Was wäre eine dynastische Erbfolge ohne dynamische Semantik? Also firmiert Nordkoreas Staatsgründer Kim Il-sung als „Großer Führer“ und „Ewiger Präsident“, wird Sohn Kim Jong-il als „Geliebter Führer“ erinnert und Enkel Kim Jong-un zum „Obersten Führer von Partei und Volk“ erklärt. Doch verschafft eine von Altvorderen abgeleitete Autorität noch keine ausreichende Legitimation. Was Kim braucht, ist das eigene, unverwechselbare Projekt, um die Volksrepublik in Nordkorea mit ökonomischer Prosperität und Wohlstand aufzuladen.
Dies könnte gelingen, sollte er sich einer Mission verschreiben, wie sie Ende 1978 der Reformer Deng Xiaoping für die Volksrepublik China übernahm. In den frühen 1980er Jahren modernisierte der seine Gesellschaft, indem er sie vom Maoismus emanzipierte, ohne dessen Verdienste zu verleugnen. Vergleichbares für den Norden Koreas zu bewirken, heißt zunächst einmal, das Land von einer 65-jährigen Nachkriegszeit zu erlösen, die stets als Vorkriegszeit daherkam. Dazu bedarf es einer friedlichen und freundlichen Koexistenz mit der gesamten Nachbarschaft, zu der angesichts ihrer militärischen Präsenz und ihrer strategischen Interessen auch die USA gehören.
Scheint dieser Große Sprung nach dem Hand-in-Hand-Gipfel von Panmunjom möglich, ist das maßgeblich der nuklearen Potenz Nordkoreas zu verdanken. Nur weil es die gibt, konnte Kim dem Präsidenten Südkoreas anbieten, sie wieder abzuschaffen. Was sich gegenüber Donald Trump wiederholen ließe, sofern adäquate Gegenleistungen – vertraglich verbriefte Sicherheitsgarantien der USA – in Aussicht stehen. Diese Tauschgeschäfte offenbaren die Krämerseligkeit des nuklearen Zeitalters und sind deshalb nicht verwerflich, sondern angemessen. Gladiatoren der leeren Hände konnten ihren Gegnern selten irgendwo Respekt einflößen. Sie müssen zeigen, was sie haben, heutzutage Nuklearwaffen testen, Spieler und Sieger sein. Denn so viel Kim auch für das Existenzrecht seines Staates tut, um die Überlebensfähigkeit seines Systems geht es mindestens genauso. Um das zu sichern, wird er sich ebenso von der Geschichte emanzipieren müssen wie einst Deng Xiaoping. Was mit Risiken einhergeht, die einem „Obersten Führer“ durchaus zum Verhängnis werden können.
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