Kein Mut zur Sünde

Bilanz Ambivalenz bildete den Markenkern schwarz-gelber Außenpolitik seit September 2009. Ohne stringentes Konzept zu sein, galt als Erfolgsrezept
Ausgabe 30/2013

Die ägyptischen Generäle haben alles verdorben mit ihrem Putsch gegen Mohammed Mursi. Guido Westerwelle sieht sich zum Konsumenten von Geschehnissen degradiert, die er so gern beeinflussen und gestalten wollte. Die „Transformationspartnerschaft“ mit Ägypten war sein Geschöpf, diffus zwar, aber immerhin etwas Vorzeigbares aus vier Jahren schwarz-gelber Außenpolitik. Jetzt wird im Auswärtigen Amt gewarnt, gebarmt und gebettelt, der geschasste Präsident müsse auf freien Fuß, ein politischer Dialog dürfe die Muslim-Brüder nicht ausschließen. Es vergeht kaum ein Tag, an dem das Ministerium dazu keine Erklärung verschickt.

Das ist durchaus verständlich – der Arabellion von 2011 verdankt Guido Westerwelle seine Ankunft im Amt. Bis dahin hat er den FPD-Vorsitzenden im Rang eines Außenministers gegeben. Erst als ihn seine Partei wegen krasser Imageverluste vom Hof jagt, bietet sich Westerwelle erstmals in seiner Karriere die Chance, auf staatsmännisches Format bedacht zu sein und die Rolle des Dampfplauderers gegen die des schleppend formulierenden, diplomatischen Emissärs einzutauschen.

So fliegt er kurz nach der erzwungenen Demission Hosni Mubaraks als erster EU-Außenminister Ende Februar 2011 nach Kairo, trifft Marschall Tantawi – einst Vertrauter, jetzt Nachfolger Mubaraks – und lässt sich auf dem Tahrir-Platz feiern. Ein Ort, der den Gast zu gesalbter Rhetorik animiert. „Das ist ein ganz berührender Moment hier, etwas Besonderes. Das rührt mich schon an. Hier wird ein Stück Weltgeschichte geschrieben“, erleuchtet Westerwelle herumstehende Revolutionäre. Unmittelbar danach wird die „Transformationspartnerschaft“ mit Ägypten ausgerufen und von der EU übernommen.

Was ist damit gemeint? Beistand und Patenschaft, aber ansonsten Neutralität gegenüber den Staaten der Arabellion? Das Stimmverhalten Deutschlands am 17. März 2011, als im UN-Sicherheitsrat über die Resolution 1973 zu Libyen entschieden wird, legt diesen Eindruck nahe. Wie die Vetomächte Russland und China gibt auch die Bundesrepublik an diesem Tag durch ihren Botschafter Peter Wittig zu verstehen, dass sie die militärische Beihilfe der NATO für das Anti-Gaddafi-Lager zwar nicht ablehnt, aber eben auch nicht unterstützt. Unwillkürlich fühlt man sich an den Auftritt eines deutschen Außenministers auf der Münchner Sicherheitskonferenz Anfang 2003 erinnert. Wenige Wochen vor dem US-Einmarsch im Irak hatte damals Joschka Fischer dem sichtlich irritierten Verteidigungsminister Donald Rumsfeld bedeutet, er sei von diesem Feldzug nicht überzeugt („I’m not convinced“). Deutschland bleibe der von den Amerikanern geführten „Koalition der Willigen“ deswegen fern.

Lavieren und taktieren

Hat sich Guido Westerwelle daran ein Beispiel genommen, als er nun bei der „Anti-Gaddafi-Koalition der Willigen“ absagen lässt? Da ein solches Votum ohne Segen der Kanzlerin undenkbar ist, hätte Schwarz-Gelb einen Paukenschlag riskiert. Die USA, Frankreich, Großbritannien, Italien, auch die NATO auflaufen lassen – Respekt! Leider sind keine Überzeugungstäter am Werk, die der Einsicht folgten, das sich Interventionismus überlebt hat, wie Afghanistan und Irak zeigen, sondern Taktierer und Opportunisten. Anstatt den Lohn der Sünde einzustreichen und international an Statur zu gewinnen, wird durch verdruckste Statements zurückgerudert. Merkel solidarisiert sich mit den Luftschlägen der NATO, will nur keine Soldaten schicken, weil ihr das Risiko zu hoch erscheint. Ihr Außenminister rechtfertigt sich in einem Interview, die Enthaltung im Sicherheitsrat habe ja nicht bedeutet, „dass wir neutral gewesen wären“. Und er setzt hinzu, „die Autorität Deutschlands in der Welt kommt ja nicht zuerst von unseren Kampfeinsätzen und von der Größe unserer Armee, sondern von unserer wirtschaftlichen Kraft, von unserer auf Ausgleich bedachten Diplomatie …“

