Ausgerechnet Angela Merkel muss das widerfahren. Sie ist Trägerin der amerikanischen Freiheitsmedaille und einst als CDU-Oppositionsführerin durch Amerika getourt, um die Irak-Kriegsabstinenz des SPD-Kanzlers Schröder im Jahr 2003 als Mangel an atlantischer Solidarität zu geißeln. Mit mir als Kanzlerin wäre das nicht passiert, so die Botschaft. Nun wird sie zum Opfer von Donald Trumps transatlantischer Hackordnung, die Solidarität im Bündnis als Folklore für Traditionalisten betrachtet. Was die Kanzlerin nach dem G7-Gipfel in Taormina zu dem Eindruck verleitet, mit der Verlässlichkeit der USA stehe es nicht mehr zum Besten. Ein Urteil, das mit Vorsicht quittiert werden sollte. Es zeugt von der Stimmung eines Augenblicks und klingt nach mehr, als es ist.
Schließlich gehörten die USA von Anfang an – seit der amerikanischen Luftbrücke für die Westsektoren Berlins 1947/48 – als Schutzmacht wie Bündnisobrigkeit zum staatstragenden Fundament der Bundesrepublik Deutschland. Was bedeutete, sich stets bündniskonform zu verhalten, auf dass die Partnerschaft keinen Schaden nahm. Wer dem abschwor und etwa über einen Austritt aus der NATO nachdachte, stand schnell außerhalb des Verfassungsbogens, galt als unsicherer Kantonist oder Sicherheitsrisiko und nicht regierungsfähig.
Merkel steht außer Verdacht, sich um dieses Stigma zu bewerben. Sie reagiert mit ihrem Zweifel an Verlässlichkeit auf die Arroganz, mit der Präsident Trump auf dem NATO- wie dem G7-Gipfel seine nationalistische Agenda zelebriert hat, sie schleift mitnichten die Bündnis- und Staatsräson. Und sie hat offenbar begriffen, dass sich Amerika-Politik plötzlich zum Wahlkämpfen eignet. Trotzdem bleibt Deutschland ein Klientelstaat der USA, der den transatlantischen Anker schwerlich lichten wird, um sich freizuschwimmen.
Was sich freilich als Illusion erwiesen hat, ist die Annahme, dass die USA unter Trump ein Verbündeter bleiben, mit dem die üblichen Allianzen möglich sind, die sich auf gemeinsame Werte berufen, tatsächlich aber ähnliche oder identische Interessen meinen. Eine konfrontative Paranoia hat zumindest Teile der jetzigen US-Administration erfasst, wenn das America-First-Credo in eine Diplomatie übersetzt wird, die sich durchsetzen will, statt kompromissbereit zu sein. Dem hat die EU – auch wenn Merkel den Anschein erweckt, es sei anders – nicht viel entgegenzusetzen. Das vereinte Europa hat es nie gewagt, nach einer sicherheitspolitischen Doktrin jenseits transatlantischer Vereinnahmung Ausschau zu halten. Als russische Präsidenten noch auf NATO-Gipfeln zugelassen waren, durfte Dmitri Medwedew 2010 in Lissabon den Vorschlag für einen europäischen Sicherheitsvertrag erläutern. Er sollte die Ungleichheit der Staaten des Kontinents bezüglich der Garantien für ihre nationale Sicherheit überwinden, doch wollten die NATO-Länder ihre Bündnisprivilegien mit niemandem teilen. Nur was sind die heute noch wert, wenn die Amerikaner erst einmal nehmen und nicht länger geben wollen? Diktiert Trump den NATO-Alliierten ein stupides „Rüstet gefälligst auf“, geloben sie Vollzug, weil sie befürchten müssen, dass ihnen ansonsten der ganze Pakt, besonders dessen Russland-Politik, um die Ohren fliegt. Es liegt auf der Hand, dass die Kanzlerin mit ihrem Bündnistadel auch die Sorge umtreibt, dass die Trump-Regierung gegenüber Moskau eigene Wege geht. Worauf allerdings gleichfalls kein Verlass ist.
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