Keine Flucht ins Vergessen

Kambodscha-Tribunal Lange hat es gedauert, bis die Verbrechen der Pol-Pot-Zeit in Kambodscha auch das juristische Nachspiel bekommen, das sie verdienen. Heute ist es endlich soweit

Der kühle Rasen wird nicht über ihre Schuld wachsen. In Phnom Penh hat über 30 Jahre nach dem Sturz des mörderischen Regimes der Khmer Rouge der erste Prozess gegen einen der Täter begonnen. Kiang Khek Iav heißt der Angeklagte und war zwischen 1975 und 1979 Kommandeur des berüchtigten Foltercamps S 21 (Securité 21) im ehemaligen Lyzeum Toul Sleng an der Peripherie Phnom Penhs. Ihm wird vorgeworfen, für den Tod von mehr als 13.000 Menschen verantwortlich zu sein – die letzten seiner Opfer fanden die vietnamesischen Soldaten am 7. Januar 1979, als sie Pol Pot und dessen Gefolgschaft aus der kambodschanischen Hauptstadt vertrieben. Die letzten Insassen von S 21 waren mit Eisenschellen und Ketten an Bettgestelle gefesselt, mit Hacken und Spaten erschlagen, die Körper verstümmelt durch Folter und qualvolle Hinrichtung.

Ohne jeden Zweifel war Kiang mehr als ein williger Vollstrecker. Der heute 66-Jährige zählte zur Elite im Demokratischen Kampuchea, wie sich der Pol-Pot-Staat nannte, aber einer der Führer war er nicht. Dieses kriminelle Privileg gebührt Leuten wie dem einstigen Staatschef Khieu Samphan, dem ehemaligen Außenminister Ieng Sary und Nuon Chea, dem „Bruder Nr. 2“ nach Pol Pot (der 1998 verstarb). Erst wenn diese drei – sie sitzen derzeit in Haft – vor die Schranken des Tribunals ECCC
zitiert werden, das der kambodschanische Staat mit der UNO nach jahrelangen zähen Verhandlungen gebildet hat, kann wirklich von juristischer Aufarbeitung die Rede sein. Erst dann lässt sich von Sühne für jene zwei Millionen Menschen sprechen, die den fast vier Jahre dauernden Terror der Khmer Rouge nicht überlebt haben.

Wenn die drei letzten noch lebenden Galionsfiguren auf der Anklagebank sitzen, wird es zudem unumgänglich sein, über die politischen Paten ihrer Verbrechen zu reden. Über Kambodschas Ex-König Norodom Sihanouk etwa, der nach seinen von den USA 1970 betriebenen Sturz mit den Khmer Rouge kollaborierte und ihnen dadurch zu einer Reputation verhalf, zu der sie ohne Zutun des Aristokraten nie gelangt wären. Zu befinden wäre über die Rolle Chinas in den siebziger Jahren. Ohne ideologische Protektion und militärischen Beistand der maoistischen Führung in Peking wäre der Ultra-Maoist Pol Pot immer der lokale Guerilla-Kommandeur im Dschungel von Battambang geblieben – und Hunderttausende würden noch leben. Aber Pol Pot war für Peking ein nützliches Werkzeug, um Vietnam mit einem Grenzkrieg zu schaden und der Utopie von der Großen Volkskommune so gnadenlos Gestalt zu geben, wie das während der Kulturrevolution Mao Zedongs nie bis zu dieser Konsequenz – der Internierung eines ganzen Volkes – getrieben wurde. Wenn an diesem 17. Februar 2009 im Westen mit den üblichen Floskeln der erste Prozess vor dem Kambodscha-Tribunal begrüßt wird, muss daran erinnert werden, dass alle westlichen Regierungen das Regime der Khmer Rouge bis 1991 diplomatisch anerkannten und damit quasi den Völkermord legitimierten.

Der Pol-Pot-Vertreter saß bis 1991 als Gesandter ohne Land in der UNO, weil eine Mehrheit der Staaten dafür sorgte, das die Volksrepublik Kampuchea, die nach dem Sturz Pol Pots entstand und sich seiner Opfer annahm, draußen blieb. In der Zeit des Kalten Krieges war das Eingreifen Vietnams, dem der Nach-Pol-Pot-Staat zu verdanken war, eben keine „humanitäre Intervention“, wie sie heute so oft und gern gefordert wird, sondern eine rechtswidrige Aggression. Diese Travestie der Diplomatie ist eines der unangenehmsten und schändlichsten Kapital in der Geschichte der Vereinten Nationen. Es passt dazu, wie sich der erste Angeklagte des Tribunals in Phnom Penh mit fremder Hilfe lange Zeit tarnen konnte, um unerkannt zu bleiben: Erst als Hong Ben, dann als Ta Pin war Kiang Khek Iev in den neunziger Jahren ein geschätzter Mitarbeiter des privaten US-Hilfswerks American Refugees Committee.

Der offizielle Name des Tribunals lautet: Außerordentliche Kammern an den Gerichten Kambodschas für die Verfolgung von Verbrechen während der Periode des Demokratischen Kampuchea (ECCC). Die Hauptverfahrenskammer, vor der jetzt der erste Prozess begonnen hat, besteht aus fünf Richtern (drei Kambodschanern, einem Franzosen, einem Neuseeländer). Als Höchststrafe kann lebenslängliche Haft verhängt werden.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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