Vieles kann man der nordkoreanischen Führung anlasten oder andichten. Eine selbstmörderische Veranlagung oder gar Obsession dürfte ihr fremd sein. Das Letzte, was Parteichef Kim Jong-un planen dürfte, ist ein Nuklearangriff auf die USA. Barack Obamas angekündigter Ausbau der eigenen Raketenabwehr wegen des jüngsten Atomtests auf der koreanischen Halbinsel ist nichts sonst als eine Rhetorik der Rückversicherung. Der US-Präsident schottet sich vorsorglich gegen Angriffe ab, er nehme die Bedrohung durch Pjöngjang nicht ebenso ernst wie die Teheraner Nuklearambitionen. Dabei scheint nicht übermäßig relevant zu sein, dass bisher keines der beiden Länder über Kernwaffen verfügt, geschweige denn über mit Atomsprengköpfen bestückte Langstreckenraketen, mit denen sich das Territorium der USA erreichen ließe. Wie kann man eine Raketenabwehr verstärken, ohne zu wissen, was sie eigentlich abwehren soll?
Zum gegenseitigen Vorteil
Aber die Reaktionen auf die Bad Guys in Pjöngjang bleiben wie üblich nichts schuldig. Es ist so, als ob sich alle verabredet hätten, die gewohnten Argumentationsraster – zum wievielten Male eigentlich? – aufzusagen und vorsätzlich zu übersehen, dass Nordkorea keinen atomaren Schlagabtausch will, sondern Tauschobjekte für einen Handel anbietet, bei dem sich der kommunistische Staat und sein Regime Zeit kaufen. Und das heißt, ihre Existenz sichern. Da ein solcher Handel erst einmal zustande kommen muss, braucht die dafür dargebotene Ware einen realen Tauschwert, um absetzbar zu sein. Auf dieser Messe der Möglichkeiten war schon Kim Jong-il –der Vater und Vorgänger von Kim Yong-un – recht aktiv. Auch er wusste, da die gewünschten Geschäftsbeziehungen einem Wettbewerb der Systeme, einem ins 21. Jahrhundert verschleppten Ost-West-Konflikt, zuzuordnen waren, konnte die Satisfaktionsfähigkeit seines Staates kein Selbstläufer sein. Es erschien nicht abwegig, in Ermangelung anderer Handelsgüter mit einem Atomprogramm aufzuwarten, das bei einem Deal zum gegenseitigen Vorteil gegen Wirtschaftshilfen, einen Sanktionsstopp, einen Nichtangriffspakt oder anderweitige Bestandsgarantien für den eigenen Staat und das eigene System einzulösen wäre. Was oft vergessen wird – zwischen den beiden koreanischen Staaten besteht der Kriegszustand sei dem Ende des Korea-Krieges (1950 – 1953) faktisch fort. Es gibt kein Friedensabkommen, auch wenn die beiden Präsidenten Roh Moo-huyn und Kim Jong-il im Oktober 2007 einen Friedensprozess eingeleitet haben, der bisher allerdings ohne konkretes Ergebnis blieb.
Bewährung als Ordnungsmacht
Und China? Hat sich das Land mit seinem Unbehagen und seiner vorsichtigen Kritik am jüngsten Waffentest tatsächlich von Nordkorea abgewandt? Man sollte die Dialektik, speziell Hegels Lehre von der Einheit und dem Kampf der Gegensätze, bemühen. Wer sich als asiatische oder künftige globale Ordnungsmacht fühlt, kann das schlechte Beispiel Nordkoreas als gute Gelegenheit nutzen, sich in dieser Rolle häuslich einzurichten und den Nachweis zu führen, ihr gewachsen zu sein. Dass wegen dieser Übung mit einem Partner aus über sechs Jahrzehnten gebrochen wird, steht nicht zu erwarten.
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