Es ist egal, ob eine Katze schwarz oder weiß ist - Hauptsache, sie fängt Mäuse. So soll Ende der siebziger Jahre Deng Xiaoping seine wirtschaftliche Reformstrategie umschrieben haben. Nach mehreren Degradierungen war der damals schon über Siebzigjährige auf dem XI. Parteitag der KP Chinas 1977 wieder ins Politbüro gewählt worden und konnte auf der legendären III. ZK-Tagung Ende 1978 seine Reform- und Öffnungspolitik durchsetzen. Ein Abschied vom maoistischen Dogma, aber kein Bruch mit Mao Zedong. Der am 8. September 1976 verstorbene "Große Steuermann" blieb im Mausoleum auf dem Platz des Himmlischen Friedens, keines seiner Denkmäler wurde geschleift, keines seiner Werke kam auf den Index.
Deng fragte lediglich: Warum hat man zwischen 1945 und 1949 mit der Revolution eine dekadente Feudalgesellschaft überwunden, wenn das chinesische Volk nach 30 Jahren noch immer nicht die materiellen Früchte dieser Zeitenwende erntet? Also propagierte er einen Sozialismus, der sich der Marktwirtschaft zu bedienen wusste - die Katze sollte Mäuse jagen und zur Strecke bringen, wo, wann und wie auch immer. Dengs Modell der Erneuerung galt daher für Industrie, Landwirtschaft und Binnenhandel gleichermaßen. Anders und sehr viel sinnvoller als Gorbatschow ein knappes Jahrzehnt später in der Sowjetunion begann Chinas Perestroika mit wirtschaftlichen Reformen. Unmittelbar nach dem erwähnten III. ZK-Plenum wurde in der Landwirtschaft das so genannte "Vertragssystem" eingeführt - das heißt, Kooperativen und Einzelbauern hatten fortan eine vertraglich vereinbarte Quote von Agrarerzeugnissen an den Staat abzugeben, während alles andere, was darüber hinaus produziert wurde, auf freien Märkten zu freien Preisen verkauft werden konnte. Die Versorgungslage entkrampfte sich innerhalb eines Jahres - nach der Hungersnot mit Millionen von Opfern in den zentralchinesischen Provinzen unmittelbar nach der Kulturrevolution von 1966/67 ein ungeheurer Fortschritt, auch wenn dies international kaum die gebührende Beachtung, geschweige denn Beifall fand.
Solange China seit Anfang der sechziger Jahre eine militante Feindschaft zum kommunistischen Erzrivalen Sowjetunion kultiviert hatte, war das Reich der Mitte im Westen wohlgelitten. US-Präsidenten wie Richard Nixon und Gerald Ford reisten nach Peking um dem greisen Diktator Mao Zedong ihre Aufwartung zu machen (wie auch nach Bukarest um dem "brutalen Diktator" Nicolae Ceausescu, wie sich 1989 herausstellte, gleichfalls den Rücken gegen Moskau zu stärken). Nun aber, da sich China dank der Reformen wirklich zu wandeln begann und die unmittelbaren Lebensinteressen einer Milliarde von Menschen respektiert wurden wie nie zuvor seit Gründung der Volksrepublik, schwanden die Sympathien. Besonders Menschenrechtsaktivisten im Westen erwiesen sich als unfähig, die Dimension dieser Zäsur zu erfassen.
"Wir sind der Auffassung, dass China noch für lange Zeit ausländisches Kapital anlocken und eine offene Politik praktizieren wird. Denn wir haben die Absicht, unser Gesamtprodukt bis zur Jahrhundertwende zu vervierfachen. Und wenn das erreicht sein wird, ergeben sich neue Ziele, die eine offene Politik erfordern", erklärte Deng im Dezember 1984 gegenüber der offiziösen China Daily, um Befürchtungen zu zerstreuen, die mit ausländischem Kapital gebildeten gemeinsamen Unternehmen (joint venture) könnten nur ein Übergangsszenario, die "Ökonomischen Sonderzonen" wie Shenzhen oder Xiamen mit ihren Steuerprivilegien für Investoren temporärem Pragmatismus geschuldet sein.
In der Tat war Deng zuallererst ein wirtschaftlicher Reformer - als politischer Reformer wäre er gescheitert. Behaupten konnte er sich in dieser Hinsicht nur als Revolutionär, galt es doch die Konservativen aus dem Traditionskabinett der reinen Lehre zu überzeugen oder zu entmachten, um China den "Großen Sprung" nach vorn zu sichern und die Irrgärten des Maoismus zu verlassen. Schon im Frühjahr 1977, nur wenige Monate nach Maos Tod, verbannte er die "Viererbande" um die Mao-Witwe Jiang Qing von sämtlichen Schalthebeln der Macht. Drei Jahre später erzwang Deng die Demission des noch von Mao persönlich eingesetzten Nachfolgers Hua Guofeng, der über Nacht Partei- und Regierungsvorsitz verlor. Die Risiken dieser internen Revolte waren Deng wohl bekannt - in den Jahren der Kulturrevolution hatte er jahrelang unter Hausarrest gestanden, während sein Sohn von "Revolutionsgardisten" auf dem Campus der Peking-Universität aus einem Gebäude geworfen wurde und seither an den Rollstuhl gefesselt blieb. Politisch unumkehrbar war Dengs wirtschaftliche Kehrtwende erst, als er 1982 den Vorsitz der Zentralen Militärkommission der KP Chinas übernahm.
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