Ambivalenz gehört zum Markenkern schwarz-gelber Außenpolitik. Man schwankt zwischen Zurückhaltung bei Libyen und militärischem Engagement in Mali. Es gibt die Entscheidung zum Ausstieg der Bundeswehr aus Afghanistan und den Einstieg in eine Nachfolgemission, wie sie Verteidigungsminister Thomas de Maizière bereits ankündigt. Nicht weniger widersprüchlich gerät die Syrien-Politik. Das Auswärtige Amt warnt unablässig vor einem gewaltsamen Eingreifen von außen, aber Anfang Dezember 2012 beschließt das Kabinett deutsche Patriot-Batterien in die türkische Grenzregion zu verlegen. Waffensysteme, mit denen sich kein syrisches Artilleriegeschoss aufhalten, sehr wohl aber eine Flugverbotszone überwachen lässt.

Prompt kommt der Außenminister auch beim EU-Waffenembargo ins Lavieren. Anstatt klar zu bekennen, Deutschland räumt Verhandlungen Priorität ein und besteht auf einem Lieferstopp für alle europäischen Partner und gegen alle syrischen Parteien, wird Briten und Franzosen nachgegeben, die das Anti-Assad-Lager aufrüsten wollen. Ein Lehrstück für Westerwelles „auf Ausgleich bedachte Diplomatie“. Als das Treffen der EU-Außenminister Ende Mai am Streit über Syrien zu scheitern droht, wird er aktiv und präsentiert den Kompromiss: Das Embargo bleibt, aber nur bis zum 1. August, dann dürfen Frankreich und Großbritannien liefern. Alle Sanktionen gegen das Assad-Regime gelten indes weiter und zwar unbegrenzt. Ein glaubwürdiger Friedensmakler, wer so hingerissen feilscht?

Ein letztes Beispiel – Westerwelle startet zu Beginn seiner Amtszeit eine „Nichtverbreitungs- und Abrüstungsinitiative“, um etwas für eine Welt ohne Kernwaffen zu tun, doch identifiziert sich Deutschland beim Lissabonner NATO-Gipfel im November 2010 vorbehaltlos mit dem neuen Strategischen Konzept, das die Allianz ausdrücklich als „nukleare Verteidigungsgemeinschaft“ qualifiziert. Zu Westerwelles Entlastung sei gesagt, die Richtung der Außenpolitik gibt unter Schwarz-Gelb mehr denn je – der Eurokrise geschuldet – das Kanzleramt vor. Zu jedem EU-Gipfel reisen seit 2009 die Kanzlerin und der Finanzminister allein – der Außenminister wird dort nicht gebraucht.

Warum Mali?

Lassen sich belastbare Kriterien finden, nach denen die Regierung Merkel außenpolitische Entscheidungen fällt? Wann hat die diplomatische Prävention Vorrang, wann die militärische Intervention? Warum wird durch die Bundeswehr in Mali eine Armee ausgebildet, wenn es doch wichtiger wäre, in Somalia erst einmal eine aufzubauen? Der somalische Staat ist maroder als der malische. Sollen schon deutsche Soldaten in Afrika fundamentalistischen Terror eindämmen – weshalb nicht auch in Mogadischu, das von islamistischen Freischärlern mehr bedroht ist als Timbuktu?

