um von dem Dreck toter Zivilisten und eigener Soldaten abzulenken ( die natürlich nur dem Umsatz der Waffenindustrie dienen - abgesehen von dem "vaterländischen Weinen um Unsere Jungs - gute Ablenkung - wie auch "Deutchland sucht das Supermodell" - vor die machtgierige Wirklichkeit einen Schleier zu hängen - Zapfenstreich mit Tränen - Kommentar dazu - http://www.freitag.de/community/blogs/chrissx/abkuerzung-zum-paradies - freue ich mich über deinen Betrag.
So richtig klar ist mir nicht, was Sie genau fordern: den Krieg Krieg nennen oder eigentlich den Abzug der deutschen Truppen?
PS: Verzichten Sie doch auf unnötigen Anglizismen. "Overkill" und dieses unmögliche wie sachlich(!) falsche "US-Administration" tragen nicht zum Verständnis eines Artikels bei!
Danke für die Reaktion, was ich für richtig und notwendig halte: Man muss den Afghanistan-Einsatz nicht ständig mit Umschreibungen versehen, sondern klar sagen, dass man dort Krieg führt. Das erscheint mir schon deshalb, politisch angebracht, um in Deutschland eine Debatte darüber zu haben, ob sich die Regierung Merkel dem unterwerfen sollte, was die Amnerikaner jetzt fordern.
Ich verstehe nicht, was Sie gegen die Bezeichnung "US-Administration" haben.
Ich habe gegen die Bezeichnung "US-Administration" deshalb etwas, weil zwar der amerikanische Begrif "administration" für "Regierung" steht, die sie hier ja wohl auch meinen. "Administration" im Deutschen ist hingegen ein Fremdwort für „Verwaltung“. Und die reine Beamtenebene werden Sie hier wahrscheinlich nicht meinen, da diese nicht den von Ihnen genannten "Strategiewechsel" (an Stelle der neuen US-Regierung) vollziehen könnte.
Hallo chrissx,
ganz so, wie du sehe ich das nicht. Die Amerikaner sind nicht zufällig gleich nach dem 11. September 2001 nach Afghanistan gegangen, die Invasion ging ja schon am 7. Oktober 2001 los. Die zielte auf die Voillendung dessen, was sie mit der Vertreibung der Sowjets, die sich vor 20 Jahren aus Afghanistan völlig zurückzogen - zurückziehen musste, begonnen hatten,
herzlich - lutz