„Stellung und Ansehen eines vereinten Deutschlands in der Welt hängen außer von seinem politischen Gewicht und seiner wirtschaftlichen Leistungskraft ebenso von seiner Bedeutung als Kulturstaat ab“, heißt es in Artikel 35 des Einigungsvertrages vom August 1990. Und weiter: „Die kulturelle Substanz in dem in Artikel 3 des Vertrages genannten Gebiet (gemeint ist die DDR – der Verf.) darf keinen Schaden nehmen.“
Bezogen auf Hörfunk und Fernsehen im so genannten Beitrittsgebiet lässt sich bezweifeln, inwieweit während der vergangenen gut 22 Jahre diesem Auftrag entsprochen wurde. Kaum jemand fragt danach. Dabei böte es sich in diesen Tagen an, nach ostdeutscher Kultur- sprich: Fernsehgeschichte zu fragen, die nicht etwa mit dem M
gen, die nicht etwa mit dem MDR oder dem ORB (inzwischen mit dem SFB zum RBB fusioniert) begann, sondern sehr viel früher. Nicht allein der einstige Nordwestdeutsche Rundfunk (NWDR) im Westen oder die gerade als Urgestein der Fernsehgeschichte gefeierte Tagesschau blicken auf ein 60-jähriges Bestehen zurück. Fernsehen vom FlugfeldEnde Dezember 1952 schlägt auch in Ostberlin – genauer im Stadtbezirk Schöneweide-Adlershof – die Geburtsstunde eines Deutschen Fernsehfunks (DFF), der am 21. Dezember 1952 als „Zentrallaboratorium des Rundfunks“ einen regulären, wenn auch teils sporadischen Sendebetrieb aufnimmt. Für das Territorium der DDR beginnt ein Fernsehdienst auf Probe, beschlossen vom Ministerrat des Landes, finanziert vom Staat. Die in Ostberlin erscheinende Wochenzeitung Unser Rundfunk druckt Mitte Dezember 1952 eine erste Programmvorschau ab und riskiert dieses Wagnis für etwa 400 bis 500 Zuschauer, so die Schätzungen damals. Für das überaschaubare Publikum eröffnet Herrmann Zilles, erster Adlershofer Intendant, persönlich die ostdeutsche Fernsehpremiere. Sein Programm erspart sich Völlerei und wartet doch mit einer Weltsensation auf. Von Anfang an führen nur Ansagerinnen durch den Sendeablauf, so dass Margit Schaumäker an jenem 21. Dezember vor sechs Jahrzehnten gegen 20.00 – und damit fünf Tage vor der ersten Tagesschau aus dem viel zitierten Hamburger Hochbunker – die Uraufführung der Nachrichtensendung Aktuelle Kamera ankündigt. Die dümpelt freilich noch recht kläglich im Fahrwasser des vom Ostfernsehen übernommenen DEFA-Augenzeugen dahin und zehrt von dessen Filmsequenzen wie Reportagen. Eigene AK-Teams werden erst Mitte der fünfziger Jahre zum "Dreh" für die AK im In- und Ausland aufbrechen. Ein auffallendes öffentliches Interesse wird dem Fernsehversuch Ost zunächst kaum zuteil – Sendeausfälle, fehlende Empfänger und Reichweiten adeln das Unternehmen kaum. Ernst Augustin, erster Technischer Direktor, gilt indes als Glücksfall an Kompetenz und Erfahrung. War er doch an Sende-Experimenten in Deutschland ab 1930, nicht zuletzt den legendären Berliner Fernsehstuben, beteiligt. Nun muss er in Adlershof damit zurecht kommen, dass sein Produktions- und Sendezentrum de facto ohne technisches Hinterland entsteht. Die gesamte Fernsehindustrie liegt in den Westsektoren Berlins – eine eigene DDR-Fertigung in Radeberg oder Berlin-Oberschöneweide wird erst später verfügbar sein. Wie auch immer – die neue Anstalt siedelt auf einem Gelände, dessen Topografie zur Geschichtslektion lädt. Bis Ende des Zweiten Weltkrieges wusste dort die „Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt“ ihr Domizil. Auf deren Terrain lag einer der größten Flugplätze Berlins. Experimentiert und gearbeitet wurde in den Hangars noch im April 1945, als ringsherum schon die Artillerie-Granaten der Roten Armee einschlugen und der Flughafen noch einmal auf respektable Startquoten kam. Nazigrößen, sofern sie dem Führerbunker nahe der Reichskanzlei entkommen konnten, ließen sich scharenweise aus einer dem Untergang geweihten Reichshauptstadt fliegen. Ab Anfang 1950 beschert das nunmehr herrenlose Gebiet mit seinen verlassenen Hallen und leeren Pisten dem „Projekt Ostfernsehen“ die nötige Baufreiheit – für diesen Standort spricht einiges. Um es aufzulisten: die Lage an einer der großen Ausfallstraßen Ostberlins, die Nähe zum Flughafen Schönefeld, später dann die Nachbarschaft einer Kaserne.Georg Büchner und "Nathan"Bald ist es in Adlershof mit den Herrlichkeiten der Gründerzeit vorbei und der Ernst des politischen Lebens beginnt. Im Sommer 1954 übernimmt Heinz Adameck die Intendanz, die bald zum Staatlichen Komitee für Fernsehen avanciert, und wird den Chefsessel bis zum Wendeherbst 1989 nicht mehr hergeben. Der damals 33-Jährige hatte sich in sowjetischer Kriegsgefangenschaft dem Nationalkomitee Freies Deutschland angeschlossen, arbeitete nach seiner Rückkehr zunächst im Thüringer Innenministerium und übernahm das Direktorat beim DFF im Auftrag des SED-Zentralkomitees. Dort hatte man das Medium Fernsehen zwar gefördert, um der Konkurrenz im Westen gewachsen zu sein, aber wegen allzu vieler technischer Unzulänglichkeiten darin noch nicht das Massenmedium gesehen, das sich als politisches Instrument anbot, um Macht zu sichern – oder zu verlieren. Der SED – so wusste man es spätestens 1989 – sollten beide Erfahrungen vorbehalten bleiben. Doch wer ahnte das schon vor 60 Jahren, als ein Schauspieler wie Eduard von Winterstein ins zunächst einzige Adlershofer Studio kam, um aus dem Hessischen Landboten von Georg Büchner vorzulesen oder eine Passage aus Lessings Nathan darzubieten. Und das live, nach einer kurzen Licht- und Mikrofonprobe.39 Jahre – 10 Tage Am 31. Dezember 1991 wurde der DFF, dem der damalige Rundfunkbeauftragte Rudolf Mühlfenzl (CSU) das einfallslose Etikett „DFF-Länderkette“ verpasst hatte, nach Artikel 36 des Einigungsvertrages abgewickelt und musste für alle Zeit das Feld räumen. In dieser Hinsicht war man – anders als bei Artikel 35 – über alle Maßen vertragstreu. Es gab genau 39 Jahre und zehn Tage "Fernsehen aus Adlershof". Diese Anstalt starb etwas jünger als die DDR und sollte den versunkenen Staat doch um ganze 15 Monate überleben.Kurz vor Toresschluss meinte Michael Albrecht, der letzte DFF-Intendant vor dem zerstörerischen Kehraus, im Interview mit dem Autor: Sicher war dieses Fernsehen stets eine große Ideologiefabrik. Aber hier in Adlershof ist auch Kunst entstanden. Dieses Fernsehen war keine Schraubenfabrik. Auch wenn diese Anstalt im Rückblick teilweise genau so behandelt wird, wäre zu ergänzen.