Natürlich will sich an Somalia niemand die Finger verbrennen, seit dort 1992 /93 die Amerikaner mit ihrer Peace-Enforcement-Mission gescheitert sind. Am allerwenigsten Angela Merkel, die Außenpolitik stets innenpolitisch abschmeckt und das Ergebnis dieser Verkostung nicht unbedingt Weltpolitik sein muss. So sehr sich auch Kabinettsmitglieder wie Thomas de Maizière darum bemühen, indem sie den außenwirtschaftlichen und moralischen Imperativ reklamieren, der Deutschland zwinge, an möglichst vielen Orten der Welt nach dem Rechten zu sehen.

Merkels Außenpolitik bleibt zwar Koordinaten wie der transatlantischen Partnerschaft oder exponierten Beziehungen zu Israel verpflichtet, ansonsten jedoch gilt offenbar auch hier, ohne bindendes Konzept zu sein, ist das beste Erfolgsrezept. Man kann abwarten, wie sich die Interessen eines Landes oder eines Staatenbundes sortieren, um dann zu reagieren – und man kann den Zeitstimmungen einer postheroischen Gesellschaft Rechnung tragen, in der hedonistische Born-to-Chill-Reflexe allzu großer Abenteuerlust abträglich erscheinen. Folglich sind innere Erschütterungen durch gewagte externe Unternehmungen zu vermeiden. Merkel vermittelt, und der soziale Mittelbau wie auch die Mehrheit der Jugend folgen ihr dabei: Es ist doch alles gut. Ich führe die erfolgreichste Regierung seit 1990. Warum soll nicht alles so bleiben, wie es ist? Selbstverständlich werden unsere internationalen Beziehungen das nicht infrage stellen. Soweit das möglich ist, vereinnahmt die Kanzlerin die Außenpolitik für die Konsens-Anästhesie ihrer Gesellschaftspolitik. Das geschieht weitgehend ideologiefern, aber doch wertorientiert. Wozu das führt, lässt sich dem Umgang mit der NSA-Affäre entnehmen, wenn die Werte „Freiheit“ und „Sicherheit“ beim Vernebeln und Taktieren gute Dienste leisten. Auch die Europa-Politik liefert einen passablen Anschauungsunterricht, wie dieser Status-quo-Purismus funktioniert.

Die Kanzlerin hat seit Ausbruch der Eurokrise 2010 viel dafür getan, den visionären durch einen existenziellen Europabegriff zu ersetzen. Mutmaßlich liegt dem die Annahme zugrunde: Die Perspektiven einer Weltmacht Europa haben sich erledigt. Gleiches gilt für die vor Einführung des Euro häufig gestellte Frage, ob die EU als Staaten- und Wirtschaftsgemeinschaft ein Gesellschaftsbild entwerfen kann, das global attraktiv ist. Derzeit hat Europa keine Zukunft, sondern nur eine Gegenwart. Solange der Euro bedroht bleibt, handelt es sich bei der EU mehr um einen Aktionsrahmen zur Rettung der Gemeinschaftswährung als einen Akteur von weltpolitischem Zuschnitt.

Die Kanzlerin richtet daher ihre Europa-Politik – puristisch und pragmatisch zugleich – an zwei Axiomen aus, in denen sich aus ihrer Sicht elementare nationale Interessen spiegeln. Das erste lautet, scheitert der Euro, scheitert Europa. Es wird durch die Formel ergänzt, wie sie soeben wieder auf Merkels Sommer-Pressekonferenz zu hören war: Deutschland geht es nur gut, wenn es Europa gut geht. Da es Europa offenkundig fortwährend schlechter geht, wäre zu fragen: Wie lange geht es Deutschland noch gut?

Sie liegt bleischwer in der Luft, muss aber bis zum 22. September nicht beantwortet werden. Danach dürfte diese Frage – sofern Merkel weiter regiert – zu einer Politik führen, die der Überlegung gehorcht, was muss getan werden, damit sich das „gesunde Deutschland“ gegen das „kranke Europa“ behauptet? So gut und so lange wie möglich. Damit wäre zur Normalität erhoben, was wegen der Krise zunächst als befristete Ausnahme galt: die Rückkehr zum Egoismus der Nationen. Schwarz-Gelb hat sich zu diesem Preis um Deutschlands Prosperität verdient gemacht. Man kann Angela Merkel nicht vorwerfen, ihren Amtseid gebrochen zu haben.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen.

Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zur Wochenzeitung Freitag. Dort arbeitete es von 1996-2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

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