Es ist auch ein "war by proxy", ein Stellvertreterkrieg der besonderen sudanesischen Art, den Präsident Omar al-Bashir im westsudanesischen Darfur zu seinen Gunsten entscheiden will. Die Anzeichen häufen sich, Hassan al-Turabi, der frühere Parlamentspräsident, könnte hinter der aufständischen Sudan Liberation Army (SLA) stehen, um im Kampf gegen al-Bashirs Truppen und die Jinjawed-Milizen seine Rückkehr nach Khartum und damit an die Macht zu betreiben. Ein taktischer Schachzug zweifellos, denn die Leitfigur einer radikalen Islamisierung des Sudan ist kein wirklicher Anwalt der sesshaften und jetzt so bedrängten Ethnien Darfurs, er will einen Staatschef schwächen und wenn möglich entmachten, der nicht länger mit aller Macht und Kraft am authentischen islamischen Gottesstaat baut, sondern den Westen durch Mäßigung davon überzeugen will, keinen "Schurkenstaat" zu führen.
Der Läuterung ging ein Macht- und Richtungskampf voraus, den al-Bashir vor vier Jahren zunächst klar für sich entschieden hatte. Er enthob al-Turabi aller Ämter und zwang ihn schließlich zur Flucht aus Khartum. Schon Ende der neunziger Jahre hatte der General damit begonnen, sein 1989 installiertes islamistisches Regime zu liberalisieren, um den verfeindeten ägyptischen Nachbarn zu beschwichtigen, vor allem aber das Verhältnis gegenüber den USA zu entkrampfen. Für Hassan al-Turabi, jahrelang graue Eminenz und religiöses Gewissen der Regierung, ein Affront sondergleichen. Er sah die Glaubwürdigkeit des islamischen Projektes im Sudan vom Opportunismus eines einstigen Gesinnungsgefährten unterlaufen, der noch Anfang 1991 den Irak Saddam Husseins während des Golfkrieges diplomatisch unterstützt hatte.
Al-Turabi war bis Mai 2000 Führer des islamistischen National Congress (NC) gewesen, der sich intern als Staatspartei verstand und einst als National Islamic Front aus der sudanesischen Muslimbruderschaft hervorgegangen war. NC und al-Turabi persönlich standen hinter dem Putsch vom 30. Juni 1989, der den Generalleutnant Omar al-Bashir an die Macht katapultierte. Der war erst zwei Tage vor dem Coup auf Betreiben al-Turabis aus dem Südsudan nach Khartum geschleust worden. Eine Verschwörung, die der Koran-Gelehrte al-Turabi nicht als ungehobelter Fanatiker, sondern als feinsinniger Taktiker steuerte, ausgestattet mit der Fähigkeit zu Understatement und Selbstentsagung. Nach dem gelungenen Putsch hatte er Wert darauf gelegt, zusammen mit anderen islamischen Führern für einige Zeit verhaftet zu sein. Man inszenierte sich als Opfer "unkontrollierbarer Ereignisse" und bedeutete der Welt, sie möge dem bloßen Augenschein keinen Glauben schenken, die National Islamic Front sei nicht der Drahtzieher des Staatsstreichs, der Westen habe mithin keinen Grund von einem islamistischen Umsturz zu reden.
Als al-Turabi wieder auf freiem Fuß war, gab es fortan in Khartum eine Arbeitsteilung, der Präsident war die grobkörnige Galionsfigur eines islamischen Regimes, al-Turabi dessen eloquenter Makler, der den "sozialen Aufbruch im Geiste des Islam" lobte und sich in gesetzten Worten darüber freuen konnte, dass viele künstliche Trennlinien zwischen Staat und Religion aufgehoben und die Frauen von der Zwangsvorstellung westlicher Emanzipation befreit seien. Rivalitäten zwischen den beiden Pyramiden des Regimes gab es dennoch - sie brachen offen aus, als al-Bashir im Jahr 2000 einen Verfassungsentwurf blockierte, der eine strikte Trennung von Exekutive und Legislative vorsah und auf eine weitgehende Föderalisierung des Sudans zielte - angesichts des zum damaligen Zeitpunkt noch köchelnden Bürgerkrieges im Süden ein Zeichen der Verständigung.
Der Präsident entmachtete daraufhin den störrischen al-Turabi, um gewisse Kurskorrekturen in der Hand zu behalten, die unumgänglich schienen. Am 20. August 1998 hatten US-Marschflugkörper eine pharmazeutische Fabrik an der Peripherie von Khartum getroffen, offiziell eine Vergeltung für die Bombenanschläge auf die US-Missionen in Daressalam und Nairobi 13 Tage zuvor, deren Urheber auch in islamistischen Strukturen des Sudan vermutet wurden, der als temporäres Refugium Osama bin Ladens galt. Doch eine vorzugsweise Medikamente produzierende Chemiefabrik hatte erkennbar nichts mit den Anschlägen auf die US-Botschaften zu tun.
Der Angriff sollte dem Regime in Khartum offenbar signalisieren, es sei höchste Zeit sich zu entscheiden und über einen Ausstieg aus der Front der islamistischen Hardliner nachzudenken. Und für Präsident al-Bashir gab es Gelegenheiten zuhauf, erkennen zu lassen, dass er die Warnungen verstanden hatte. Zwei boten sich besonders an, die Entmachtung der kompromisslosen Fundamentalisten um al-Turabi und ergebnisorientierte Verhandlungen mit der südsudanesischen Autonomiebewegung um die Sudan People´s Liberation Army (SPLA). Die Frontlinie in der Region am Weißen Nil lag schließlich genau dort, wo riesige Ölressourcen der Erschließung harrten - Vorkommen von etwa 800 Millionen Barrel, die inzwischen dank amerikanischer, chinesischer und kanadischer Investoren gefördert werden. Im Juli 2002 einigten sich Khartum und die SPLA auf das "Protokoll von Machakos", das den Weg zum endgültigen Friedensschluss in diesem Jahr vorzeichnete.
Für die Bush-Administration ein Indiz für den Friedenswillen al-Bashirs, der nach amerikanischer Lesart schon seit geraumer Zeit in die Abwehrfront des Terrorismus eingeordnet wird - aber weder seine Person noch sein Regime sind eine Garantie dafür, dass es so bleibt. Wer Omar al-Bashir von außen unter Druck setzt, muss wissen, dass viele seiner heutigen inneren Feinde einst seine engsten Verbündeten und Partner waren.
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