Kein Betriebsunfall

Afghanistan Der durch NATO-Bomben verursachte Tod von Zivilisten in Helmand zeigt einmal mehr, dass die westliche Allianz einen Krieg führt, den sie nicht anders führen will

Wer glauben sollte, der Tod von afghanischen Frauen und Kindern nach dem Luftangriff in der Südprovinz Helmand, sei als „bedauerliches Versehen“ ein Rückschlag für die NATO-Strategie, die sich angeblich am Wohl der Zivilbevölkerung ausrichtet, der irrt. Und das gewaltig. Die ausländische Besatzung am Hindukusch ist offenkundig nur durch einen auf diese Weise und mit solchen Mittel geführten Krieg aufrechtzuerhalten. Wenn das so ist, muss mit Kollateralschäden gerechnet werden. Die sind einkalkuliert – die wird es weiter geben, so sehr Präsident Obama auch beteuert, seit er die Afghanistan-Politik verantworte, gingen militärischer Schutz und ziviler Aufbau Hand in Hand – ein kriegerischer Wiederaufbau sozusagen. Ein Widerspruch und eine gezielte Irreführung der Öffentlichkeit in den NATO-Staaten obendrein, die sich leider nur allzu gern beschwichtigen lässt.

Warum sonst wird es in Deutschland ergeben hingenommen, wenn Verteidigungsminister de Maizière durchblicken lässt, man brauche die jetzige Bundeswehrform, weil man Streitkräfte für Auslandseinsätze brauche. Der Minister nennt denkbare Einsatzorte derartiger Missionen wie Pakistan, Jemen, Sudan oder Somalia. In diesem Moment müsste eigentlich jedem klar sein: Afghanistan ist keine Episode, bei dem ein Konflikt aus dem Ruder läuft und jedes Zeitmaß sprengt. Nach Afghanistan wurde ein Konflikt hineingetragen, um diesen Krieg führen zu können. Afghanistan ist die Norm, kein Betriebsunfall. Es liegt in der Logik des bisherigen Kriegsverlaufs, kein anderes Rezept zu haben, diesen Feldzug über die Zeit zu bringen, als Übermacht in Gestalt von Overkill-Kapazitäten auszuspielen. Wofür dann – wie in Helmand – Zivilisten ihr Recht auf Leben einbüßen. Damit wird Deutschland – um noch einmal de Maizière zu zitieren – „internationaler Verantwortung“ gerecht. Und wie! Helmand im Süden steht neben Talokan in der Nordost-Provinz Tachar, wo am 18 . und 19. Mai 17 Afghanen getötet wurden, als sie vor einem Außenposten der Bundeswehr gegen den Tod von Landsleuten protestierten, die unter ähnlichen Umständen starben wie gerade Frauen und Kinder in Helmand.

Gegenüber der afghanischen Bevölkerung hat die NATO längst verloren. Aber sie bleibt, um zu zeigen, worum es eigentlich geht. Die Selbstermächtigung zum Weltordnungsregime, dem sich die Allianz verschrieben hat, auch wenn es dafür noch an der nötigen inneren Geschlossenheit und operativen Qualität fehlt. Aber die potenziellen Einsatz-Staaten lassen wissen, wohin es künftig geht, verdienen es, durch Libyen ergänzt zu werden. Auch dort hat bekanntlich der Schutz der Zivilbevölkerung ebenso Priorität wie in Afghanistan. Auch dort werden Schiffe versenkt, Straßen blockiert, Wohnviertel zerstört, Menschen durch Bomben getötet und Rebellenformationen zum Bürgerkrieg hoch gerüstet – alles zum Schutz der Zivilbevölkerung. Es gibt kein Argument für diese Intervention, das zu fadenscheinig wäre und nicht unterboten werden könnte. Es sind viele militärische Mittel recht, ihr zum Erfolg zu helfen. In Libyen wie in Afghanistan. In Tripolis wie in Helmand.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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