Keine neuen Eiertänze

Außenpolitik Wird die US-Außenpolitik umprogrammiert, sollte die deutsche bald das Ihre tun, die Codes zu ändern. Ist Bundesaußenminister Steinmeier deshalb heute in Washington?

Hillary Clinton dürfte sich gewiss nicht als Wahlkämpferin für den SPD-Kanzlerkandidaten empfinden. Doch kann sie dieser Rolle kaum entgehen, wenn heute der deutsche Außenminister bei ihr zum Antrittsbesuch vorfährt. Der genießt das Privileg, als Vizekanzler und erstes Mitglied aus dem Kabinett Merkel auf eine exponierte Persönlichkeit der Obama-Administration und wohl auch den Präsidenten selbst zu treffen. Dieser wird in Deutschland mit soviel Prestige und Erwartung beschenkt, dass Frank Walter Steinmeier im Wahljahr 2009 innenpolitisch davon nur profitieren kann. Nicht ganz unverdient im Übrigen. Er entschied sich für einen einigermaßen ungewöhnlichen Weg, um dem Wunsch nach einem Neueinstieg bei den transatlantischen Beziehungen öffentlich Geltung zu verschaffen, und ließ im Spiegel einen Offenen Brief an den seinerzeit noch designierten US-Präsidenten abdrucken, in dem er nicht nur für eine vorbehaltlose Partnerschaft warb, sondern auch andeutete, er könne sich eine Aufnahme von Insassen aus dem US-Lager Guantánamo in Deutschland vorstellen.

Beste Voraussetzungen also, mit Obama und Clinton heute schon einmal jenen Schulterschluss zu üben, den es nach der Abdankung von George W. Bush wieder zwischen den USA und Deutschland geben soll. Der Dissens mit der bisherigen US-Administration war besonders nach dem Irak-Krieg 2003 offenkundig, allein es fehlte auf deutscher Seite an Courage und intelligentem transatlantischen Kalkül, ihn auszutragen. Ob in der Klimapolitik oder einem neuen Welthandelsregime, ob im Atomstreit mit Teheran, bei der US-Präsenz im Irak oder der geplanten US-Raketenstationierung in Polen und Tschechien – das Unbehagen über amerikanische Hartleibigkeit bei all diesen Themen war auf deutscher Seite unverkennbar, nahm aber nie Züge von Renitenz oder Widerständigkeit an.

Mediation bis zur Peinlichkeit

Im Gegenteil, Angela Merkel fühlte sich zur Moderatorin für George Bush berufen. Beim G 8-Gipfel von Heiligendamm im Juni 2007 trieb sie ihre Mediation bis zur Peinlichkeit, als eine lächerliche Konzession der Amerikaner zum klimapolitischen Durchbruch verklärt wurde. So pendelte Merkels Amerika-Politik zwischen Nackenmassage und Eiertanz, erstere verpasste ihr Bush beim Barbecue-Treff im Mecklenburger Sommer des Jahres 2006 – letzteren beherrschte die Kanzlerin vorzüglich, wenn die Amerikaner im Irak, in Afghanistan oder auch Georgien taten, was sie nicht lassen wollten.

Auf Zeichen von Kritik und Kooperationsverweigerung mit einer aggressiven US-Politik hoffte man vergebens. Im Namen der Bundesrepublik zelebrierte Merkel gern so etwas wie verständnisvolle Solidarität mit Bush, auch wenn sie bemüht blieb, nicht vereinnahmt zu werden. Doch warum dieser Balance-Akt, bei dem suggeriert wurde, das große transatlantische Zerwürfnis müsse unter allen Umständen vermieden werden? Die Zeiten, da Westeuropa fürchten musste, schutzlos und allein unterm Himmelszelt zu frieren, falls der große Bruder erzürnt wird, waren in all den Bush-Jahren längst vorbei. Das augenzwinkernde Nein der rot-grünen Regierung zum Irak-Krieg – es wurden bekanntlich Mittel und Wege gefunden, nicht vollends draußen zu bleiben – wäre zu Zeiten des Kalten Krieges einem Sakrileg gleichgekommen, im Frühjahr 2003 hat es den deutsch-amerikanischen Beziehungen nicht wirklich geschadet.

Die politische Klasse, die sich hierzulande für besonders aufgeklärt und weltläufig hält, glaubte bisher mehrheitlich, es sei der einzige und beste Weg hinein ins atlantischen Establishments, der Weltmacht möglichst wenig oder gar nicht negativ aufzufallen. Bush hat das bei seiner Politik eines patriotisch populistischen Isolationismus nicht weiter interessiert. Bei Obama könnte solcherart Unterwürfigkeit unangenehm auffallen, weil sie alles andere als eine Empfehlung für Partnerschaften auf Augenhöhe ist. Sollte derzeit die US-Außenpolitik wirklich umprogrammiert werden, sollte die deutsche bald der Idee näher treten, auch ihrerseits die Codes zu ändern.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

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