Kompromiss statt Kotau

Atomgespräche Die Nuklearverhandlungen mit dem Iran werden bis zum März 2015 verlängert. Das zeigt, wie sehr sich ein Weg Strecken kann, an dessen Ziel alle ankommen sollen
Ausgabe 48/2014
Erzwungene Annäherung durch einen gemeinsamen Gegner: den Islamischen Staat
Erzwungene Annäherung durch einen gemeinsamen Gegner: den Islamischen Staat

Foto: Ronald Zak/Getty Images

Zeit kann man sich kaufen. Es wird mitunter teuer, darauf zu verzichten. So ist bei der Iran-Diplomatie das Zeitfenster nochmals weit aufgestoßen worden. Erst am 1. März soll ein unterschriftsreifer Vertrag vorliegen. Keine Gnadenfrist, sondern ein Indiz dafür, wie sich Verhandlungswege strecken können, an deren Ziel jeder ankommen soll. Denn was immer der Iran bei seinen Kernenergie-Projekten an Konzessionen schlucken muss – alles soll aus Sicht der Führung in Teheran einem Anspruch genügen, den die Islamische Republik um ihrer selbst willen nicht preisgeben darf: Jene nationale Souveränität, wie sie mit der Revolution von 1979 erworben und fortan verteidigt wurde.

Das Nuklearprogramm ist daher – vom Tableau all seiner praktischen Komponenten abgesehen – auch ein Versprechen an das eigene Volk. Es lautet: Wir werden das Recht auf einen friedlichen Gebrauch der Kernenergie nicht aufgeben. Das sind wir uns schuldig, dazu sind wir als Signatarstaat des Kernwaffensperrvertrages (1968) berechtigt, darüber werden wir auf keinem Basar feilschen. Und sei es einer der Diplomatie. 1979 wurde nicht allein eine despotische Monarchie zu Fall gebracht. Mit Reza Schah Pahlavi hat zugleich der pro-amerikanische Vasallenstaat Iran abgedankt.

Das ist der politische Makrokosmos, in den jedes Verhandlungsergebnis passen muss, geht es um das Recht zur Anreicherung von Uran auf fünf Prozent oder mehr, den Auf- oder Abbau von Zentrifugen als Anreicherungskapazitäten, den Umgang mit dem Schwerwasserreaktor in Arak oder das Kontrollregime der Internationalen Atomenergieagentur IAEA – und nicht zuletzt, die Zeitintervalle, in denen die nach vor wirksamen Sanktionen im Handels- und Finanzsektor aufgehoben werden. Stets gilt das Prinzip Kompromiss statt Kotau.

Große Koalition

Wenn sich dafür alle Beteiligten Zeit gönnen, ohne dass sogleich Krisenszenarien kursieren, ermutigt das und zeugt davon, wie unverkrampft man derzeit miteinander umgeht im Verhandlungspool der E3+3-Gruppe (fünf UN-Vetomächte plus Deutschland) und des Iran. Das Wiener Konferenzzentrum mit leeren Händen zu verlassen hätte bedeutet, die Chance für einen Ausgleich vielleicht auf Jahrzehnte zu verspielen. Nur wenig könnte desaströser sein für eine Region, in der die Kriegsfurie gerade ungehemmt rast. Dort grenzt der Iran an einen Irak, auf dessen Territorium ein ausgezehrter Staat dahinsiecht, während ein dynamisches Kalifat unter dem Patronat des Islamischen Staates (IS) Macht und Menschen sammelt. Soll da eine pragmatische, vom gemeinsamen Gegner erzwungene Annäherung zwischen Washington und Teheran an der Atomfrage scheitern? Wohl kaum.

Für die amerikanische Iran-Politik, die seit 1979 die persische Theokratie ins Visier nahm, ist das eine gewaltige Zäsur. Noch unter dem Präsidenten George W. Bush galt die Nuklearfrage als Vehikel zum Regime Change. Lassen sich die Mullahs nicht zur Räson bringen, darf man sie hart, notfalls militärisch anfassen, so das Credo der Falken. Bei einer Intervention sollten das atomare Potenzial wie das theokratische Personal getroffen werden.

Des Schlechten zu viel

In der Atomfrage kompromisslos zu bleiben hieße das iranisch-amerikanische Verhältnis unter Hochspannung zu halten. Barack Obama hat dieser imperialen Egomanie abgeschworen, weil sie kontraproduktiv war. Er hatte keine andere Wahl, als sich auf einen solchen Kursschwenk einzulassen. Einen Konfliktherd Iran neben dem Kriegsschauplatz Irak, das schien des Schlechten denn doch zuviel. Kompromiss statt Konfrontation, lautet hier die Devise. Und das entlastet, auch wenn Obama im Kongress nur wenig Unterstützung finde dürfte.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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